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Bernadette Schweda
Aus Freude am Glauben
Kirchliche Jugendgruppen und politische
Bildung
Kirchlich organisierte Jugend und politische
Bildung: Passt das zusammen? Als Joschka Fischer in seinem
vorpolitischen Leben das Weihrauchfass am Kirchenaltar schwenkte
oder die Glocken zur Unzeit läutete, war noch nicht abzusehen,
dass da ein deutscher Außenminister und "Gottvater" der
Grünen heranwächst. Dass die Auftritte der "Minis" - wie
Messdiener auch genannt werden - auf der sakralen Bühne der
Kirche für eine spätere politische Karriere nicht
hinderlich sind, beweisen auch andere ehemalige Ministranten. Dazu
gehören die SPD-Politiker Ottmar Schreiner und Franz
Müntefering, der ehemalige grüne Bauminister von
Nordrhein-Westfalen, Michael Vesper, oder der kirchenpolitische
Sprecher der Unionsfraktion, Hermann Kues, um nur einige zu
nennen.
Zu den ersten weiblichen "Minis" zählte
Ute Vogt (SPD), die als Zehnjährige erst in der Gemeinde
durchsetzen musste, dass Mädchen ministrieren dürfen -
damals war es noch traditionell den Jungs vorbehalten.
So manche politische, künstlerische oder
andere gesellschaftliche Karriere hat in einer Jugendgruppe auf
einem Pfarrhof begonnen. Denn obwohl kirchliche Jugend und
politische Bildung auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben, sind
die Kirchen als geistige Heimat von Millionen auch der Ort, an dem
Teilhabe und Gemeinschaft im Alltag gelebt und manchmal auch
erlitten werden. Daher lohnt sich der zweite Blick hinter die
Kulissen. Er zeigt: Kirchliches Engagement bedeutet keineswegs
Weltabgewandtheit und Politikferne. Ausgangspunkt dafür ist
die Botschaft des Evangeliums - die Grundlage des Handelns aller
Christen. Diese "frohe Botschaft", wie das Evangelium
übersetzt heißt, ruft die Gläubigen dazu auf, die
Welt mitzugestalten, und zwar im Sinne des Dienstes an anderen
Menschen. Das mag pathetisch anmuten, doch verlangt der christliche
Anspruch - wird er denn ernst genommen - noch viel mehr: nicht nur
die Nächstenliebe (schon schwer genug), sondern das schier
Unmögliche - die Feindesliebe ("Liebet eure Feinde"; Lukas,
Kapitel 11 Vers 10).
Auf dieser Grundlage sind die Christen
verpflichtet, sich für eine gerechtere, solidarischere,
friedlichere Gesellschaft einzusetzen und die Schöpfung, deren
Teil sie auch sind, zu achten und zu bewahren. Gerade junge
Christen, die ihren Glauben bewusst leben, wollen sich daran
beteiligen und diesen Anspruch innerhalb demokratischer Strukturen
in die Praxis umsetzen, Gemeinschaft erleben und auch Spaß
haben.
Und wo lassen sich soziales Engagement,
Interessenvertretung, die Fähigkeit, sich an
gruppendynamischen Prozessen zu beteiligen, die eigene Meinung zu
äußern, andere Meinungen zuzulassen und auszuhalten, sich
durchzusetzen - also Fähigkeiten, die in der politischen
Bildung eine wichtige Rolle spielen und einen mündigen
Bürger auszeichnen - besser "einüben" als in einer Gruppe
Gleichaltriger?
Auf diesem Felde bieten sowohl die
Evangelische als auch die Katholische Kirche eine enorme Vielfalt
an Jugendgruppen und -organisationen an (siehe eine Auswahl im
Kasten links und rechts).
Als große, historisch gewachsene
Gemeinschaften mit gut organisierten Strukturen haben die Kirchen
beste Voraussetzungen, mit ihrer Jugendarbeit viele junge Menschen
anzusprechen. Und das tun sie auch.
So erreicht die Evangelische Kirche mit ihren
Jugendgruppen rund 1,2 Millionen Kinder und Jugendliche,
erklärt Florian Dallmann von der Arbeitsgemeinschaft der
Evangelischen Jugend in Deutschland (aej), die als Dachverband die
Aktivitäten der evangelischen Jugendorganisationen
koordiniert, unterstützt und vernetzt.
Knuth Erbe vom Bund der Deutschen
Katholischen Jugend (BDKJ) - ebenfalls ein Dachverband für
Jugendorganisationen - drückt die Beteiligung in
Mitgliedszahlen aus: Rund 650.000 Kinder und Jugendliche
gehören einer katholischen Jugendgruppe an. Die Zahl der
Erreichten dürfte dabei um einiges höher sein, wenn man
all die Gruppen in den Pfarreien mitrechnet, die nicht in den
Verbänden organisiert sind. Hinzu kommen auf katholischer
Seite rund 400.000 Messdiener und Messdienerinnen, die sich zwar
vor allem an der Gestaltung der Liturgie in den Gottesdiensten
beteiligen, aber auch gemeinsam ihre Freizeit verbringen und am
Gemeindeleben teilnehmen.
Regionale Unterschiede prägen die
Attraktivität der Jugendorganisationen. Während sich die
Evangelische Kirche im Osten des Landes (wiederum mit regionalen
Unterschieden) über Zuwächse an Beteiligten und hohe
Bindung ihrer Jugendgruppen freut, befindet sich die Katholische
Kirche in dieser Region in der Diaspora. Vor allem im "frommen"
Sachsen seien die evangelischen Kirchenstrukturen "nicht kaputt
gegangen", berichtet Florian Dallmann. Die Katholiken müssen
hingegen in den "neuen" Bundesländern neue Wege gehen. So gebe
es dort sehr kleine Gruppen und mehr offene Arbeit. "Wir gehen dort
bewusst auch auf Nicht-Katholiken zu", so Knuth Erbe. Ein
zusätzliches Problem sei die Abwanderung der Jugend aus der
Region.
Die große Klammer für die
Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen innerhalb der Kirchen
ist der christliche Glaube. Innerhalb dieser Klammer findet jeder,
der sich beteiligen will, etwas für sich. So gibt es neben
Gemeinschaften, die sich auf die Vertiefung ihres Glaubens und
ihrer Spiritualität konzentrieren (wie "Entschieden für
Christus", Christlicher Jugendbund, Emmanuel, Totus Tuus, Regnum
Christi, Jugend 2000), auf soziales Engagement ausgerichtete
Jugendgruppen (vor allem auf der lokalen Ebene - in den Gemeinden
und Pfarreien) schließlich auch Verbände, in deren Arbeit
politische Bildung stark verankert ist. Letzteres betrifft vor
allem die Organisationen, die in der aej und im BDKJ organisiert
sind.
"Es gibt eine Fülle von
Partizipationsmöglichkeiten", beschreibt Florian Dallmann das
Angebot der Evangelischen Kirche an politischer Bildung für
Jugendliche. Es reiche von Initiativen gegen Rechtsextremismus
über Gleichstellungsarbeit bis hin zu Kinderbischofswahlen,
politischen Kindergipfeln, Jugendparlamenten, Stadtteilforen oder
politischen Jugendsymposien im Rahmen von Projekt "P" (wie
Partizipation).
Schon die Kleinen können sich am
Gemeindeleben beteiligen und Entscheidungen treffen. Als Beispiel
nennt Dallmann die Initiative "Kinder willkommen -
KÜV-geprüft" (KÜV steht für "Kirchlicher
Überwachungsverein"). Was zunächst an bürokratische
Hürden erinnert, ist eine Idee von Kindern für Kinder:
Ähnlich wie beim Auto-TÜV gibt es seit 2001 einen Check
für kinderfreundliche Gemeinden. Die Kinder entscheiden dabei
selbst, ob ein Ort eine entsprechende Plakette
erhält.
Der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM)
bietet eine ganze Palette von Gesprächen mit Politikern, so
zum Beispiel die Fragestunden "Junge Leute fragen Prominente" oder
Begegnungen mit Abgeordneten, die zum Besuch ins Zeltlager kommen.
"Projekte dieser Art gibt es viele", so Dallmann. Bei dieser Art
politischer Bildung gehe die Initiative "von oben nach unten".
Manchmal sei das etwas doppelbödig - es gebe schöne
Bilder in der Zeitung.
Für Jugendliche, die in der
Selbstverwaltung der Jugendverbände Verantwortung
übernehmen wollen, gibt es ein spezielles Training unter dem
Motto "Jugend macht Politik". Vermittelt werden dabei zunächst
Grundkenntnisse in Rhetorik, Diskussionskultur, Projektarbeit und
Zeitmanagement, berichtet Ottokar Schulz von der aej. Nach einer
Praxisphase werden dann die Kenntnisse vertieft. "Einige Teilnehmer
haben so viel Spaß gehabt, dass sie weitermachen", so Schulz.
Auf diese Weise würden neue Mitarbeiter gewonnen. Die Devise
laute dabei: Die Jugendlichen sollen zu Subjekten, nicht Objekten,
werden.
Auch Knuth Erbe (BDJK) unterstreicht diesen
Aspekt der Jugendarbeit. Es sei wichtig, junge Menschen in ihrem
Reifungsprozess zu unterstützen, sie dabei zu begleiten,
Staatsbürger zu werden. Für Pfarrer Michael Kühne,
Leiter der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen
Bischofskonferenz ist die Persönlichkeits- und
Identitätsbildung der jungen Menschen von großer
Bedeutung. Wie intensiv politische Bildung oder Elemente davon in
den Gemeinden vermittelt werden, hänge von den Akteuren vor
Ort ab. In diesem lokalen Umfeld - anders als in den Verbänden
- liege der Schwerpunkt eher auf sozialen und karitativen Aktionen:
"Man engagiert sich für das Altersheim oder die sozialen
Brennpunkte in der Umgebung oder streicht die Turnhalle." Auch auf
diese Weise bekomme die Jugend Einsichten in gesellschaftliche und
politische Strukturen, so Kühne. Beispiele gebe es genug: Etwa
die Big-Bagger-Aktionen, bei denen die Jugendlichen eine soziale
oder ökologische Aufgabe innerhalb von 72 Studen lösen
müssen, zum Beispiel ein Fest für Behinderte ausrichten
oder einen Spielplatz renovieren. Dabei lernten die Teilnehmer
nicht nur, ein Problem wahrzunehmen und zu reflektieren, sondern
etwas zu bewirken und Verantwortung zu übernehmen.
Ähnlich konzipiert war auch der "Tag des
Sozialen Engagements" während der Tage der Begegnung in den
deutschen Diözesen im Vorfeld des diesjährigen
Weltjugendtages in Köln. Der besondere Reiz dabei: An der
Suche nach einer gemeinnützigen Aufgabe beteiligten sich auch
ausländische Jugendliche, die zum Weltjugendtag gekommen sind.
"Der Gedanke der Solidarität prägt und trägt die
katholische Jugend", meint dazu Kühne; dabei seien die Kinder
und Heranwachsenden immer angehalten, eigene Ideen einzubringen und
selbst als Akteure zu handeln.
Viele Jugenorganisationen der Kirchen
engagieren sich ökologisch im Sinne der Bewahrung der
Schöpgung und "für die eine Welt" - damit ist unter
anderem der so genannte faire Handel mit Produkten aus
Entwicklungsländern gemeint.
Der Weltjugendtag in Köln bot der
kirchlichen Jugend - in diesem Fall vor allem der katholischen -
ein besonderes öffentliches Forum. Zwei politische Aspekte
haben die Jugendverbände, die für ihr Engagement und
ihren Beitrag zur Organisation des Großereignisses viel Lob
auch von der Politik erhalten haben, besonders herausgestellt: zum
einen das Problem des fehlenden fairen Handels mit den armen
Ländern - ein "Fairpoint" des BDKJ thematisierte es - und zum
anderen den Klimaschutz im so genannten "Global Village" der
Katholischen Landjugendbewegung (KLB) in Bonn. Im Zentrum des
"globalen Öko-Dorfes" stand eine Holzkirche mit einer
Solaranlage.
Bunt und vielfältig sind die
Jugendgruppen in den Kirchen. Beziffern lassen sich die
Früchte dieser Arbeit nicht. Gewiss steuern sie aber einen
wichtigen Beitrag zur demokratischen Kultur und zum
gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Und wer weiß, wie viele
junge politische Talente zurzeit an den Stufen der Altäre ihre
ersten öffentlichen Auftritte üben?
Bernadette Schweda ist Redakteurin bei "Das Parlament.
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