Barbara von der Lühe
Ein tiefer Graben des Misstrauens
Asiens Großmächte China und
Japan
Ob Kleiderexporte aus China, der weltweite
Ankauf von Energie- und Rohstoffquellen oder die Verlagerung von
Arbeitsplätzen aus Europa nach Asien - kaum ein Tag vergeht
ohne spektakuläre Schlagzeilen über Chinas
Wirtschaftsboom. Das überwiegend positive China-Bild der
letzten Jahre scheint kritischer Distanz zu weichen: Nach der
China-Euphorie der vergangenen Jahre verstärkt sich im Westen
die Sorge, dass aus dem Zukunftsmarkt eine Konkurrenz
erwächst.
Nach einem Vierteljahrhundert
Öffnungspolitik zählt China heute zu den wichtigsten
Exportmärkten für Europa, die USA und Japan. Doch auch
der Export aus China boomt weltweit, ebenso wie Chinas
Investitionen im Ausland. Die US-Konjunktur ist sogar abhängig
von den chinesischen Dollar-Reserven, Tendenz steigend, und Chinas
Bruttoinlandsprodukt wächst seit Jahren auf
Rekordhöhe.
Auch Chinas Bedeutung für die deutsche
Export- und Import-Wirtschaft nimmt ständig zu. Technologisch,
so Karl Pilny, habe Europa in vielen Schlüsselindustrien schon
lange den Anschluss an die USA, aber auch an Asien verloren; eine
Vormachtstellung Asiens sei zukünftig möglich. Die Folgen
des ökonomischen Booms seien auch für Asien gravierend -
in keiner anderen Weltregion herrsche eine solche Geschwindigkeit
des wirtschaftlichen und sozialen Wandels. Schließlich werden
zur Jahrhundertmitte zwei Drittel der Menschheit in Asien
leben.
Dem habe die Außen- und
Wirtschaftspolitik der anderen Global Player Rechung zu tragen und
eine positive Haltung einzunehmen, appelliert der Berliner
Wirtschaftsjurist und Ostasienexperte an die Europäer. Pilnys
tief greifende Analysen des Aufstiegs Japans und Chinas zu
wirtschaftlicher Macht und seine abwägenden Prognosen sind
geeignet, die zunehmend emotionalisierte Diskussion über die
wachsende Bedeutung Asiens, deren Argumente an frühere
Debatten über die "gelbe Gefahr" erinnern, zu
versachlichen.
Profund schildert der Autor die
gegenwärtige politische, soziale und wirtschaftliche Situation
in China. Zentrales Thema des Buches ist der Vergleich zwischen
China und Japan unter politischen und ökonomischen Aspekten,
ausgehend von den kulturellen und historischen Hintergründen.
Angesichts der ak-tuellen Spannungen zwischen beiden Nationen ist
Pilnys Analyse des vielschichtigen Verhältnisses besonders
wichtig.
Der kompakte Überblick über die
Geschichte Chinas und Japans macht deutlich, dass der kulturelle
Austausch, insbesondere der "Kulturexport" von China nach Japan
seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. deren Beziehungen bis heute
prägt. Pilny, der jahrelang als Jurist und
Universitätsdozent in Japan gearbeitet hat, nennt es "einen
verdeckten Minderwertigkeitskomplex" Japans gegenüber der
chinesischen Kultur.
Überschattet wird das bilaterale
Verhältnis aber vor allem von den militärischen
Auseinandersetzungen zwischen Japan und China, die mit dem
japanisch-chinesischen Krieg 1894/95 begannen und bis 1945
andauerten. In sachlicher Kürze schildert der Autor die
japanische Besetzung Chinas im 20. Jahrhundert, die blutigen
Ereignisse des japanisch-chinesischen Krieges seit 1937 und das
Massaker japanischer Truppen an der Bevölkerung von Nanking im
Dezember 1937.
Die Weigerung aller bisherigen japanischen
Regierungen, die Schuld dafür und für die Grausamkeiten
der Besatzungszeit generell anzuerkennen und sich zu entschuldigen,
sind Hauptstreitpunkte zwischen Japan und China.
Pessimistisch lautet Pilnys Schlussfolgerung,
dass trotz aller wirtschaftlichen Zusammenarbeit Chinas und Japans
letztlich ein tiefer Graben des Misstrauens eine enge politische
Kooperation verhindere. Während er Japans Zukunft unter dem
Druck notwendiger Reformen zurückhaltend beurteilt, sieht
Pilny Chinas Entwicklung und dessen Beziehungen zum Westen
optimistisch: China werde als echter Global Player eher eine
passive Weltmacht sein, der an harmonischen und komplementären
Beziehungen zu seinen Nachbarn und anderen Mächten
liege.
Karl Pilny
Das asiatische Jahrhundert.
China und Japan auf dem Weg zur neuen
Weltmacht.
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005;
340 S., 24,90 Euro
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