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Tina Heidborn
Unter einer merkwürdigen Art des
Artenschutzes
Kulturdialog zwischen Migranten und
Deutschen
"Die Violine ist ursprünglich auch kein
deutsches Instrument", sagt Volker Gerland mit Nachdruck. Gerland
ist Leiter der Musikschule Dortmund. Diese bietet ab Herbst
Saz-Kurse an. "Saz: Türkische Langhalslaute mit gezupften
Saiten", definiert das Lexikon. "Ich sehe das nicht als Beitrag zur
Förderung der türkischen Kultur in Deutschland", so der
Musikschulleiter. "Sondern als Förderung der pluralistischen
Kultur in Deutschland." Er hofft, mit den Kursen verstärkt
Kinder aus türkischen Familien in Deutschland anzuziehen.
Migrantenkinder seien auf den Fluren seiner Einrichtung
unterrepräsentiert, sagt der Musikschuldirektor. Doch bislang
ist das Defizit höchstens "gefühlt", Zahlen und
Statistiken fehlen, man stochert im Vagen.
Das Thema Migration ist in der deutschen
Kulturdiskussion angekommen: Deutschland ist ein Einwanderungsland
- auch Kulturpolitikern, Museumsdirektoren und Theaterdezernenten
wird zunehmend bewusst, dass sie darauf reagieren müssen.
Interkulturpolitik heißt das neue Zauberwort. Das Land
Nordrhein-Westfalen lässt in einem Pilotprojekt gerade sechs
Kommunen praktisch ausprobieren, wie sich deutsche
Kultureinrichtungen stärker für Zuwanderer öffnen
könnten. Für die Stadt Dortmund koordiniert
Musikschulleiter Gerland das Unternehmen.
Nurkan Erpulat studiert an einer
ehrwürdigen deutschen Hochschule Schauspiel-Regie, als
einziger Türke weit und breit. Der 30-Jährige ist extra
aus Istanbul zum Studium nach Berlin gekommen; die
Aufnahmeprüfung der Schule garantiert eine kleine Zahl
handverlesener Studenten. Dennoch werde ihm vielfach Hochkultur
nicht zugetraut. "Da kommt dann die Frage, ob ich Shakespeare
kenne. Bei Migranten-Themen heißt es sofort: Du bist dran!
Kein Problem, ein Stück zu machen über zwei jugendliche
Türken, die Autos klauen und Drogen verkaufen. Aber Heinrich
IV?!". Für Erpulat besteht das Problem in einer
grundsätzlichen Kultureinstellung in Deutschland:
"Türkische Kultur, oder indische, afrikanische, wird nicht als
Hochkultur gesehen, anders als englische oder französische.
Das ist mehr so ethnische Kultur." Willkommen - wenn überhaupt
- als Bereicherung des Lebens, als zusätzliche Farbe im
Spektrum. Aber keine Hochkultur, mit der sich die deutsche
Kulturnation auf Augenhöhe auseinandersetzen müsste. Und
deshalb, findet der Regie-Student, stehen Kulturaktivitäten
von Migranten in Deutschland auch unter einer merkwürdigen Art
Artenschutz: Nurkan Erpulat kann sich rechtschaffen über
deutsche Politiker ereifern, die zwar Geld für
türkischsprachige Theater in Deutschland bereit stellen, aber
nie deren Qualität und Auslastung überprüfen. Wer
sich nicht am allgemeinen Maßstab messen muss, fühlt sich
auch nicht ernst genommen.
Ort interkultureller Kommunikation
Ist es überhaupt Aufgabe einer
Interkulturpolitik, türkischsprachige Theater, griechische
Volkstanzgruppen oder russische Balalaika-Ensembles in Deutschland
zu fördern? "Wir selbst machen keine monoethnischen
Veranstaltungen", sagt Heinz Räther, Kulturmanager bei der
Werkstatt der Kulturen in Berlin. Die Werkstatt begreift sich als
ein "Ort interkultureller Kunst und Kommunikation", als Plattform
für Migranten und migrantische Themen, sofern sie
grenzüberschreitend sind. Die Tanz- und Theaterabende der
Einrichtung ziehen ein ziemlich gemischtes Publikum an: Knapp 40
Prozent der Besucher haben einen "Migrationshintergrund", was in
diesem Fall bedeutet: Sie selbst oder ein Elternteil ist nicht in
Deutschland geboren. Zugleich sind sie überdurchschnittlich
gebildet. Bildungsferne Schichten, sagt Räther offen, kommen
nicht ins Haus: "Egal, ob migrantisch oder deutsch, das Kernproblem
ist dasselbe: Die haben Scheu, Kulturhäuser zu betreten."
Statt über Kultur und Migration könnte man vielfach auch
einfach über Bildungschancen von Migranten reden.
Als Veranstaltungsort steht die Werkstatt der
Kulturen aber für die einzelnen Berliner Migrantenvereine
offen. Viele dieser Vereine plagen inzwischen Nachwuchssorgen:
Mussten die ersten "Gastarbeiter" in den 70er- und 80er-Jahren noch
eigene Kultur-Vereine gründen, in denen sie Traditionelles in
der Fremde pflegten, finden ihre Kinder diese Vereine ähnlich
attraktiv wie junge Deutsche die Männergesangsvereine ihrer
Großväter. Räther sieht diese Entwicklung nicht
ungern: "Ich glaube, die ständige Rückversicherung auf
die Herkunftskultur fördert die Integration nicht." Gebildete
jüngere Migranten sind seiner Erfahrung nach besonders offen
für interkulturelle Projekte. "Die wollen Normalbehandlung."
Gerade die zweite, dritte Generation sehe sich als Teil der
deutschen Gesellschaft.
Doch die deutsche Kulturbürokratie
trennt oftmals nach Migrant und Nicht-Migrant beziehungsweise
Deutsch und Nicht-Deutsch. "Es ist natürlich ein
Riesenunterschied im Renommee, ob man als Künstler aus dem
Fonds zur Förderung kultureller Aktivitäten
ausländischer Mitbürger gefördert wird oder aus dem
Hauptstadtkulturfonds", sagt Räther. Die Werkstatt der
Kulturen selbst ist beim Integrationsbeauftragten angesiedelt,
nicht beim Berliner Kultursenator.
Migration bedeutet: Die fremde Kultur lebt
gleich nebenan. Wie können wir Migranten besser in unsere
Vereinstätigkeit einbinden? Diese Frage beschäftigt auch
Irina Gerybadze-Haesen, die Vorsitzende der "Deutsch-Russischen
Brücke Bad Homburg". Deutsche, die sich für russische
Kultur interessierten, initiierten vor zehn Jahren eine
Städtepartnerschaft mit dem russischen Peterhof. Mittlerweile
sind 20 der rund 200 Vereinsmitglieder Zugewanderte aus der
ehemaligen Sowjetunion. "Es waren vor allem russische Juden, die
den Kontakt zu uns gesucht haben", berichtet Gerybadze-Haesen.
Für sie war der Verein eine Gelegenheit, um mit Deutschen in
Kontakt zu kommen. "Für den Verein war das natürlich eine
Bereicherung. So haben wir das auch immer empfunden", sagt die
Vorsitzende.
Von den ebenfalls im Bad Homburger Umfeld
lebenden deutschen Spätaussiedlern aus der ehemaligen
Sowjetunion bekommt der Verein dagegen kaum etwas mit: Nur ganz
vereinzelt hat da jemand Kontakt aufgenommen. Eine junge Frau gibt
russische Sprachkurse in dem Verein. "Viele Aussiedler sind nicht
so gebildet, die meisten wollen auch ihre Vergangenheit hinter sich
lassen", weiß Irina Gerybadze-Haesen. Doch wer nicht von sich
aus kommt, muss vielleicht direkter eingeladen werden? "Wir
dürfen uns vor diesen neuen Bewohnern nicht
verschließen", hebt die Vereinsvorsitzende hervor, "und
wahrscheinlich müssen wir Deutschen den ersten Schritt auf die
hier lebenden Migranten zugehen". Sonst habe man irgendwann
russische Kultur in Deutschland, die mit den deutsch-russischen
Kulturvereinen nichts zu tun habe.
Inspiration durch Integration
Auch der Dortmunder Musikschulleiter Volker
Gerland sieht die deutsche Seite in einer "Bringschuld"
gegenüber den Migranten: "Wir müssen unsere Angebote
deutlich machen." Russische Eltern beispielsweise schickten ihre
Kinder nur selten in die Musikschule, weil diese in ihrer Heimat
Teil einer Elite-Ausbildung war. "Aber in Deutschland kann man zur
Musikschule kommen, auch wenn man mit zehn Jahren noch nicht Chopin
spielen kann."
Der Wille ist da, die Wege sind unbekannt:
Auch der aktiven Dortmunder Musikschule fällt es schwer, ihre
Angebote in die einzelnen Communities zu kommunizieren. Volker
Gerland hat im Rahmen des NRW-Pilotprojektes einen runden Tisch
organisiert, damit Vertreter von Dortmunder Migrantengruppen,
deutsche Kultureinrichtungen und Künstler, egal welchen
Hintergrundes, zusammenkommen. "Wir haben dadurch Leute
kennengelernt, die unsere Saz-Kurse in den türkischen
Gemeinschaften bekannt machen", sagt Gerland.
Statt des großen Geldes setzt er auf
viele kleine Ideen: Imageflyer in verschiedenen Sprachen,
Kulturscouts, die die einzelnen Communities mit der Musikschule
vernetzen. "Wenn man es schafft, hat man eine klassische
Win-Win-Situation", ist Gerland überzeugt: In
traditionsreichen deutschen Einrichtungen wie Musikschulen wirke
eine Öffnung und Erweiterung des Angebots geradezu befreiend.
Inspiration durch Integration. Saz-Kurse für alle
Interessierten, ähnlich wie Didgeridoo und Dudelsack. Und den
Migranten signalisiere dies: Wir sind offen für euch und eure
Kultur.
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