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Alexander Weinlein
Sondierungsgespräche an der Basis
Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis
90/Die Grünen in Oldenburg
"Die Metamorphose zur Oppositionspartei", so
hatte es die politische Bundesgeschäftsführerin Steffi
Lemke bereits vor der Eröffnung der Bundesdelegiertenkonferenz
angekündigt, würden Bündnis 90/Die Grünen am
15. Oktober in Oldenburg vollziehen. Doch wie gestaltet sich eine
solche Formwandlung und was macht eine Oppositionspartei
überhaupt aus? Nach dem Parteitag lässt es sich so
formulieren: Die Grünen fügen sich gelassen in die Rolle
der kleinsten Bundestagsfraktion, werden in Zunkunft auf andere
Führungsfiguren als Joschka Fischer setzen - und strecken
vorsichtig die Fühler nach neuen Partnern aus, um an die Macht
zurückzukehren. Wie? Das wissen sie selbst noch nicht so ganz
genau. Sie wissen nur eins: "Es wird", so formulierten es mehrere
Delegierte, "brutal hart."
Nach einem harten Wahlkampf feiern oder
demontieren Parteien gerne ihre Spitzenkandidaten - je nach dem
Ergebnis der Wahl. Nun ist es nach dem 18. September schwer
geworden, klar zwischen Siegern und Verlierern zu unterscheiden:
Die eigentlichen Verlierer - geht man nach den Prozenten - werden
wohl die neue Bundesregierung bilden und mutieren zu Siegern, und
die Gewinner - die kleinen Parteien, die entweder zulegten oder
zumindest kaum Prozentpunkte verloren haben - gehen als Verlierer
in die Opposition. Und dem kleinsten dieser verlierenden Sieger ist
obendrein seine wichtigste Führungspersönlichkeit
abhanden gekommen. Joschka Fischer hat seiner Ankündigung, in
die zweite Reihe zurücktreten zu wollen, um bei den
Grünen einen Generationenwechsel einzuleiten, ein sichtbares
Zeichen folgen zu lassen: Sein Stuhl auf dem Podium in der
Weser-Ems-Halle in Oldenburg blieb leer. "Vielleicht", so ließ
es der Parteivorsitzende Reinhard Bütikofer durchblicken,
"hatte er Angst, dass es rührselig wird."
Dank für Fischer, der die Grünen
1998 in und dann sieben Jahre durch die Höhen und Tiefen der
rot-grünen Koalition geführt hat, gab es natürlich
trotzdem: Der zurückliegende Wahlkampf sei für "Joschka
brutal hart und für uns extrem motivierend gewesen", dankte
Bütikofer. Mehr als 100.000 Menschen hätten ihn auf
seiner Wahlkampftour live gehört, er sei zudem
"Brückenkopf in gesellschaftliche Millieus" gewesen, die "wir
sonst nicht erreicht hätten". "Vielen Dank für die
letzten 20 Jahre - und wir werden beieinander bleiben." Es folgte
ein artig-freundlicher Applaus für jenen Mann, der bis vor
wenigen Wochen halb spöttisch, halb bewundernd noch als
"heimlicher Parteivorsitzender" und "Gott Vater" tituliert
wurde.
Auch wenn die Grünen von sich gerne
behaupten, sie verweigerten sich jeglichem Personenkult, will das
Parteivolk seine "Helden" aber trotzdem feiern und bedachte
Hans-Christian Ströbele - die "Ein-Mann-Volkspartei"
(Bütikofer) - mit minutenlangem, frenetischen Beifall für
dessen Sieg in seinem Berliner Wahlkreis. Ströbele holte dort
mit 43 Prozent der Erststimmen das einzige grüne Direktmandat.
Nach weiteren Danksagungen für Claudia Roth, Renate
Künast und Kerstin Andreae für ihre guten
Wahlkreisergebnisse folgten die verabschiedenden Dankesworte
für Antje Vollmer, Christa Nickels und Rezzo Schlauch. Auch
ihr Rückzug aus der Politik steht für den
Generationswechsel in der Partei.
Doch der eigentliche Grund, aus dem sich die
rund 750 Delegierten von Bündnis 90/Die Grünen in der
Weser-Ems-Halle in Oldenburg versamelt hatten, war, eine Bilanz
nach der Bundestagswahl zu ziehen, die Partei auf die neue Rolle
als Oppositionspartei vorzubereiten und neue strategische Optionen
auszuloten. Im Klartext: Auf welche politischen Fragen müssen
neue Antworten gefunden werden und mit welchen Parteien wäre
eine Koalition in der Zukunft denkbar?
Die Bestandsaufnahme der beiden
Parteivorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer fiel
freundlich aus: Mit 8,1 Prozent hätten die Grünen das
drittbeste Ergebnis bei Bundestagswahlen in ihrer Geschichte
errungen und ein wesentlich besseres, als insgeheim
befürchtet. Bei den Jungwählern liege man vor FDP und
Linkspartei und in den neuen Ländern sowie in Niedersachsen
und Bayern habe man deutlich zulegen können. Das erklärte
Wahlziel, eine schwarz-gelbe Koalition zu verhindern, habe man
erreicht, und die Abwahl von Rot-Grün ginge nicht auf das
eigene Konto, sondern auf das der SPD. Inhaltlich habe man bei den
Wählern mit ökologischen und verbraucherschutzpolitischen
Themen sowie der Strategie "Weg vom Öl" punkten können.
Defizite seien sicherlich im Bereich der Wirtschafts-, Sozial- und
Arbeitsmarktpolitik zu verzeichnen - in diesen Be- reichen
müsse sich die Partei stärker engagieren.
"Opposition ist kein Mist" - mit dieser
Umkehrung des bekannten Ausspruches von SPD-Chef Franz
Müntefering stimmte Claudia Roth die Delegierten auf die
zukünftige Rolle der Partei ein: "Die große Koalition
braucht eine starke grüne Opposition. Und die wird sie
bekommen - das versprechen wir." Auch andere führende
Grüne zeigten sich kämpferisch. Jürgen Trittin, der
für seine Rede viel Applaus erntete, rief den Delegierten zu:
"Auf ans Werk! Lasst uns eine muntere Opposition sein!"
Doch die entscheidende Frage, die im Raum
stand, war die nach möglichen neuen Koalitionspartnern.
Claudia Roth verteidigte noch einmal das mit der Union
geführte Sondierungsgespräch über die
Möglichkeiten für eine so genannte Jamaica-Koalition.
Dies habe gerade in Bayern viel zur "Entdämonisierung" der
Grünen beigetragen. Die Gespräche seien gescheitert,
argumentierte Roth, weil die Union "keinerlei Konsequenzen" aus
ihrem Scheitern bei der Wahl gezogen habe. Eine solche Koalition
wäre "ein Verrat an unseren Inhalten gewesen." Und: "Inhalte
gehen vor Macht!" Diese Parole sollte zum Leitmotiv für die
gesamte Debatte werden. So ganz trauen wollten ihr aber nicht alle.
Matthias Albrecht von der Grünen Jugend schimpfte, dass dieses
Motto schon früher unterlaufen worden sei. Er erinnere sich
noch gut an das Argument "Wollt ihr aus der Regierung fliegen", als
es um die Zustimmung der Grünen zu Auslands- und
Kampfeinsätzen der Bundeswehr gegangen sei.
Einig waren sich die Grünen
weitestgehend darin, dass es keine Äquidistanz zu anderen
Parteien im Vergleich zur SPD gebe. "Wir haben mit der SPD mehr
erreicht, als wir mit der CDU je hätten verhandeln
lönnen", meinten Renate Künast und andere Redner.
Durchgängig war der Tenor, die Union sei zu marktradikal, die
FDP zu neoliberal und die Linkspartei zu staatsfixiert. Dass das
vielzitierte Ende des so genannten rot-grünen Projektes kein
Zustand von Dauer sein muss, dies wünschte sich auch die
stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerschaftsbundes,
Ursula Engelen-Käfer, in ihrer Gastrede vor den Delegierten:
Zum einen zeigte sie sich sehr erfreut darüber, dass sich "die
Grünen nicht zum Steigbügelhalter für eine Politik
à la Westerwelle" gemacht und einer Koalition mit der Union
und der FDP eine Absage erteilt hätten. Das Motto "Inhalte vor
Macht" sei im politischen Geschäft keine
Selbstverständlichkeit mehr. Sie sicherte den Grünen die
Unterstützung für eine konstruktive Opposition zu. Auch
in Zunkunft werde es gemeinsame Projekte zwischen Rot, Grün
und den Gewerkschaften geben. Doch es gab auch Stimmen, die
deutlich machten, dass eine Öffnung Richtung Union kein
grünes Tabu mehr sein dürfe: "Der rot-grüne
Treueschwur" sei "am Ende", eine Koalition schließlich "kein
katholisches Eheversprechen". Die SPD, so war zu hören, hielte
sich schließlich auch jede Option offen und koaliere je nach
Lage mal mit der Union, der FDP oder der Linkspartei.
Hans-Christian Ströbele warf hingegen
sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale, um
zukünftige Koalitionspartner eher im linken Spektrum zu
suchen: Er habe sein gutes Wahlkreisergebnis - für das "ein
alter Mann lange stricken muss" - schließlich durch das
konsequente Festhalten an linken Positionen errungen. Und
dafür erntete er einen deutlich zustimmenden Applaus. Es war
überhaupt auffällig, dass die Grünen ihre eigene
Partei wieder viel öfter als "links" titulierten, als dies in
den vergangenen sieben Regierungs- jahren der Fall gewesen ist.
Vielleicht war es auch ein Reflex darauf, dass viele Kommentatoren
die Partei bereits vor der Bundesdelegiertenkonferenz in ihrer
Berichterstattung in der politischen Mitte verorteten.
Insgesamt verlief die Debatte um
mögliche zukünftige Koalitionspartner jedoch ruhig und
unaufgeregt. Und so wurde der Leitantrag des Bundesvorstandes
(siehe Kasten links) ohne große inhaltlichen Änderungen
von den Delegierten angenommen. Klar ist eines: Die Grünen
haben in den vergangenen Jahren die Vorzüge einer
Regierungsbeteligung - trotz vieler schmerzhafter Kompromisse -
schätzen gelernt. Und deswegen wollen sie auch genau da wieder
hin. Oder wie es es Michael Merkel vom Kreisverband Leipzig gegen
Ende der mehrstündigen Diskussion formulierte: "Die besten
Inhalte nützen nichts ohne Macht." Und: "Zahme Vögel
singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen." Zum "Fliegen"
könnte sich - zumindest theoretisch - schon bald wieder eine
Gelegenheit ergeben. Allein im komenden Jahr stehen fünf
Landtagswahlen an: Im März in Baden-Württemberg,
Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sowie im September in
Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Allerdings schätzen die
Grünen die Chance auf eine Regierungsbeteiligung gerade in
diesen Bundesländern eher gering ein.
In Sachsen-Anhalt erhielten sie bei den
Landtagswahlen 2002 gerade mal 2,1 Prozent und verpassten zum
wiederholten Male den Einzug ins Parlament. Nicht viel besser sieht
es an der Ostseeküste aus: Bei den Wahlen in
Mecklenburg-Vorpommern kamen die Grünen gerade mal auf 2,6
Prozent und sind ebenfalls nicht im Landtag vertreten. Zwar konnte
die Partei bei den Bundestagswahlen in Sachsen-Anhalt und
Meck-lenburg-Vorpommern im Vergleich zulegen, landete aber mit 4,1
beziehungsweise 4,0 Prozent in beiden Ländern unter der
Fünf-Prozent-Marke.
In Rheinland-Pfalz sind die Grünen zwar
im Landtag vertreten (Wahlen 2001: 5,2 Prozent), aber der
sozialdemokratische Ministerpräsident Kurt Beck koaliert dort
lieber mit den Liberalen, und es gibt keine Anzeichen dafür,
dass er daran etwas ändern möchte.
Immer wieder im Gespräch - und zwar seit
rund 15 Jahren - ist Baden-Württemberg, wo es zu einer ersten
schwarz-grünen Koalition auf Länderebene kommen
könnte. Im Südwesten der Republik halten die Grünen
mit 7,7 Prozent bei den Landtagswahlen 2001 und 10,7 Prozent bei
den Bundestagswahlen eine gefestigte Position. Da wundert es auch
nicht, dass Ministerpräsident Günter Oettinger den
schwarz-grünen Gedankenspielen bislang auch keine dezidierte
Absage erteilt - wenn auch eher, um den Koalitionspartner FDP nicht
übermütig werden zu lassen, wie man bei den Grünen
unkt.
Die Grünen selbst wiesen in Oldenburg
Koalitionsspekulationen in Baden-Württemberg zurück.
Mehrere Redner aus dem Landesverband äußerten deutlich
ihren Unmut darüber: Man solle sie damit in Ruhe lassen, dies
schade für den bevorstehenden Wahlkampf eher.
Das Ergebnis der Bundesdelegiertenkonferenz
lässt sich wohl am besten mit den Worten von Renate
Künast zusammenfassen: "Die Tür", so formulierte es die
neue Fraktionsvorsitzende, "ist offen." Aber "ob wir oder andere
über die Schwelle gehen, werden wir zu einem anderen Zeitpunkt
entscheiden." Und dann - so muss man wohl im Geiste hinzufügen
- wird diese Frage im konkreten Fall sehr kontrovers diskutiert
werden. In Oldenburg sind dafür allenfalls erste
Sondierungsgespräche geführt worden - mit der eigenen
Parteibasis.
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