Lars Flemming
Das Scheitern der Anständigen
Der Extremismus erfordert Wachsamkeit, aber
blinder Aktionismus schadet / Von Lars Flemming
Fünf Jahre ist es her, da diskutierte ganz
Deutschland über die Frage, ob man die NPD verbieten solle. Am
Ende standen Verbotsanträge gegen die NPD - doch das
Verbotsverfahren scheiterte im Jahre 2003. Heute ist das Verbot der
Partei kein Thema mehr, obwohl die NPD nach wie vor
verfassungsfeindliche Positionen vertritt. Umso erstaunlicher, dass
die Aufarbeitung des Verbotsverfahrens bisher eher
stiefmütterlich betrieben wurde, zumal der kuriose Verlauf des
Verfahrens dazu allen Grund gab.
Die der NPD im Jahre 2000 zuteil gewordene
Aufmerksamkeit stand in keinem angemessenen Verhältnis zu
ihrer politischen Bedeutung. Die Erfolge der Partei lagen weit
zurück, rührten aus der zweiten Hälfte der
60er-Jahre. Damals war sie in sieben Landtagen vertreten,
zählte an die 30.000 Mitglieder. Mit dem Scheitern bei der
Bundestagswahl 1969 begann der jähe Absturz der Partei, sie
verschwand aus allen Landtagen, spielte von da an als Wahlpartei
keine Rolle mehr, ihre Mitgliederzahlen gingen bis 1995 auf 2.800
zurück.
Gesellschaftlich und politisch geächtet,
gelang ihr erst unter der Ägide ihres Parteivorsitzenden Udo
Voigt die organisatorische Konsolidierung. Damit einher ging die
Radikalisierung der Partei. Gab sich die NPD bis 1990 noch eher
deutsch-national, propagiert sie heute einen "nationalen
Sozialismus", macht aus ihrer verfassungsfeindlichen Gesinnung
keinen Hehl. Mit ihrem "Drei-Säulen-Konzept" ("Kampf um die
Straße", "Kampf um die Köpfe", "Kampf um die
Wähler") erschloss die NPD Personal des rechtsextremen
Spektrums. Dabei profitierte sie von den Verboten rechtsextremer
Organisationen in den 90er-Jahren. Die Mitgliederzahlen stiegen bis
zum Jahre 2000 auf 6.500. Auf Wahlebene konnte die NPD allerdings
nicht reüssieren.
Es war das Werk der Politik, die NPD wie das
Parteiverbot im Jahre 2000 aus dem Schattendasein hervorzuholen.
Was den Nationaldemokraten über Jahre nicht gelang,
vollbrachten eifernde Politiker binnen weniger Tage: eine politisch
einflusslose Partei in den Fokus des öffentlichen Interesses
zu rücken. Günther Beckstein (CSU) und Jürgen
Trittin (Grüne), lösten mit ihrer Forderung eines
NPD-Verbots eine Diskussion aus, die in der Geschichte der
Bundesrepublik ihresgleichen sucht.
Anlass war der Düsseldorfer
Sprengstoffanschlag vom 27. Juli 2000 auf eine aus Russland
stammende Gruppe jüdischer Immigranten. Obwohl der Anschlag
bis heute nicht aufgeklärt ist, schloss die Politik vorschnell
auf fremdenfeindliche Motive. Die öffentliche Empörung
richtete sich gegen den Rechtsextremismus im allgemeinen und gegen
die NPD im besonderen. Mit Ausnahme der FDP hallte der Ruf nach
einem Verbot der NPD durch alle Parteien.
Hektik im Verbotsverfahren
In der von Hektik, Symbolik und Aktionismus
geprägten Sommerdebatte 2000 siegten die
Verbotsbefürworter. Sie bauten auf die Signalwirkung eines
Verbots, warnten vor der "braunen Gefahr" und dem Ansehensverlust
der Bundesrepublik im Ausland; die Verbotsgegner argumentierten,
ein Verbot beseitige keinesfalls rechtsextremes Gedankengut (und
die Gewalt), könne vielmehr ins Gegenteil umschlagen und die
Aggressivität des Rechtsextremismus provozieren.
Besonnenheit und Sorgfalt blieben auf der
Strecke. Die Empörung über die Gewalt mündete
(vor-)schnell in die Forderung eines NPD-Verbots. Jeden Anlass
wahrnehmend, ereiferte sich die Politik, Entschlossenheit im Kampf
gegen den Rechtsextremismus an den Tag zu legen. Nicht die Suche
nach der wirksamsten Bekämpfung der - fremdenfeindlichen -
Gewalt stand auf der Tagesordnung, sondern der Wettbewerb um die
rigorosesten Maßnahmen gegen "rechts". Spätestens mit dem
Ausruf des "Aufstands der Anständigen" durch Bundeskanzler
Gerhard Schröder im Oktober 2000 war der Verbotszug nicht mehr
aufzuhalten. Die Presse, in der Verbotsfrage überwiegend
skeptisch, bot der Politik das Forum, auf dem diese sich im "Kampf
gegen rechts" ereiferte. Der "Fall Sebnitz" lieferte den Beweis,
dass auch die Presse nicht frei von Hysterie war, oft Sachlichkeit
und Zurückhaltung vermissen ließ. Die
Politikwissenschaft, in der Verbotsfrage überwiegend
skeptisch, vermochte kaum Einfluss auf die öffentliche Debatte
zu nehmen - ein bis heute leidliches Problem der
Branche.
Auf dem Feld der inneren Sicherheit
konkurrierend, trieben Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und
sein bayerischer Amtskollege Günther Beckstein (CSU) das
Verfahren voran. Symbolik blieb oberstes Gebot. Alle drei
antragberechtigten Verfassungsorgane, Bundesregierung, Bundestag
und Bundesrat, warteten mit mehr oder weniger fundierten
Anträgen beim Bundesverfassungsgericht auf.
Das Jahr 2001 verlief ruhig. Vom
Rechtsextremismus war kaum noch die Rede, auch nicht von der NPD.
Lediglich mit der Verpflichtung des ehemaligen RAF-Mitglieds Horst
Mahler zum Prozessbevollmächtigten der NPD sorgte die Partei
für Aufsehen. Ansonsten übte sie Zurückhaltung,
gefiel sich in der Opferrolle. Im Januar 2002 kam Bewegung in das
Verfahren: heftig und mit unerwarteter Stoßrichtung. Es
stellte sich heraus, dass die Verbotsanträge in zentralen
Punkten auf V-Mann-Aussagen basierten; dass der Verfassungsschutz
zahlreiche Informanten in den Vorständen der Partei
unterhielt. Die folgenden Wochen offenbarten das ganze Dilemma.
Zwischen den zuständigen Ministerien und
Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern gab es
erhebliche Abstimmungsdefizite in der Erarbeitungsphase der
Anträge. Der "Aufstand der Anständigen" mutierte zum
"Aufstand der Unfähigen".
Zur Prüfung der Frage, ob es sich bei
der NPD um eine verfassungsfeindliche Partei mit aggressivem
Charakter handelt, kam es nicht. Die Phalanx der Antragsteller
erhielt die Rechnung für ihren Aktionismus. Kaum hatten die
verantwortlichen Politiker glaubhaft zu machen versucht, es gebe
keine weiteren V-Männer im Verfahren, wurde der nächste
Spitzel entdeckt. Die Frage der Verflechtung der NPD mit der
gewaltbereiten rechtsextremen Szene spielte keine Rolle mehr. Statt
dessen rückte die Unterwanderung der NPD-Führungsgremien
durch die Verfassungsschutzbehörden in den Mittelpunkt des
Verfahrens. Am 18. März 2003 stellte das
Bundesverfassungsgericht das Verfahren ein. Eine
Sperrminorität von drei Richtern des zuständigen Zweiten
Senats sah in der staatlichen Beobachtung durch V-Leute des
Verfassungsschutzes in den Bundes- und Landesvorständen der
NPD unmittelbar vor dem Verbotsverfahren und während des
Verfahrens ein nicht behebbares, mit dem Rechtsstaatprinzip nicht
zu vereinbarendes Verfahrenshindernis.
Die Einstellung des Verfahrens - bei der es
sich um eine Sach- und keine Prozessentscheidung handelte - und
insbesondere ihr Zeitpunkt waren ein Glücksfall für die
Verbotsstreiter. Was der Politik im Jahre 2000 zum Verhängnis
wurde, rettete sie im März 2003: das verzerrte Medien- und
Öffentlichkeitsinteresse. Im Sommer und Herbst 2000 war alles
auf die NPD-Verbotsdebatte fixiert. Das Ende des Verfahrens ging
dagegen vor dem Hintergrund des Irak-Krieges völlig
unter.
Hauptschuld am Scheitern des Verfahrens
tragen die Exekutivorgane von Bund und Ländern. Die staatliche
Unterwanderung der NPD lag in ihrem Verantwortungsbereich; folglich
hatten sie die Pflicht, in der Verbotsdebatte auf dieses Problem
hinzuweisen. Doch sie ließen die Antragsteller in die
Verbotsfalle laufen. Damit war das Verfahren von Anfang an
verfahren, denn die Senatsminderheit nahm nicht Anstoß an der
Beobachtung der NPD in toto, sondern an der Präsenz von
V-Leuten in den Parteivorständen. Neue Verbotsforderungen sind
somit obsolet. Sie kommen erst in Frage, wenn der Staat die
Informanten in den NPD-Führungsgremien abgeschaltet und den
Kontakt zu ihnen abgebrochen hat.
Allerdings bedeutete die
Verfahrenseinstellung keinen Triumph der NPD. Im Gegenteil:
Spitzelgerüchte und die innerparteilich umstrittene Haltung
der Parteiführung in der V-Mann-Affäre brachten
Verunsicherung in die Reihen der NPD. Vor allem die Teile der
Anhängerschaft, die sich durch die "Systemfeindlichkeit" an
die Partei gebunden wussten, kehrten ihr den Rücken. Die
Mitgliederzahlen sanken zwischenzeitlich auf 5.000. Das Verfahren
hat einerseits den Bekanntheitsgrad der Partei erhöht, ihr
andererseits finanziell und organisatorisch schwer zugesetzt. So
kam dem überraschenden Einzug der Nationaldemokraten in den
Sächsischen Landtag existenzielle Bedeutung für die
Partei zu.
Allerdings besteht zwischen dem gescheiterten
Verfahren und dem Wahlerfolg kein direkter Zusammenhang. Zwar
hätte ein Verbot ihre Kandidatur verhindert, allerdings wurde
die NPD nicht gewählt, weil sie mit dem gescheiterten
Verbotsverfahren warb - im Wahlkampf war davon mit keinem Wort die
Rede -, sondern weil sie von der Protestwelle gegen die
Arbeitsmarktreformen profitierte.
Ein anderes Vorgehen ist
nötig
Zudem begünstigte eine Reihe weiterer
Umstände den Erfolg der NPD in Sachsen: Wahlabsprachen mit der
DVU und Nichtantreten der Republikaner, Stasi-Vergangenheit des
PDS-Spitzenkandidaten, Stimmeneinbrüche der regierenden CDU.
Das NPD-Ergebnis im Saarland und in Sachsen wäre weitaus
ernüchternder ausgefallen, wenn beide Wahlen nicht auf dem
Höhepunkt der Protestwelle gegen Hartz IV stattgefunden
hätten.
So blieb die NPD bei allen folgenden
Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl deutlich unter der
Fünf-Prozent-Hürde. Auch in Zukunft wird die NPD nicht
über Achtungserfolge auf Wahlebene hinauskommen. Mit ihrem
aggressiven, verfassungsfeindlichen Auftreten kann sie zwar ihre
Mitgliederschaft bei der Stange halten, nicht aber
Protestwählerpotenzial dauerhaft binden - und umgekehrt. Die
Allianz mit der DVU ist ein labiles, lediglich vom Erfolg
zusammengehaltenes Zweckbündnis.
Und was sind die Lehren aus dem gescheiteten
Verbotsverfahren? Erstens: Ein Verbotsantrag gegen eine politisch
isolierte, gesellschaftlich geächtete Partei verbietet sich
aus Gründen der Zweckmäßigkeit, gegen eine vom Staat
auf Führungsebene stark unterwanderte Partei aus Gründen
der Rechtmäßigkeit. Zweitens: Die Verfassungsschutzorgane
von Bund und Ländern bedürfen dringender Reformen
hinsichtlich Anzahl, Struktur, Aufgabenteilung und Absprache.
Drittens: Die Karlsruher Entscheidung hat die Anforderungen an das
Parteiverbot wesentlich verschärft. Staatliche Beobachtung
schließt ein Parteiverbotsverfahren auch zukünftig nicht
aus, erschwert es aber. Der Staat ist vor die Alternative gestellt:
Beobachtung bis in die Führungsgremien einer Partei oder
Verbotsantrag. Viertens: Eine Verlagerung des Kampfes gegen
verfassungsfeindliche Bestrebungen auf die politische Ebene ist
gefragter denn je.
Der politische Extremismus verlangt
Wachsamkeit; zuviel Aufmerksamkeit nutzt ihm allerdings eher. Es
bleibt die Hoffnung, dass die Politik dem Prinzip der
Verhältnismäßigkeit künftig mehr Rechnung
tragen möge: Trotz des NPD-Erfolges in Sachsen deutet nichts
darauf hin, dass vom organisierten Rechtsextremismus auf
Parteiebene eine Gefahr für die zweite deutsche Demokratie
ausgeht.
Der Autor ist Politikwissenschaftler in Zwickau.
Zurück zur Übersicht
|