Jens Hacke
Last und Lust der Erinnerung
Deutsche Nationalsymbole nach 1945
Weit verbreitet ist die Klage über die Symbolarmut der
Bundesrepublik. Ein Repräsentationsdefizit beklagte man gerade
in Bonn, wo nach landläufiger Meinung der sachliche Charme
einer Sparkassenfiliale anstatt weihevoller Staatsarchitektur
anzutreffen war. In der alten Bundeshauptstadt regierte das
Geradlinig-Bescheidene, wohingegen der Umzug nach Berlin auf einmal
den Umschwung ins Gegenteil befürchten ließ: Das als
monumentales "Kohlosseum" gescholtene Kanzleramt, ein historisch
kontaminierter Reichstag und die NS-Architektur des
Finanzministeriums riefen sofort die Kritiker auf den Plan. Hier
haben sich alle Probleme umgekehrt, denn überall lauert in der
ehemaligen Reichshauptstadt die Geschichte.
Wir scheinen also gerade nicht einen symbolischen Mangel zu
verwalten, sondern wir haben es im Gegenteil mit einer
Überfülle an geschichtsträchtigen Orten und Symbolen
zu tun. Kaum ein Land, das in den letzten anderthalb Jahrhunderten
so rege wie die Deutschen seine Regierungssitze,
Parlamentsgebäude und Flaggen wechselte. Das Problem scheint
immer noch zu sein, mit dieser historischen Fracht adäquat
umzugehen - und nebenbei noch eine normativ verbindliche
Repräsentanz für die Berliner Republik zu
bewerkstelligen.
Der Politikwissenschaftler Peter Reichel, ein ausgewiesener
Experte in Fragen der Geschichtspolitik, bietet nun einen ebenso
kurzweiligen wie fundierten Überblick zu den markantesten
deutschen Erinnerungsorten, die als umstrittene staatspolitische
Wahrzeichen auch noch unsere Gegenwart bestimmen. Von der
"Erinnerungslast" zur "Erinnerungslust" - so könnte man dieses
schwierige Ringen um eine historisch fundierte staatliche
Identität beschreiben.
Für die junge Bonner Republik gab es keine
selbstverständlichen Bezugspunkte. Weder wusste man, welche
Hymne zu singen oder welche Flagge zu hissen seien, noch, welcher
Regierungssitz dem Staatszeremoniell ein Gesicht geben könnte.
Die Politik stand vor dem Problem, demokratische Tradition für
eine Gesellschaft zu (er)finden, die daran in der Phase des
Wiederaufbaus kein besonderes Interesse besaß.
Die Aufgabe gestaltete sich schon deswegen schwierig, weil die
demokratischen Traditionen von der Paulskirche bis in die Weimarer
Republik mit dem Makel der Niederlage behaftet waren. Weder die
Wahl des Staatsemblems noch die Festlegung der Nationalhymne waren
unumstritten. Für die SPD lag die Entscheidung für
Schwarz-Rot-Gold auf der Hand; die CDU/CSU hingegen setzte sich
damals vergeblich für ein schwarz-goldenes Kreuz auf rotem
Grund ein. Doch auch als sich die Parteien geeinigt hatten,
konkurrierte die Bundesrepublik farblich mit dem identischen
Entwurf der DDR, die das Dilemma erst sukzessive mit Hammer, Sichel
und dem 1953 hinzugefügten Zirkel löste.
In der Frage der Hymne war es wiederum der pragmatische
Adenauer, der einfach die bewährte Hymne kürzte und damit
dem volkstümlichen Bedürfnis nach "Gemeinschaftsgesang"
entgegenkam, während Bundespräsident Heuss - über
den Vorstoß des Kanzlers verärgert - ursprünglich
ein neu komponiertes Opus nach einem Text von Rudolf Alexander
Schröder installieren wollte.
Gewohnt souverän fasst Reichel die geschichtspolitischen
Debatten zusammen: Er erzählt die "Siegesgeschichte" des 20.
Juli, der in den 50er-Jahren noch von weiten
Bevölkerungsteilen als Verrat stigmatisiert wurde, und
beschreibt die Neubewertungen, die der 8. Mai 1945 vom Tag der
Niederlage bis hin zur Feier der Befreiung durchmachte, nicht ohne
kritische Nebentöne. Denn jenseits aller politischen
Korrektheit verführt der heutige Befreiungskonsens zu der
erstaunlichen Sichtweise, dass die Deutschen mehrheitlich nicht
Täter, sondern Opfer gewesen seien.
Mit deutlicher Sympathie bewertet Reichel schließlich die
neue Hauptstadtarchitektur. In Norman Fosters Modernisierung des
Reichstags, aber auch im durchsichtigen Kanzleramt könne man
eine gelungene Synthese demokratischer Transparenz und
selbstbewusster Staatsästhetik sehen. Ob dagegen das
Holocaust-Mahnmal so verfehlt ist, wie Reichel behauptet,
darüber lässt sich schon jetzt - knapp ein halbes Jahr
nach der Eröffnung - trefflich streiten
Peter Reichel
Schwarz-Rot-Gold. Kleine Geschichte deutscher Nationalsymbole
nach 1945.
Verlag C.H. Beck, München 2005; 224 S., 16,90
Euro
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