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Hartmut Krug
Überlebenskunst der Theater
Die Bühnenlandschaft steht vor dramatische
Veränderungen
Eigentlich könnte alles ganz wunderbar
sein: denn noch immer besitzt Deutschland die (zahl)reichste
Theaterlandschaft der Welt. 50 Prozent aller Theater auf der Welt
gehören zum deutschsprachigen Theaterraum. 151 öffentlich
geförderte Theater bieten in Deutschland auf mehr als 700
Spielstätten und 253.000 Plätzen in einer Spielzeit mehr
als zweieinhalbtausend Neuinszenierungen - nicht gezählt die
Privatthe-ater und freien Gruppen. Die Bühnen verkauften bei
einer Auslastung von 75 Prozent rund 20 Millionen Karten für
14.000 Musiktheater- und 33.000 Sprechtheateraufführungen. So
besuchten in der Spielzeit 2002 - die noch nicht vorliegenden
Zahlen für 2005 lauten sicher ähnlich - mehr Menschen
Oper, Operette, Musical, Schauspiel und Tanz , als in
Fußballstadien gingen.
Aber: Dies deutsche Theaterwunder kostet
Geld, viel Geld. Obwohl mit acht Milliarden Euro nur 0,8 Prozent
der öffentlichen Haushalte für Kultur ausgegeben werden,
von denen zwei Milliarden an die Bühnen und Orchester gehen.
Doch auf diese Weise wird immerhin jede verkaufte Theaterkarte mit
durchschnittlich 96 Euro bezuschusst. Und in Zeiten leerer
kommunaler Kassen, in der um die weitere Finanzierbarkeit aller
sozialen Systeme gerungen wird, gerät das Theater schnell in
den Sparblick der Politiker. Bei steigenden Kosten werden fast
überall in Deutschland den Theatern die Zuschüsse
gekürzt. Das hatte und hat einschneidende Folgen für die
Theaterlandschaft: Es wird ab-, um- und rückgebaut.
Wenn das Saarland seine Förderung
für das Saarländische Staatstheater bis zum Jahr 2009
kontinuierlich von 24,5 Millionen auf 18,5 herunterfährt, wird
dies mit keiner Strukturreform aufzufangen sein. Wenn die Stadt
Schwerin eine Absenkung ihrer Zuschüsse für ihr Theater
um 1,6 Millionen wirklich durchführt, müsste das Haus
sein Ballett und sein niederdeutsches Ensemble schließen. Und
dem Nordharzer Städtebundtheater bleibt wegen weniger Geld,
nur bis zum nächsten Jahr sein Personal von 217 auf 182
Mitarbeiter zu reduzieren. Schauspiel und Oper in Frankfurt sollen
plötzlich mit 2,2 Millionen weniger auskommen.
Immens hoher Lohnanteil
All das wird nicht ohne künstlerische
Auswirkungen sein. Mittlerweile geht es vielerorts an die Substanz.
Denn die Theater haben sich in den vergangenen Jahren bereits mehr
als jeder andere Wirtschaftszweig reformiert:
Spartenschließungen, Fusionen, Auslagerung von
Werkstätten, Koproduktionen, interne und externe
Synergieeffekte: Alles wurde versucht, doch nirgendwo ist ein
Allheilmittel gefunden worden. Theater können
künstlerisch, aber nicht ökonomisch produktiv und
selbstständig sein.
Begonnen hat alles 1993, als dem Berliner
Senat die nach der Wende aus beiden Teilen der wiedervereinigten
Stadt zusammengeführten Bühnen in jeder Hinsicht zu viel
wurden. Indem mit dem Schillertheater das größte deutsche
Schauspieltheater geschlossen wurde, fiel auch eine kulturelle
Hemmschwelle. Zwar wurde mit dieser Schließung keinesfalls
ökonomische Erleichterung, sondern nur kulturelle Verarmung
erreicht, doch aus dem Misserfolg dieser Maßnahme lernte
niemand. Seitdem sind, vor allem im mit Theatern reich versorgten
Ostdeutschland, etliche Bühnen ganz geschlossen worden, andere
haben einzelne Sparten und viele Mitarbeiter verloren. Von
einstmals 45.000 Beschäftigten sind bereits mehr als 6.000
abgebaut worden.
Da aber wegen der tarifrechtlich steigenden
Gehälter - an den Theatern werden etwa 80 bis 85 Prozent des
Etats für die Löhne eingesetzt - der finanzielle Bedarf
der Bühnen stetig steigt, wird die Lösung in immer neuen
Strukturkonzepten gesucht. Selbstverständlich - wenn auch
nicht immer praktisch - ist, dass Werkstätten ausgelagert und
die Bereiche von Aufsichts- und Reinigungspersonal privatisiert
werden. Ökonomisch sinnvoll, aber künstlerisch
kontraproduktiv ist die Verringerung der theatralen
Produktivität. Wieviel mit Fusionen zu gewinnen oder mit dem
Wechsel vom Ensemble- zum Ensuite-Spiel ohne allzu großen
künstlerischen Verlust ökonomisch zu gewinnen ist,
darüber wird ohne jede feste Daten seit langem heftig
gestritten. Auch wenn sich viele Theaterleiter mittlerweile
betriebsrechtlichen Sachverstand angeeignet haben, scheint es bei
der inneren Struktur der Theater als Kunstproduzenten kaum
möglich, dass sie wesentlich mehr als die augenblicklichen
rund 16 Prozent ihres Etats selbst erwirtschaften.
Existenzbedrohende
Sparmaßnahmen
Mittlerweile gehen die deutschlandweiten
radikalen Sparmaßnahmen im Theaterbereich den Bühnen an
die Existenz. Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer schlug
deshalb allen Ernstes vor, die deutsche Theaterlandschaft zum
UNESCO-Weltkulturerbe zu erklären. Der damalige
Bundespräsident Johannes Rau führte viele deutsche
Kulturinstitutionen in seinem "Bündnis für Theater"
zusammen und ließ eine Kommission Vorschläge für den
Erhalt der Theater und Strategien gegen die politische
Kulturverdrossenheit entwickeln. Daraus folgte immerhin eine
Bestandsaufnahme einer unübersichtlich schwierigen
Situation.
Lange schien das Heil in der Umwandlung der
Theater von staatlichen Regiebetrieben zu finanziell
eigenverantwortlichen, nicht mehr Tarif gebundenen GmbH zu liegen.
Gelegentlich wurde auch die Umwandlung in Kulturstiftungen
unternommen, so in Cottbus, wo das große Theater mit dem
kleinen Kunstmuseum vom Land in die Schwierigkeiten einer
gemeinsamen Kulturstiftung gedrängt wurde. Doch schnell
merkten etliche der mittlerweile als GmbH agierenden Bühnen,
dass sich der Staat durch ihre neue Struktur leichter aus der -
finanziellen - Verantwortung stehlen kann. Dabei liegt das
Sparpotential weniger in der GmbH-Form als in der Abkoppelung der
Löhne im Theater vom Tarifsystem des öffentlichen
Dienstes.
Als das Nationaltheater Weimar sich 2002 vom
Land nicht in eine Zwangsfusion mit dem Theater Erfurt zwingen
lassen, sondern selbständig bleiben wollte - inzwischen hat
Erfurt sein Schauspiel abgewickelt und für seine Oper ein
modernes, neues Theater gebaut! -, gründete Weimars Intendant
Stephan Märki eine GmbH mit besonderen Bedingungen. Vom Land
Thüringen mit der festen Summe von jährlich 15,845
Millionen ausgestattet, hat er nach Verhandlungen mit dem
Betriebsrat Haustarifverträge abgeschlossen.
Gesellschaftlicher
Bedeutungsverlust
Die rund 400 Mitarbeiter verzichten auf
Tariferhöhungen und akzeptieren Arbeitsregelungen, die sich an
den besonderen Arbeitsbedingungen des Theaters statt an den
abstrakten Regeln des öffentlichen Dienstes orientieren. Das
so genannte Weimarer Modell, das eine Beteiligung seiner
Mitarbeiter an einem eventuellen wirtschaftlichen Erfolg vorsieht,
sowie die ähnlichen Modelle in Chemnitz und am fusionierten
Theater von Altenburg/Gera - bei dem weder Fusion noch Haustarife
das Abschmelzen der Mitarbeiterzahl von 585 auf 310 verhindern
konnten - ergeben keine radikal neuen Strukturen. Ob es
funktioniert, wird sich erst bei den Verhandlungen mit dem Land
über die weitere Förderung nach dem Jahr 2008
zeigen.
Mecklenburg-Vorpommern plant, die
Bezuschussung seiner Theater von deren Rentabilität und
Zuschauerzahlen abhängig zu machen. Ziel ist, noch mehr
Kooperationen und Fusionen als die zwischen den 20 Kilometer
entfernten Neubrandenburg und Neustrelitz sowie zwischen den 30
Kilometer auseinander liegenden Greifswald und Stralsund zu
erzwingen.
Doch Untersuchungen, ob und wieviel Ersparnis
diese Fusionen letztlich bringen, gibt es nicht. Dabei sind die
Sparwünsche an die Theater auch Ausdruck ihres
gesellschaftlichen Bedeutungsverlustes. In einer modernen
Medienwelt, in der man sich in Talkshows darstellen und in einer
Eventkultur verlieren kann, hat das Theater seine zentrale Funktion
als Ort sozialer Integration und Selbstreflexion für ein
einverständiges (kultur)bürgerliches Publikum weitgehend
verloren. Zumal in Kleinstädten hat es dafür oftmals eine
neue Funktion gewonnen: Nämlich Ort sozialer Diskurse für
die unterschiedlichsten sozial und altersmäßig
strukturierten "Publikümer" zu sein.
Was bedeutet, die Theater müssen
unterschiedlichste Formen auf kleinen Bühnen anbieten. So geht
der Vorhang nicht weniger, sondern immer öfter auf, gerade
weil die Theater weniger Zuschüsse erhalten. Nur gerät
dabei die Autonomie der Kunst in Gefahr. Weil sich die Theater nach
der Decke strecken müssen, die ihnen die Politiker
gewähren und die das Publikum verlangt. Quote ist gefragt, und
die kommt vor allem mit Unterhaltung. So bringt der Rotstift nicht
nur den Sparzwang, sondern oftmals auch den
Spaßzwang.
Finanziell eigenverantwortlich
Ein Beispiel: die Vorpommersche
Landesbühne, seit 1993 GmbH und finanziell
eigenverantwortlich, erlaubt sich weder Weihnachts- noch
Urlaubsgeld, keine Lohnerhöhung und keine Ferien. Man hat eine
Theaterakademie gegründet, deren Studenten bereits
während der Ausbildung das 14-köpfige Ensemble
unterstützen. Man bespielt im Sommer auf Usedom in Heringsdorf
ein Tanzzelt am Strand und eine ehemalige Strandkorbhalle im Ort
Zinnowitz. Außerdem produziert man auf einer
Freilichtbühne in Zinnowitz und auf einer Hafenbühne in
Barth zwei Vineta-Festspiele mit Schauspielern und Laien.
Überlebenskunst und Theaterkunst kommen sich da zuweilen, aber
nicht immer in die Quere.
Das beste Spar- und Reformmodell für
Deutschlands Theaterlandschaft ist noch nicht gefunden. Auch, weil
die praktizierten Strukturänderungen längst nicht auf
ihre Wirksamkeit untersucht sind. Dabei würde es schon helfen,
wenn sich die Kulturpolitiker, statt immer wieder so
plötzliche wie planlose Kürzungen zu verkünden,
einmal zu konzeptionellen Überlegungen durchringen
könnten. Die Fragen, die dafür zu stellen sind, hat das
Bündnis für Theater des Ex-Bundespräsidenten Rau
längst aufgezählt.
Hartmut Krug ist freier Kulturjournalist, Berlin.
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