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Astrid Pawassar
Originale unter Artenschutz
Einmalige Ausstellung zur Denkmalpflege in
Dresden
Der Laie mag sich wundern, warum die Dresdner Frauenkirche, kaum
dass sie wieder aufgebaut ist, gleich wieder zugebaut wird. Ihr zu
Füßen, wo bis vor kurzem ein Hotelparkplatz war, drehen
sich schon wieder die Baukräne. Dabei bekam man gerade hier,
quer über den ehemaligen Neumarkt hinweg, einen einmaligen
Gesamteindruck von Dresdens neuem Wahrzeichen. Der wird
demnächst beeinträchtigt sein durch ein
siebengeschossiges Gebäude, das sich "Quartier an der
Frauenkirche" nennt. Ein italienischer Tuchhändler investiert
65 Millionen Euro, um die Dresdener Altstadt mit neuen
Einkaufsmöglichkeiten, gastronomischen Betrieben, Galerien und
einem Fünf-Sterne-Hotel zu bereichern. Richtfest wird zwei
Tage vor der Frauenkirchen-Weihe am 30. Oktober sein.
Doch diesmal hält Dresdens vielköpfige Expertenschar
für ästhetische Stadtplanung ebenso still wie die nicht
minder lautstarke Gruppe der Bewahrer historischer Bausubstanz und
Verfechter sinnhafter Blickbeziehungen. Kein Wunder, denn sie alle
wissen, wie der Neumarkt Jahrhunderte lang ausgesehen hat: eng
bebaut mit vier- bis fünfstöckigen barocken
Bürgerhäusern, zwischen denen schmale Gassen nur
gelegentlich den Blick auf den Sockel der Frauenkirche freigaben.
Die gewaltige Kuppel der Kirche ragte wie eine Krone aus dem
Häuser- und Gassengewimmel heraus, besonders gut zu sehen auf
einer Vedute des italienischen Malers Canaletto aus dem Jahre
1750.
Mammutprojekt Altstadt
Wo heute hauptsächlich parkende Autos stehen, wird in
einigen Jahren quirliges Leben einziehen - wenn alles gut geht.
Denn die gesamte Rekonstruktion des historischen Neumarktes rund um
die Frauenkirche wird von privaten Investoren getragen. Bei dem
größten Wiederaufbauvorhaben in Deutschland seit
Kriegsende soll Dresden nicht weniger bekommen, als eine komplett
neue Altstadt. Eine Chance, wenigstens einen Teil der im Krieg
völlig zerstörten bürgerlichen Architektur in der
Innenstadt wieder erfahrbar zu machen. Rund vier Hektar gilt es zu
bebauen. Um die privaten Bauherren nicht zu vergraulen, schreibt
die Planungsgruppe der Stadt lediglich um die 20 so genannte
"Leitbauten" vor, die historisch besonders ausführlich
dokumentiert sind und daher - wo möglich auf
Originalfundamenten - rekonstruiert werden müssen. Die werden
dann barocke Fassaden oder Rokokoportale haben und auch dahinter
möglichst viel an ursprünglichen Bauelementen wie
Stuckdecken und Gewölbekeller aufweisen, ansonsten aber
für eine moderne Nutzung als Wohn-, Büro- und
Geschäftshäuser ausgestattet sein. Für die restliche
Bebauung sind unter anderem Ziegeldächer und eine bestimmte
Farbpalette für die Fassadengestaltung vorgeschrieben.
"Scheinaltertümer hinstellen ist weder wahre Kunst noch
wahre Denkmalpflege", hat der Autor des bis heute tonangebenden
"Handbuchs der Deutschen Kunstdenkmäler", Georg Dehio, bereits
1905 gesagt. Dehio hielt weitaus mehr vom Konservieren als vom
Rekonstruieren. Die Dresdner aber wollen ihre Altstadt so wie sie
vor den zerstörerischen Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg
war: Zwinger und katholische Hofkirche haben sie auf ihren
Trümmern wiederaufgebaut, die Semperoper komplett
rekonstruiert. Seit Jahren wird am ehemaligen Residenzschloss
gearbeitet, das als Museumszentrum mit wertvollen Schätzen wie
dem "Grünen Gewölbe" dereinst wenigstens einen Teil der
190 Millionen Euro wieder einbringen soll, die der Freistaat in die
Sanierung investiert. Das Schloss hat in seiner langen
Entstehungsgeschichte, deren Ursprünge im zwölften
Jahrhundert liegen, sein Aussehen mehrfach verändert. Dem
trägt der Wiederaufbau Rechnung, dem heftige Debatten unter
Denkmalschützern vorausgegangen waren. So wird der Schlosshof
im Renaissancestil mit üppigen Sgraffiti ausgestaltet,
während die Fassaden dem Zustand gegen Ende des 19.
Jahrhunderts entsprechen.
Ein Ort wie geschaffen für das Anliegen der Historikerin
Ingrid Scheurmann. Sie wollte zum 100. Geburtstag des "Handbuchs
der Deutschen Kunstdenkmäler" mit der durchaus provozierenden
Ausstellung "ZeitSchichten" auf die Bedeutung des Denkmalschutzes
in unserer Zeit aufmerksam machen. Wer sich von dem Stück
Berliner Mauer vor Dresdens Residenzschloss und dem Dehio-Zitat
"Wir konservieren ein Denkmal nicht, weil wir es für
schön halten, sondern weil es ein Stück unseres
nationalen Daseins ist" anregen lässt, findet im Inneren des
Schlosses die ganze Bandbreite denkmalpflegerischer Arbeit und
Diskussion mit zum Teil spektakulären Exponaten. Ein
kolorierter Fassadenaufriss des Kölner Domes aus dem Besitz
Johann Wolfgang von Goethes gehört ebenso dazu wie die
Gipsabdrücke der Quadriga vom Brandenburger Tor aus dem Jahre
1942. "Denkmale stehen für kulturelle Identität und
gesellschaftliches Gedächtnis", betont die
Ausstellungskuratorin. So hat sie im Audienzsaal August des Starken
um dessen stattlichen Thron die Sitzplätze moderner Machthaber
versammelt: Sitze aus dem Bonner Plenarsaal des Bundestages und
eine Bankreihe aus der DDR-Volkskammer.
"Unter Umnutzungsdruck" stehen die Denkmale in der heutigen Zeit
durch den demographischen Wandel und die daraus resultierende
Schrumpfung von Städten in Kombination mit leeren
öffentlichen Kassen. Die Eliaskirche am Berliner Prenzlauer
Berg steht als ein Beispiel dafür, die heute Kindermuseum ist.
Gleichzeitig erfreuen sich die Menschen an Retro-Look,
Mittelaltermärkten und historischen Reminiszenzen wie der
Dresdener Frauenkirche. Denkmaltourismus und Kommerzialisierung der
Historie sind allgegenwärtig, suggeriert ein weiterer
Ausstellungsraum - aber was davon drückt echte Verbundenheit
mit dem kulturellen Erbe aus. Welches sind die Denkmale der
Zukunft? Der Einsteinturm in Potsdam vielleicht oder das noch nicht
gebaute gläserne Hochhaus im Berliner Spreebogen? Und warum
ist es nicht die ehemalige Gaststätte "Inselparadies" in Baabe
auf Rügen, ein schwerelos wirkender Betonschalen-Glasbau aus
dem Jahr 1966? "In den 70er-Jahren war das ein beliebtes
Postkartenmotiv, heute tummeln sich dort die Vandalen", klagt
Ingrid Scheurmann. Die Dresdener Ausstellung spart nicht mit
Denkanstößen und Provokationen. Überraschungen hat
aber die Kuratorin selbst erlebt, als sie Lehrlinge, die am Aufbau
der Ausstellung beteiligt waren nach ihren Favoriten für die
Denkmalliste der Zukunft fragte. "Sie fanden ihren Lebensraum
erhaltenswert, den DDR-Plattenbau."
Dass die Denkmalpflege seit jeher um den richtigen Ausdruck
für ihre jeweilige Zeit gerungen hat, belegen nicht nur die
unterschiedlichen Entwürfe zur Nutzung der Wartburg. Carl
Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach hat sich darüber mit
Goethe beraten, der sie als passenden Ort für ein deutsches
Nationalmuseum empfand. Auch die Vollendung des Kölner Domes
im 19. Jahrhundert wurde als Beitrag zur nationalen Einheit
betrachtet, an dem sich jeder bei der Domlotterie beteiligen
konnte.
Instrumentalisierung durch die Nazis
Besonders sorgfältig und eindringlich hat Ingrid Scheurmann
die 30er-Jahre abgebildet, die Zeit der Instrumentalisierung von
Denkmalen durch die Nationalsozialisten. Mittelalterliche
Monumentalbauten, vornehmlich an Orten des "Heinrich-Kultus",
wurden zu Weihestätten der Bewegung. Den Braunschweiger Dom
traf dieses Schicksal ebenso wie die Stiftskirche in Quedlinburg
oder die Burg Trifels. Besonders perfide jedoch ging es bei
Heinrich Himmlers Lieblingsprojekt zu. Für den Umbau der
westfälischen Wewelsburg zur Nazi-Kultstätte wurden
Insassen des eigens zu diesem Zweck im Ort errichteten KZs
herangezogen. Die SS-Runen in der Lederlehne eines Stuhles aus dem
ehemaligen Großen Gerichtssaal der Burg bezeugen in der
Ausstellung diesen Wahn. Am Ausgang des Raumes mahnt eine
Vorfassung von Barlachs "Schwebendem Engel" den Betrachter wortlos
zur Wachsamkeit.
Das Anliegen der Ausstellung "ZeitSchichten" wäre
unvollkommen, gäbe es nicht auch dem Wirken des bedeutendsten
Fürsprechers des Denkmalschutzes, Georg Dehio, einen Raum. Und
auch die konkrete Arbeit der heutigen Denkmalpfleger ist zu
besichtigen: In Schauwerkstätten, in denen am Inventar
für die Rekonstruktion des Historischen Grünen
Gewölbes im Dresdener Residenzschloss gearbeitet wird. In der
Schlosskapelle erfährt man, wie historische Glasfenster
restauriert und Wandmalereien freigelegt werden; ein Lichtmikroskop
entlarvt Schäden an Gläsern oder Steinen.
Bis zum 13. November ist die einmalige Schau mit mehr als 1.000
Exponaten im Dresdener Residenzschloss zu sehen. Und wer nach
diesem vehementen Plädoyer für den Denkmalschutz im Sinne
einer Bewahrung originaler Zustände wieder in das Geschehen
auf der Rückseite des Schlosses eintaucht, wird manche
Erscheinung im Stadtbild mit anderen Augen betrachten. Astrid
Pawassar
Internet: www.zeitschichten.de
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