|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Stefan Braun
Wenige Täter verüben viele Taten
Der Verfassungsschutz bemüht sich um
Strategien gegen den Extremismus
"Bekämpft den wahren Feind, er ist ja wohl
bekannt. Kämpft für euer Blut, eures Volkes Fortbestand.
Vernichtet diesen Virus, der unser Volk befiel. Die Reinheit zu
bewahren, das ist unser Ziel." So lautet eine Strophe des Titels
"Gefangen im System" der rechtsextremistischen Musikgruppe
"Spreegeschwader". Die gesamte CD wurde von der
Bundesprüfstelle 2003 auf den Index gesetzt, da sie die
Rassenlehre propagiere, verrohend wirke und zu Gewalt aufrufe. Die
Begründung führt die Gefahren vor Augen, die gerade
für Jugendliche von rechtsextremistischer Musik ausgeht.
Für das Bundesamt für
Verfassungsschutz "wirkt Musik als Einstiegsdroge", der Vertreter
einer Landesbehörde ergänzt, "dass der Einstieg in die
Szene zumeist aufgrund vorheriger persönlicher Kontakte
erfolgt". Dass Musik attraktiv wirken und den ersten Kontakt zur
gewaltbereiten Szene herstellen kann, haben Rechtsextremisten
bereits selbst erkannt. So versuchten sie 2004 im Rahmen ihres
"Projekts Schulhof" bundesweit kostenlose CDs an Jugendliche zu
verteilen. Im Intro wurden plakativ politische Ziele umrissen: Es
vermittelte die bekannten Feindbilder und äußerte sich
ablehnend zum demokratischen System. Zudem wurden geschickt
angebliche Werte der eigenen Szene dargelegt: "In unseren Reihen
sind Freundschaft, Zusammenhalt, Kameradschaft und Gemeinschaft
nicht bloß leere Worte. Wir leben, fühlen und handeln
danach."
Mit dem Zusammenschnitt von Musik
verschiedener Rechtsrockgruppen und politischen Botschaften gelang
es, auf der CD ideologische Indoktrination mit Unterhaltung und
Erlebnisofferten zu verbinden. Damit stellte sie eine nicht zu
unterschätzende Gefahr dar, die in der Rekrutierungsabsicht
der rechtsextremistischen Szene lag. Deren Mittel der
Auseinandersetzung mit dem demokratischen Verfassungsstaat reichen
von einer anpassenden Legalitätstaktik auf der einen über
rudimentäre Theorie- und Bildungsarbeit bis zum offen
gewaltbereiten Rechtsextremismus auf der anderen Seite. Mit dem
strategischen "Drei-Säulen-Konzept" der NPD ausgedrückt,
geht es um den "Kampf um die Parlamente", den "Kampf um die
Köpfe" und den "Kampf um die Straße". Gerade für den
letzten Bereich eignen sich anpolitisierte, erlebnisorientierte und
formbare Jugendliche in besonderer Weise: So sind in Berlin 93
Prozent der tatverdächtigen gewaltbereiten Rechtsextremisten
männlich; über die Hälfte zwischen 15 und 20 Jahre
alt, weitere 19 Prozent bis 24 Jahre alt. Die Gefahr, die vom
aktionsorientierten Rechtsextremismus ausgeht, ist besonders
groß, weil Jugendliche von älteren Gesinnungsgenossen
sukzessive an das Gedankengut herangeführt werden, ohne sich
der Tragweite immer bewusst zu sein. "Die Zugehörigkeit wird
durch subkulturelle Codes und Symbole ausgedrückt. Daher
spielen Marken, Moden und Musikgeschmack eine so große Rolle
in der Szene. Sie dienen der Abgrenzung nach außen und dem
Zusammenhalt nach innen", so der Brandenburger Verfassungsschutz.
Aus diesem Grunde rief er alle Bürger, insbesondere
Jugendliche und Lehrer zu einer Umtauschaktion von CDs mit
rechtsextremistischen Inhalten, etwa die durch die NPD vertriebe
Schulhof-CD, auf. Als Ersatz bietet die Behörde "Musik gegen
Rechts" an, einen Sampler, an dem unter anderem Max Herre, Jeanette
Biedermann, Silbermond und die Söhne Mannheims
mitwirkten.
Mit Blick auf den gewaltbereiten
Rechtsextremismus werden im Folgenden zwei Bundesländer
einander gegenüber gestellt, deren Zahlen an
rechtsextremistischen Potenzialen und Straftaten sich stark
unterscheiden: Brandenburg und Rheinland-Pfalz. So können
sowohl Entwicklungen als auch Strategien der Auseinandersetzung mit
dem Rechtsextremismus dargestellt werden.
Für den Leiter der
Verfassungsschutzbehörde Rheinland-Pfalz, Rainer Kuhn, ist es
selbstverständlich, dass der Verfassungsschutz eine
"offensive, Zielgruppen orientierte Öffentlichkeitsarbeit
unter dem Motto 'Prävention durch Information' betreibt. In
diesem Sinne werden vor allem für junge Menschen Informations-
und Diskussionsveranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus
angeboten. Je nach Anlass werden Einrichtungen im Lande vorab
informiert. Dies war beispielsweise im Zusammenhang mit der
Schulhof-CD der Fall; über diesen Sachverhalt wurden alle
Schulen in Rheinland-Pfalz in Kenntnis gesetzt."
Bundesinnenminister Otto Schily erklärte bei der Vorstellung
des Verfassungsschutzberichtes 2004 im Mai dieses Jahres, es sei
"nicht allein die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, der
Einflussnahme von rechtsextremistischen Aktivisten auf Kinder und
Jugendliche entgegenzutreten. Junge Menschen laufen keine Gefahr,
in die rechtsextremistische Szene abzudriften, wenn sie rechtzeitig
lernen, die Werte der Demokratie und unseres Grundgesetzes zu
verstehen und für diese einzutreten. Die Bundesregierung
unterstützt daher bürgerschaftliches Engagement,
beispielsweise durch das 'Bündnis für Demokratie und
Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt'".
Die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz
und diversen Einrichtungen in Rheinland-Pfalz wird ergänzt
durch die enge Kooperation zwischen Verfassungsschutz und anderen
Sicherheitsbehörden. Sie trägt Früchte, so nimmt das
Bundesland in puncto Gewalttaten mit rechtsextremistischem
Hintergrund mit 0,42 je 100.000 Einwohner den viertletzten Platz im
Bundesvergleich ein. Auch das "gewaltbereite rechtsextremistische
Potenzial" ist, so Kuhn, "seit mehreren Jahren konstant und umfasst
100 Personen, je zur Hälfte rechtsextremistische Skinheads und
Neonazis".
Zunehmendes Ost-West-Gefälle
Die Situation in Brandenburg unterscheidet
sich diametral von der in Südwestdeutschland. Mit 4,06
Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund liegt Brandenburg
2004 nicht nur mit weitem Abstand an der Spitze der
Gewaltstatistik, es gehört auch zu den sechs
Bundesländern, in denen die Zahl der Gewalttaten
gegenüber 2003 stieg - sie nahm von 87 auf 105 zu. Steffen
Kailitz von der Universität Chemnitz führt aus, dass
"Anfang der 90er-Jahre kein Ost-West-Gefälle, sondern ein
Nord-Süd-Gefälle feststellbar war. Ab Mitte der
90er-Jahre zeigten sich demgegenüber deutliche Unterschiede
zwischen den östlichen und den westlichen Bundesländern."
Während sich die östlichen Bundesländer in den
Jahren 2003 mit 2,04 und 2004 mit 2,1 rechtsextremistischen
Gewalttaten je 100.000 Einwohnern - bei unterschiedlichen
Entwicklungen in den einzelnen Ländern - insgesamt recht
stabil hielten, gaben die Zahlen im Westen von 1,2 2003 auf 1,08 im
vergangenen Jahr nach.
Für Brandenburg sind nicht nur die
jährlich im November stattfindenden Demonstrationen in Potsdam
und Halbe ein großes Problem. Für Brandenburg sind
darüber hinaus die zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen
Rechtsextremisten und der linksextremistisch beeinflussten
Antifa-Szene ein weiteres Problem. Nicht nur die gewalttätigen
Übergriffe von rechten auf linke Extremisten haben im
laufenden Jahr zugenommen, auch die Qualität
linksextremistischer Gewalt gegenüber Rechtsextremisten
veränderte sich: Folgen einer Gewaltspirale, die aus einer
verstärkten Anti-Antifa-Arbeit der Rechtsextremisten
resultiert.
So wurden zwei Angehörigen der linken
Szene von gewaltbereiten Rechtsextremisten im Juli 2005 in Potsdam
gefährlich verletzt. Beide waren den Tätern durch
Anti-Antifa-Aktivitäten bekannt, als sie eine Tram anhielten
und die Opfer aus einer Gruppe heraus angriffen - ein Vorgehen, das
für gewaltbereite Rechtsextremisten typisch ist. Denn anders
als deren markige Propaganda glauben machen will, wird zumeist kein
Kampf Mann gegen Mann geführt. Vielmehr agieren 67 Prozent der
rechtsextremen Gewalttäter aus der Gruppe heraus - dies ist
ein Ergebnis der aktuellen Studie "Rechte Gewalt in Berlin", die
Gewalttaten zwischen 1998 und 2003 analysiert. Zugleich lässt
der Vorfall einen Blick auf die Typen der Tatbegehung zu:
Während im gewaltbereiten Rechtsextremismus die spontane
Tatbegehung überwiegt, kommt es vereinzelt zu strategischen
Planungen. In Potsdam handelte es sich um eine Mischform insofern,
als aufgrund der Ant-Antifa-Recherche die Opfer den Tätern
bereits bekannt waren, die Tat selbst jedoch spontan begangen
wurde.
Unter der Bezeichnung "Freikorps Havelland"
hatte eine Gruppe von zwölf 15- bis 20-Jährigen 2004
sieben Brandanschläge auf türkische und asiatische Lokale
verübt. Ihr Ziel war laut Anklageschrift, die Inhaber in einer
Weise einzuschüchtern, dass sie ihre Geschäfte
aufgäben. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat sie wegen
der Bildung einer terroristischen Vereinigung zu teils
mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt.
Ebenfalls wegen der Gründung einer
terroristischen Vereinigung und Verstößen gegen das
Waffen- und Sprengstoffrecht hat das Bayerische Oberste
Landesgericht im Mai den Anführer Martin Wiese und drei
weitere Mitglieder der rechtsextremistischen "Kameradschaft
Süd" verurteilt. Sie wurden für schuldig befunden, einen
Anschlag auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Kulturzentrums
in München geplant zu haben. In seiner Stellungnahme
führte Innenminister Schily aus: "Einige aktuelle Urteile sind
geeignet, der Szene deutlich vor Augen zu führen, dass
rechtsextremistische Straf- und Gewalttaten in Deutschland
nachhaltig verfolgt und geahndet werden."
Wenn Urteile wie diese auch das Maß an
Gewaltbereitschaft innerhalb des Rechtsextremismus offensichtlich
werden lassen, kann gegenwärtig doch nicht von
rechtsextremistischem Terrorismus in Deutschland gesprochen werden.
Zwar stellen auch gewalttätige Einzeltäter ein hohes
Risiko für die innere Sicherheit dar, doch fehlen wichtige
Komponenten für die Etablierung terroristischer Strukturen:
Zum einen führen Verfolgungsdruck und Verbotsmaßnahmen
zur Verunsicherung, zum anderen existiert weder eine breite
Akzeptanz noch ein notwendiges Unterstützerumfeld für
einen aus der Illegalität heraus geführten Kampf gegen
den Staat. Ganz im Gegenteil, Gewalt gilt im Rechtsextremismus
allgemein als kein strategisches Mittel. Gerade Parteien wie NPD
und DVU achten seit ihren Wahlerfolgen peinlich genau auf eine
'friedfertige' Außendarstellung, da sie sich der negativen
Publizität durch gewalttätige Ausschreitungen durchaus
bewusst sind.
Doch auch Rheinland-Pfalz ist gegenüber
Brandenburg keine Insel der Glückseligen. Zwar sind dem
Verfassungsschutz gegenwärtig keine Wehrsportgruppen bekannt
und die Anti-Antifa-Aktivitäten haben laut Kuhn in den letzten
Jahren nicht nennenswert zugenommen, dennoch stellen auch hier
Fremde und politisch anders Denkende den Hauptteil innerhalb der
Opfergruppe rechtsextremistischer Gewalt. Dieser Befund deckt sich
mit Berliner Ergebnissen, nach denen fremdenfeindliche Gewalt in 63
Prozent der Ausschreitungen vorliegt, gefolgt von Gewalt gegen
Linke mit 21 Prozent und gegen den Staat mit zehn Prozent. Der
Befund überrascht einerseits insofern, als die rechtsextreme
Klientel oft darum bemüht ist, ihre Staatstreue zu
demonstrieren. Andererseits sind antisemitische Tatbezüge nur
in drei Prozent der untersuchten Übergriffe nachweisbar.
"Vornehmlich in den Regionen Westerwald, Vorder- und Westpfalz
treten die gewaltbereiten Rechtsextremisten in Erscheinung",
führt Kuhn aus. Damit zählen strukturell schwache
Landstriche ebenso dazu wie die Industriehochburgen der
Vorderpfalz, die von Arbeitslosigkeit und Umstrukturierung
betroffen sind.
Mit der aktuellen Studie "Rechte Gewalt in
Berlin" hat die dortige Landesbehörde für
Verfassungsschutz jene 336 Delikte, die durch den Staatsschutz als
politisch motivierte Gewaltkriminalität von Rechts
kategorisiert wurden, analysiert. Die Ergebnisse bestätigen
überwiegend die Vorgängerstudien, zeigen aber auch
Veränderungen, gerade was Schulabschlüsse, die Zahl der
Teilnehmer bei gewalttätigen Ausschreitungen aus Gruppen
heraus sowie der Zunahme der allgemeinkriminellen als auch
politisch motivierten Delinquenz der Täter anbelangt.
Insgesamt ist auffällig, dass 80 Prozent der rechten
Gewalttaten einfache und gefährliche Körperverletzungen
waren, die in 76 Prozent ohne Waffen, aber in über 60 Prozent
aus einer Gruppe heraus begangen wurden. 57 Prozent der
Übergriffe erfolgten im öffentlichen Straßenland und
22 Prozent im Umfeld von Bahnanlagen. Sie wurden in über der
Hälfte der untersuchten Fälle im Umkreis von weniger als
fünf Kilometern zur Wohnadresse der Rechtsextremisten
verübt.
Besorgnis erregend im Hinblick auf die
Rekrutierungsbemühungen von Rechtsextremisten ist der Umstand,
dass nur fünf Prozent der gewaltbereiten Rechtsextremisten
ideologisch gefestigt sind, wohingegen 35 Prozent eher als
anpolitisierte Polithooligans zu bezeichnen sind. Insofern
verwundert es wenig, dass nur bei 21 Prozent der untersuchten
Tatverdächtigen keine Vorkenntnisse bezüglich
allgemeinkrimineller Delikte vorliegen. Durch den Vergleich der
geographischen Räume rechter Gewalt mit denen mit einem hohen
Wahlergebnis für rechtsextremistische Parteien ergibt sich
eine auffällige Überschneidung. "Dort, wo die rechten
Gewalttaten begangen werden, erreichte die NPD die höchsten
Wahlergebnisse und befinden sich die meisten Treff- und Wohnorte
von aktionsorientierten Rechtsextremisten."
Die Studie bietet eine Grundlage zur weiteren
sozialwissenschaftlichen Erforschung des gewaltbereiten
Rechtsextremismus und hält Möglichkeiten der
konstruktiven Auseinandersetzung mit diesem Phänomen bereit.
Auch wenn gegenwärtig keine terroristischen Strukturen bekannt
sind und die Zahl der Angehörigen innerhalb der gewaltbereiten
rechtsextremistischen Szene leicht rückläufig ist, steigt
die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten an. Lag sie 2003 noch
bei 10.792, stieg sie im Folgejahr auf 12.051. Bis August 2005
registrierten die Landeskriminalämter 6605 Delikte, 353 davon
sind Gewalttaten. Das bedeutet, dass die Zahl der Straftaten auf
einem hohen Niveau bleiben und die Zahl der Gewalttaten trotz eines
Rück-gangs der Szeneangehörigen steigen wird.
Kurz: Eine kleinere Zahl gewaltbereiter
Rechtsextremisten verübt eine größere Zahl an
Gewalttaten. Dieses Ergebnis bedeutet jedoch auch, dass die
Rekrutierungsmaßnahmen der aktionsorientierten
rechtsextremistischen Szene nicht zwangsläufig in die
Gewaltbereitschaft führen.
Der Autor ist Politikberater bei "PRGS-Berlin".
Zurück zur Übersicht
|