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Jutta Witte
Favorit oder Absteiger?
Halbzeit für die CDU-Regierung in
Hessen
Sechseinhalb Jahre ist Roland Koch mittlerweile
Ministerpräsident in Hessen, zweieinhalb davon an der Spitze
einer CDU-Alleinregierung. 1999 hatte der Regierungschef sein Amt
angetreten mit dem Image eines konservativen Shooting-Stars und dem
ehrgeizigen Anspruch, die einstige Hochburg der Sozialdemokratie
vom Kopf auf die Füße zu stellen. Vier Jahre später
sah Koch trotz Spendenaffäre seine politischen Versprechen in
den Bereichen Bildung, Innere Sicherheit und Wirtschaft als
erfüllt an. Die Wähler honorierten den politischen
Kurswechsel mit der absoluten Mehrheit. Zur Halbzeit seiner zweiten
Legislaturperiode jedoch kann Koch, wenn überhaupt, mit neuen
Erfolgen nur noch in Teilbereichen punkten.
So schlägt der Ministerpräsident erstaunlich moderate
Töne an für einen, der in früheren Zeiten schon mal
als Kanzlerkandidat gehandelt wurde. "Solide und ohne Hektik" wolle
er Hessen regieren, sagt Koch. Impulse wolle er setzen, die
für andere Beispiel sind. Während die SPD das Land kurz
vor dem Abstieg wähnt, sieht Koch Hessen jedoch nach wie vor
in der Favoritenrolle. Durch die Krise, versichert er, komme es
besser als andere Länder in Deutschland. Vor dem Hintergrund
der aktuellen Finanz- und Wirtschaftsdaten jedoch erscheint diese
optimistische Einschätzung der Landesregierung gewagt. In
diesem Jahr wird nach Angaben des hessischen Finanzministeriums
erstmals in der Geschichte des Landes die Summe der Gesamtschulden
über die 30-Milliarden-Grenze klettern. Das hessische
Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr 2005 liegt mit 0,3 Prozent
unter dem Bundesdurchschnitt von 0,6 Prozent, die Arbeitslosenquote
liegt nach der neuesten Statistik mit 9,6 Prozent erstmals
über dem Durchschnitt der westlichen Bundesländer. Auf
dem Lehrstellenmarkt fehlen derzeit 12.000 Plätze.
"Es ist fünf vor zwölf", warnt nicht nur der Bund der
Steuerzahler Hessen mit Blick auf den Haushaltsentwurf für
2006, der mit einer Nettoneuverschuldung von 1,6 Milliarden Euro
einen neuen Negativrekord aufstellt. Die Ratingagentur Standard
& Poor's hat im September den langfristigen Ausblick für
Hessen von "stabil" auf "negativ" abgesenkt, eine Abstufung, die
letztlich die Kreditkonditionen für das Land verschlechtern
wird, wie SPD-Fraktionschef Jürgen Walter befürchtet.
"Die objektiven Zahlen sprechen gegen die Politik dieser
Landesregierung", konstatiert Walter. Das Schreiben schwarzer
Zahlen, moniert auch der Parlamentarische Geschäftsführer
der Grünen, Frank Kaufmann, sei für die allein regierende
CDU offenbar ein Fremdwort.
Dabei versagen Koch und sein Team nach Auffassung von SPD und
Grünen vor allem in ihren selbst gesetzten Schwerpunkten und
ihren Kernkompetenzen. Neben der Wirtschafts- und
Arbeitsmarktpolitik bemängeln beide Oppositionsparteien zu
wenig Lehrerstellen und zu viele Bildungsverlierer.
Nach Angaben von Grünen-Geschäftsführer Kaufmann
steigt im Bereich Schule nur eine Zahl - die der
Sonderschüler. Auch das viel beschworene Sicherheitsland
Hessen ist nach Einschätzung der Grünen ferne
Zukunftsmusik. So hat Hessen nach Angaben der SPD einen
Kriminalitätsanstieg von 13 Prozent und damit neun Prozent
mehr als das gesamte Bundesgebiet zu verzeichnen. Bei der
Aufklärungsquote erreiche das Land im Länderranking nur
den elften Platz.
Wirtschaftliche Stärke
Um die anhaltende wirtschaftliche Stärke Hessens zu belegen
argumentiert die Landesregierung mit anderen Indikatoren, zum
Beispiel dem Mittelstandsbarometer der Unternehmensberatung Ernst
& Young für 2005, das Hessen sowohl bei der Infrastruktur
als auch beim Thema Wirtschaftsförderung auf dem bundesweit
ersten Platz sieht. So spricht die Landesregierung von einer
ungebrochenen Wirtschaftskraft Hessens und stützt sich dabei
auf das durchschnittliche Wachstum des Bruttoinlandproduktes
zwischen 1999 und 2004. Und die finanzielle Misere des Landes ist
laut Koch dem Länderfinanzausgleich geschuldet, in den das
Bundesland Hessen seit 1999 mehr als 15 Milliarden Euro eingezahlt
habe, rund doppelt so viel wie die Summe der Neuverschuldung im
gleichen Zeitraum betrug. Diese Argumentation jedoch ist nach
Auffassung des FDP-Fraktionsvorsitzenden Jörg-Uwe Hahn
"völlig daneben", weil Koch den jetzt geltenden Kompromiss vor
vier Jahren selbst mit unterzeichnet habe.
Zumindest aus Sicht der Wirtschaft können sich die
Zwischenergebnisse der CDU-Regierung dennoch als eine gelungene
Kombination von Maßnahmen zur Haushaltkonsolidierung und
Impulsen für Investitionen sehen lassen, wie
Hauptgeschäftsführer Volker Fasbender betont. Doch auch
wenn sich die Landesregierung einzelne für die Republik
beispielgebende Projekte wie die erste teilprivatisierte
Haftanstalt oder die geplante Privatisierung der
Universitätsklinika Gießen und Marburg auf die Fahnen
schreiben kann: Der große Wurf lässt in dieser Legislatur
offenbar noch auf sich warten. Nach Überzeugung von
Jörg-Uwe Hahn liegt dies auch in der Person des
Ministerpräsidenten begründet: "Wäre Roland Koch
nicht auf so vielen Baustellen herumgelaufen, wo er nichts zu sagen
hat, sähe zumindest diese Bilanz für Hessen besser
aus."
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