Das Alphatier darf keine Schwäche
zeigen
Interview mit der Fotografin Herlinde Koelbl zur
Rolle von Politikern und den Wünschen, die niemand gerne
verrät
Die Fotografin Herlinde Koelbl versucht,
Politiker hinter ihrer Maske sichtbar zu machen und den Menschen zu
zeigen. Gerade Prominente mit einem dichten Terminkalender, die
häufig im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen,
nehmen mit der Zeit immer mehr die professionelle Rolle als ihr
Selbst an. Herlinde Koelbl: "Irgendwann wird es dann zur
Verschmelzung kommen. Der Mensch als solcher geht dann dabei
verloren. Vielleicht nicht ganz, aber mehr und mehr." Ein
Gespräch über Rollen, Macht und Sehnsüchte.
Das Parlament: Frau Koelbl, Sie haben
sich auf ihrer zwischen 1991 und 1998 entstandenen Serie "Spuren
der Macht" sehr ausgiebig mit dem Einfluss des politischen Amtes
auf den Menschen auseinandergesetzt. Muss man mit Politikern
Mitleid haben?
Herlinde Koelbl: Mitleid? Nein. Wie
kommen Sie darauf?
Das Parlament: Wenn man sich mit Ihrer
Arbeit beschäftigt, bekommt man den Eindruck, Politiker
wären in ihrer Rolle wie in einem Kokon gefangen. Einer der
Porträtierten hat zum Beispiel gesagt, seine größte
Sorge sei es, immer verschlossener zu werden.
Herlinde Koelbl: Ich würde es
anders formulieren: Politiker gehen immer mehr in ihrer Rolle auf.
Das heißt, der Mensch, der hinter dem Politiker steht,
identifiziert sich immer mehr mit dem Rollenbild des Politikers.
Irgendwann wird es dann zur Verschmelzung kommen. Der Mensch als
solcher geht dann dabei verloren. Vielleicht nicht ganz, aber mehr
und mehr. Wenn sie länger als zwölf Stunden am Tag in der
Öffentlichkeit stehen, dann versuchen sie natürlich
Masken zu tragen. Sie wollen Emotionen verhüllen und für
den anderen nicht einschätzbar sein. Sie sind geradewegs
gezwungen, ihre Rolle zu spielen. Und die wird dann immer mehr ein
Teil ihrer selbst.
Das Parlament: Hat sich dieses Denken
in Rollen in den letzten Jahren verschlimmert? Zumindest an den
Stammtischen heißt es doch immer, in der Politik zähle
heute nicht mehr Persönlichkeit, sondern nur noch Personality
- ganz anders, als etwa zu den Zeiten von Willy Brandt oder Konrad
Adenauer.
Herlinde Koelbl: Diese Menschen wie
Brandt, Wehner oder Adenauer, die hatten ja richtig große
Schicksale hinter sich. Es war Krieg und viele waren zur Emigration
gezwungen. Das waren Phasen in ihrem Leben, wo sie auf dem
Prüfstand standen und das Äußerste von Ihnen
gefordert wurde. Dagegen ist doch heute alles relativ bequem und
geordnet. Diese Art von Herausforderung in der persönlichen
Entwicklung hat keiner mehr erlebt. Aber das sind Dinge, die
Persönlichkeiten formen und prägen.
Das Parlament: Ist dieser Verlust von
Persönlichkeit nicht auch der unermüdlichen Arbeit von
PR-Profis und Spin Doktoren geschuldet? Angela Merkel hat zum
Beispiel einmal in einem Interview bedauert, es gäbe nur noch
fertige Produkte in der Politik.
Herlinde Koelbl: Ja, das war zu einem
Zeitpunkt als sie als Umweltministerin wegen der Castor-Transporte
unter schwerem Medienbeschuss stand. Damals sagte sie, man
dürfe eigentlich gar nicht mehr zeigen, wenn man zweifele oder
etwas nicht wisse. Die Leute wollen schließlich immer nur,
dass einer klar sagt, wo es lang geht. Sobald man aber in der
Öffentlichkeit Schwäche zeigt, wird das ausgenutzt. Beim
Alphatier wird Schwäche eben nicht akzeptiert.
Das Parlament: Warum lassen sich die
Menschen auf Ihre Arbeit dann überhaupt ein? Die Menschen, die
Sie porträtieren, wissen doch, dass sie irgendwann einmal in
einer Ausstellung landen werden, möglicherweise
entblößt wie der Kaiser in seinen neuen Kleidern. Gibt es
möglicherweise ein Bedürfnis, einmal aus der Rolle fallen
zu dürfen?
Herlinde Koelbl: Bei "Spuren der
Macht" habe ich den Beteiligten damals geschrieben, dass es mir um
die Verwandlung des Menschen durch das Amt ginge. Also nicht um den
offiziellen Politiker, sondern um den Menschen dahinter. Und ich
habe ihnen gesagt, dass ich sie mindestens acht Jahre begleiten
wolle. Vielleicht fanden sie das interessant, dass jemand
langfristig Interesse an ihnen als Mensch hatte; an dem Sein hinter
dem Schein.
Das Parlament: Was interessiert Sie
persönlich an den Einflüssen, denen Menschen
unterliegen?
Herlinde Koelbl: Ich habe mich schon
früh für Verhaltensforschung interessiert. Denn
Verhaltensforschung zielt auf einen ganz wesentlichen Kern. In
meiner fotografischen Arbeit lege ich zum Beispiel ganz viel Wert
auf die Körpersprache eines Menschen. Die offenbart den ganz
ehrlichen Teil von uns. Körpersprache kann man nie so steuern,
wie man das möchte. Politiker haben natürlich Schulungen
hinter sich. Aber wenn es dann etwas ernster wird, dann wird das
Körpereigene plötzlich stärker. Es ist interessant
zu sehen, wie Menschen gehen und sich bewegen. Angela Merkel zum
Beispiel ging am Anfang nur mit hängenden Schultern und guckte
ganz oft von unten nach oben. Durch die Macht aber manifestiert
sich im Körper mit der Zeit ein ganz anderes
Bewusstsein.
Das Parlament: Man wächst also
mit den Aufgaben?
Herlinde Koelbl: Ja. Das sieht man bei
Frau Merkel ganz deutlich. Bedenken Sie den Sprung, den sie in den
letzten 15 Jahren gemacht hat. In dieser Zeit lernte sie sogar,
sich anders zu bewegen. Das hat man auch bei Gerhard Schröder
erlebt. Heute geht er viel staatsmännischer als früher.
Das ist nicht nur gelernt, das ist auch ein Teil des Amtes. Das Amt
drückt sich durch den Körper aus.
Das Parlament: In Ihrer neuen Arbeit
"Goldmund" geht es ebenfalls um Kräfte, die den Menschen in
seinem Wesen verändern können. Diesmal ist es nicht die
Macht, sondern das Geld. Sie haben unterschiedlichste Menschen
gefragt, was sie tun würden, wenn sie plötzlich viel Geld
zur Verfügung hätten.
Herlinde Koelbl: Ja. Ich habe
festgestellt, dass sich Menschen schon immer viel Geld
gewünscht haben. Und dann hab ich mir gedacht: Wenn das ein so
tiefer Wunsch ist, dann will ich doch einmal der Frage
nachspüren, was Menschen tun würden, wenn sie
plötzlich dieses viele Geld hätten. Ich habe dann
verschiedenste Menschen interviewt. Und während dieser
Interviews habe ich immer nur die Münder gefilmt, nie die
Gesichter. Dadurch fühlten sie sich frei und haben sich ganz
gelöst geäußert. Ans Tageslicht kamen die irrsten
Wünsche: Ein Auto, ein Haus am Meer oder - bei Männern -
ein Harem. Zum Teil geht es auch wieder um Macht. Da schließt
sich erneut der Kreis. Einer sagte zum Beispiel, er würde sich
durch das Geld "ein bisschen Allmächtigkeit geben".
Das Parlament: Wenn man all diese
Einflüsse einmal bei Seite nimmt - Macht, Ämter, Geld:
Glauben Sie, es gibt einen Zustand oder einen Ort, wo der Mensch
vollkommen aus der Rolle fällt und ganz bei sich selber
ist?
Herlinde Koelbl: Ja. Vor dem Tod. Da
fällt alles ab. Da gibt es kein Spiel mehr. Da gibt es nur
noch Ehrlichkeit. Im normalen Leben ist dies selten der Fall.
Selbst die privaten Räume, zum Beispiel das Wohnzimmer, ist
doch letztlich in einer Art eingerichtet, mit der wir der
Außenwelt imponieren können.
Das Parlament: Wie ist das bei Ihnen?
Wenn plötzlich eine Herlinde Koelbl bei Ihnen vor der Tür
stünde....
Herlinde Koelbl: Ich habe mich
irgendwann einmal für das Leben hinter der Kamera entschieden.
Vor der Kamera braucht man eine bestimmte Personality. Die habe ich
nicht. Deshalb stehe ich lieber dahinter.
Das Interview führte Ralf Hanselle
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