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Günter Pursch
Lammert: Parlament ist Herz der Demokratie
Neuer Bundestagspräsident gewählt -
PDS-Chef Bisky als Vize in drei Wahlgängen
gescheitert
Der Deutsche Bundestag hat einen neuen
Präsidenten: Norbert Lammert. Der 1948 in Bochum geborene
Politiker wurde von der CDU/CSU, die nach siebenjähriger Pause
wieder die stärkste Fraktion im Parlament stellt,
vorgeschlagen. Auf ihn entfielen 564 von 607 (92,9 Prozent) der
abgegebenen Stimmen. 25 Abgeordnete votierten mit Nein, 17
enthielten sich. Das ist das bisher zweitbeste Ergebnis, das ein
Bundestagspräsident in der nunmehr 56-jährigen Geschichte
des Bundestages erreichen konnte. Lediglich Hermann Ehlers konnte
1953 mit 93,2 Prozent ein besseres Ergebnis erzielen. Im Gegensatz
zu Ehlers, der damals in seinem Amt bestätigt wurde,
kandidierte Lammert zum ersten Mal; er war jedoch in der
vergangenen Wahlperiode bereits Bundestagsvizepräsident.
Lammert gehört dem Parlament seit 1980 an.
Die konstituierende Sitzung des Bundestages
am 18. Oktober wurde vom 73-jährigen Alterspräsidenten
Otto Schily (SPD) eröffnet. In seiner kurzen - teils launigen
- Ansprache rief der noch amtierende Bundesinnenminister dazu auf,
im Plenum die Sorgen der Menschen klarer zur Sprache zu bringen.
Politiker sollten dies mit "mehr Optimismus, Selbstvertrauen und
Zuversicht" tun. Schily, der nach 2002 erneut als
Alterspräsident fungierte, forderte dazu auf, nicht "das
eigene Land wider besseren Wissens schlecht zu reden, nur um
politische Geländegewinne zu erzielen".
In seiner Antrittsrede unterstrich Lammert
die Bedeutung des Parlaments für eine funktionierende
Demokratie. Ein politisches System werde nicht durch die Existenz
einer Regierung als Demokratie qualifiziert, sondern durch die
Existenz eines Parlaments: "Hier schlägt das Herz der
Demokratie oder es schlägt nicht", hob er hervor. Das
Parlament sei nicht Vollzugsorgan der Bundesregierung, sondern
umgekehrt - ihr Auftraggeber. Weiter betonte er, man müsse die
oft berechtigte Kritik am Zustand des politischen Systems ernst
nehmen. Die großen Herausforderungen und die damit verbundenen
Veränderungen in Deutschland setzten Vertrauen in die
dafür verantwortlichen Institutionen, in die Legitimation, die
Kompetenz und die Integrität der politischen Akteure
voraus.
Lammert löst den bisherigen
Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) ab. In der neuen,
der 16. Wahlperiode sollen ihn sechs Stellvertreterinnen
beziehungsweise Stellvertreter unterstützen, zwei mehr als in
der 15. Legislaturperiode. Gewählt wurden Gerda Hasselfeldt
(CDU/CSU), Wolfgang Thierse und Susanne Kastner (beide SPD),
Hermann Otto Solms (FDP) und Katrin Göring-Eckhardt
(Grüne). Für Unmut in der SPD sorgten 136 Nein-Stimmen
und 52 Enthaltungen bei der Wahl Thierses.
Zu einem politischen Eklat kam es bei der
Wahl des von der Linkspartei vorgeschlagenen PDS-Vorsitzenden
Lothar Bisky. Er verfehlte auch im dritten Wahlgang die
erforderliche Stimmenmehrheit. Obwohl laut Geschäftsordnung
alle Fraktionen einen Anspruch auf einen Sitz im
Bundestagspräsidium haben, wurde Bisky bei den drei geheimen
Abstimmungen nicht gewählt. Die Sitzung wurde daraufhin ohne
Entscheidung beendet. Für den 25. Oktober hat die Linkspartei
eine Sondersitzung des Ältestenrats beantragt, in der
über das weitere Verfahren zur Wahl des noch ausstehenden
Vizepräsidenten beraten werden soll. Die PDS-Führung hat
angedeutet, dass sich Bisky einem weiteren Wahlgang stellen werde.
Der PDS-Politiker, dem auch eine - nicht bewiesene -
Stasi-Vergangenheit vorgeworfen wird, ist bereit, sich einer
Diskussion um seine Person zu stellen. In der Wahlperiode von 1998
bis 2002 war schon einmal eine PDS-Abgeordnete - Petra Bläss -
Vizepräsidentin des Bundestages, sie setzte sich damals gegen
die CSU-Abgeordnete Michaela Geiger durch.
Mit der Annahme der Geschäftsordnung des
Bundestages - ebenfalls am 18. Oktober - traten neue Regeln
für die Offenlegung von Nebeneinkünften der Abgeordneten
in Kraft. Danach müssen Parlamentarier grundsätzlich ihre
außerhalb des Mandats erzielten Einnahmen
veröffentlichen. Dies soll in drei Einkommensstufen
geschehen.
Rot-Grün hatte diese Neuregelung gegen
den Widerstand vor allem aus der FDP im Juni verabschiedet. Die
Verschärfung war nach Fällen, bei denen Abgeordnete
Zahlungen aus der Wirtschaft ohne entsprechende Gegenleistungen
angenommen hatten, in Angriff genommen worden. Lammert hatte sich
in seiner Antrittsrede für "Nachjustierungen" bei den neuen
Verhaltensrichtlinien eingesetzt; "Übertreibungen" sollten
beseitigt werden. Bislang liegen noch keine
Ausführungsbestimmungen für die Neuregelung vor. Der
SPD-Abgeordnete Christian Lange, der gemeinsam mit anderen
Parlamentariern die Verschärfung in Gang gebracht hatte,
erklärte: "Nur wenn man weiß, was einer verdient, kann
man auch sagen, ob er wirklich nur dem eigenen Gewissen
verantwortlich ist."
Bundespräsident Horst Köhler
entließ nach dem ersten Zusammentreten des Bundestages die
Mitglieder der rot-grünen Bundesregierung. Er bat die
bisherigen Kabinettsmitglieder zugleich, bis zur Bundeskanzlerwahl
geschäftsführend im Amt zu bleiben.
Der neue Bundeskanzler wurde bisher immer in
der zweiten oder dritten Sitzung des neuen Bundestages
gewählt. Nach dem Willen von Union und SPD sollen die
Koalitionsgespräche bis zum 12. November abgeschlossen sein.
An den Verhandlungen werden auf Fachebene auf beiden Seiten bis zu
190 Politiker beteiligt sein. Seit dem 19. Oktober tagen die 16
Arbeitsgruppen. Nach Beendigung der umfangeichen Verhandlungen
werden Parteitage über eine Koalitionsbildung zu entscheiden
haben.
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