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Ines Gollnick
Das Stoffgitter der Burka als Blickfang des
Dekoletés
Das UNO-Flüchtlingswerk feiert
25-jähriges Bestehen und zeigt mit afghanischer Mode neue
Formen der Kulturvermittlung
Wer Mode und Politik so elegant und erfolgreich verknüpft
wie die Afghanin Leila Noor hat das Talent zur Brückenbauerin.
Die Designerin und Frauenrechtlerin gründete 2003 mit anderen
afghanischen Frauen die "Unabhängige Afghanische
Frauenvereinigung (IAWA)". Dieser Verein fördert die
Wiederaufbauarbeit von Flüchtlingen in Afghanistan,
kümmert sich aber vor allem um den Aufbau von Schulen und
findet bei der UNO-Flüchtlingshilfe Unterstützung. Beim
25-jährigen Jubiläum der internationalen
Hilfsorganisation in Bonn stand das Schulprojekt von Laila Noor im
Mittelpunkt. Rund 200 Festgäste machten sich bei einer Moden-
und Diaschau ein Bild vom politischen und kreativen Wirken dieser
außergewöhnlichen Frau.
Sie sucht nicht den Glamour, so sehr die selbstbewusste Frau den
Auftritt auf dem Catwalk auch genießen mag. Ihr Engagement
wurzelt vielmehr in ihrer Biografie und in ihrer Fantasie. Laila
Noor, Jahrgang 1949, ist die Tochter des letzten frei
gewählten Bürgermeisters von Kabul. Mit dem Einmarsch der
Russen 1979 kommt die Zäsur in ihrem Leben. Sie flieht mit
ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland, erst nach
Bremerhaven, dann nach Bremen, wo sie noch heute lebt und ihr
Atelier hat. Sie kannte das Land durch Studienaufenthalte an einer
Modefachschule. Im Exil baute sie sich eine eigene Existenz auf,
aber sie wollte mehr.
Es stand für sie nach ihrer Flucht sofort fest, dass sie
für die Frauen in Afghanistan etwas erreichen wollte. Sie
hielt politische Vorträge über ihr Land, tat dies in
selbst entworfenen Kleidern und selbst kreiertem Schmuck und
organisierte Ausstellungen. Ihr Antrieb: Sie war entsetzt, wie
gleichgültig die Weltöffentlichkeit auf das Schicksal
ihres Landes nach dem Einmarsch der Russen reagierte. Mit ihrem
Auftreten erregt Laila Noor nun genauso viel Aufmerksamkeit wie mit
ihren Aussagen über ihre zerstörte Heimat und die Rolle
der Frau.
"Warum nur das Leid beschreiben, warum nicht über Kunst und
Kultur in den Dialog treten", sagt Laila Noor über die
Symbiose von Kunst und Politik. Bei der Benefizveranstaltung der
UNO-Flüchtlingshilfe zugunsten der Aktion "Bonner für
Afghanistan - Helfen steckt an" unterstrich der afghanische
Botschafter Hamidullah Nasser-Zia in seiner Ansprache: "Das
Wichtigste, was in Afghanistan zurzeit passiert, ist die
Eröffnung von Schulen. Sechs Millionen Schüler und
Schülerinnen warten darauf, zur Schule zu gehen. Von den sechs
Millionen sind etwa 40 Prozent Mädchen." Was es heißt,
eine Schule aufzubauen - die Eröffnung der ersten durch die
Förderung der Unabhängigen Afghanischen Frauenvereinigung
("IAWA") war im Frühjahr 2005 - versteht man, wenn man
bedenkt, dass Mädchen in Afghanistan unter der
Talibanherrschaft gar nicht zur Schule gehen durften.
Laila Noor hat prominente Schützenhilfe im Verein.
Schirmherrin der IAWA ist Luise Scherf, die Frau des scheidenden
Regierenden Bremer Bürgermeisters Henning Scherf. Sie stellte
beim Bonner Festakt die Arbeit vor und beschrieb die Besonderheit
dieser Leistung vor dem Hintergrund, dass Afghanistan ein Land in
einer Übergangsphase sei, das internationale Hilfe
brauche.
Der Geburtstag der UNO-Flüchtlingshilfe war ein passender
Rahmen, um die Arbeit von IAWA in Afghanistan zu präsentieren.
Gleichwohl verteilt sich das Engagement der Hilfsorganisation
natürlich auf viele Länder der Erde. Als
Förderverein unterstützt die UNO-Flüchtlingshilfe
Projekte von UNHCR und UNRWA (UNO-Hilfswerk für
Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten) sowie andere
humanitäre Organisationen im In- und Ausland. Die Mittel
dafür stammen aus Mitgliedsbeiträgen und aus Spenden.
Die Hilfsorganisation fördert Projekte zur Verbesserung der
Lebensbedingungen von Flüchtlingen. Die Eingliederung im
Heimatland nach der freiwilligen Rückkehr gehört ebenso
dazu wie die psychosoziale Betreuung von Flüchtlingen. Da
Frauen und Kinder am schwersten von Flucht und Vertreibung
betroffen sind, liegt der UNO-Flüchtlingshilfe dieser
Personenkreis besonders am Herzen, genau wie Leila Noor. Ein Ziel
der Flüchtlingsarbeit ist, die Flüchtlinge auf dem Weg zu
wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu begleiten. Sie sollen sich
eine neue Existenz aufbauen können. Da liegt die Investition
in Bildungs- und Ausbildungsprojekte nahe.
Die Exil-Afghaninnen haben einen strukturellen Vorteil. Sie
können die Hilfe auf sicherem und persönlichem Weg
weiterleiten, nämlich über Verwandte und Bekannte an die
wirklich Hilfsbedürftigen. Darin liegt vielleicht eine der
Stärken des Vereins.
Es mutet ein wenig paradox an, so nahe liegend es auch ist, dass
die Modelle von Leila Noor - alles Unikate, in denen sie auf
elegante und meisterhafte Art, Traditionelles ihrer Heimat mit
europäischen Vorstellungen von Design verbindet, zurzeit in
ihrem Heimatland nicht nachgefragt werden. Nicht nur, weil die
Menschen in ihrem Heimatland ganz andere Probleme zu
bewältigen haben, sondern weil sie für "Afghanistan
einfach noch zu früh kommen". Ein pikantes Detail aus Laila
Noors Kollektion macht das deutlich. Sie kreiert unter anderem
Kleider aus dünnen Burkastoffen. Die Burka, der afghanische
Ganzkörperschleier, symbolisiert wie kein anderes
Kleidungsstück die Unterdrückung der afghanischen Frau.
Das Stoffgitter vor den Augen engt die Sicht der Frauen so ein,
dass kein Blick nach links und rechts möglich ist. Laila Noor,
die selbst nie einen Schleier getragen hat, setzt bei einigen
Modellen die Stoffgitter oberhalb des Dekoltees. So wird das Symbol
der Unterdrückung ein modischer Blickfang. Ganz bewusst bricht
sie eine Regel, deutet ein Symbol um. Eine neue ästhetische
Idee mit politischer Botschaft. So verarbeitet sie mit ihren
kreativen Mitteln die große Herausforderung, die durch eine
Gesellschaft im Wandel an die Menschen gestellt wird. Unter den
Taliban war jegliches Kulturschaffen verboten. Heute leisten
Künstlerinnen wie Leila Noor neben ihrer politischen Arbeit
durch ihr kreatives Wirken wieder einen Beitrag zur Entwicklung des
Landes. Im November steht ihre nächste Afghanistan-Reise an.
Es soll eine zweite Schule gebaut werden.
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