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Sören Deppmann
Eine politische Karriere: von den Skinheads zu
den Neonazis
Skinheads, Faschos, Neonazis entstammen
unterschiedlichen Milieus
Alles Nazis, alles die gleiche braune Suppe. Die wollen den
Staat abschaffen, träumen von einem neuen Führer und
prügeln sinnlos in der Gegend herum. Aber Halt. So ganz
einfach ist die Sache nicht. Setzt man sich nämlich
tatsächlich mit den unterschiedlichen Gruppen, Bewegungen und
Szenen auseinander, fällt schnell auf, dass man dem Thema mit
der ganz großen Kiste nicht gerecht wird. Das fängt schon
bei der Herkunft und der Identität der Gruppen an. Skinheads
und Neonazis entstammen ganz unterschiedlichen Milieus und haben
auch unterschiedliche politische Ausrichtungen und Motivationen.
Die Bezeichnung "Faschos" ist lediglich ein Kampfbegriff der Linken
gegen die Rechten.
Besonders deutlich wird dies bei den Skinheads. Seit Ende der
60er-Jahre tauchten in den Vorstädten Englands mehr und mehr
Jugendliche auf, die kurze Haare, Hosenträger und schwere
Arbeitsschuhe trugen. Sie entstammten einer verarmten
Arbeiterklasse und traten das rebellische Vermächtnis der
Mods, der Teddy-Boys und der Rocker an. Neben "schwarzer" Ska-Musik
- ähnlich dem Reggae nur tanzbarer -, standen
Klassenbewusstsein, Fußball, Gewalt und Alkohol im
Vordergrund. Die Gewalt richtete sich gegen die gegnerischen
Fußballfans, gegen Schwule, Hippies und Pakistanis, und das
oft gemeinsam mit den afro-amerikanischen Jugendlichen des
Viertels, den Rude Boys. Rassismus war zu dieser Zeit kein
typisches Merkmal. Die Harmonie hielt allerdings nicht lange. Zu
unterschiedlich waren die Lebenserfahrungen der Immigranten und der
weißen Unterklassejungs. Ende der 70er-Jahre gelang es denn
auch der "National Front" und dem "British Movement", in den
Fußballstadien Englands erstmals massenhaft Hooligans und
Skinheads zu rekrutieren. Unterstützt wurde diese Entwicklung
durch die Musik. Neben die Ska-Musik gesellte sich jetzt der
Oi-Punk, eine härtere Variante des Punkrocks. Rechte Bands wie
die Skrewdriver vertraten offen nationalsozialistische und
rassistische Ziele und organisierten sich in dem Musiker-Netzwerk
"Blood and Honour". In der Skinheadszene nimmt die Musik seither
einen wichtigen Platz ein. Die Folge: Ein großer Teil der
Szene driftete nach Rechts.
Anfang der 80er-Jahre sprang der Funke auf das europäische
Festland und nach Deutschland über - nach Ost wie West. Punks,
denen der Punk zu sehr nach links abgedriftet war, und
Fußballfans rasierten sich die Köpfe. Die Skinheadszene
bekam auch hier eine rechte Schlagseite. Die extreme
Gewaltbereitschaft richtete sich in erster Linie gegen Linke,
Ausländer, Schwule, gegen alles, was anders und nicht-deutsch
war. Aus Skinheads wurden Naziskins oder "Boneheads", wie sie vom
nicht-rassistischen Teil der Szene genannt wurden. Gleichwohl gab
es immer Skinheads, die sich auf den "Spirit of 69" beriefen. Sie
stellten nicht die Politik in den Vordergrund, sondern ihr
Klassenbewusstsein, die "schwarze" Musik, die multikulturellen
ersten Skinheads in England, Fußball - und Spaß. Einige
Jahre ging das Nebeneinander gut. Spätestens aber 1984
eskalierte die Gewalt zwischen den Flügeln und die Szene
teilte sich. Bei Konzerten kam es seitdem regelmäßig zu
Auseinandersetzungen zwischen Boneheads und den Skins, die nicht
rassistisch waren. Als Reaktion fanden sich immer mehr Skinheads
unter dem Label SHARP zusammen, als "SkinHeads Against Racial
Prejudice". Die Naziskins seien gar keine Skinheads, weil sie die
Wurzeln der Bewegung verraten würden. "Stay rude, stay rebel,
stay rebel, stay SHARP" war ihr Motto. Die Red Skins stehen den
rechten Skins sogar noch krasser gegenüber. Sie sind
linksradikal, engagieren sich politisch bei Antifa-Gruppen.
Skinhead ist eben nicht gleich Neonazi. Klaus Farin vom Berliner
Archiv der Jugendkulturen ist der Meinung, dass ein Drittel der
Skinheads rechtsradikal, ein Drittel explizit antirassistisch und
ein Drittel unpolitisch ist.
Ganz anders sieht das bei den organisierten Neonazis aus. Zuerst
einmal handelt es sich hierbei nicht um eine Jugendbewegung, in der
die Politik lediglich ein Aspekt ist. Neonazismus ist vielmehr eine
Weltanschauung, die sich gegen das bestehende System richtet und
ein Staatsmodell nach dem Vorbild des Nationalsozialismus anstrebt.
Offene Feindschaft richtet sich gegen alles, was "undeutsch",
"unarisch" ist, gegen Ausländer, Juden, politisch
Andersdenkende, Journalisten, Vertreter der Staatsorgane wie
Richter und Polizisten sowie Lehrer. Hinzu kommen Vorstellungen,
nach denen sich der Stärkere natürlicherweise durchsetzt
(Sozialdarwinismus), Relativierung und Leugnung des Holocaust und
der Kriegsschuld. Insgesamt geht der Verfassungsschutz von 3.800
Neonazis in Deutschland aus. Ihr Auftreten ist seriöser, die
Akteure agieren oft im Anzug und sind rhetorisch versiert.
Schließlich verstehen sie sich auch als intellektueller
Überbau der "rechten Erneuerung".
Die oft untereinander zerstrittenen Neonazigruppen eint ihre
extreme Gewaltbereitschaft. Ohne Rücksicht auf Menschenleben
werden Gewalt- und Straftaten gegen Menschen und jüdische
Friedhöfe verübt. Zudem kam es zu Brandstiftungen. Hinzu
kommen Propagandadelikte und Volksverhetzung. Ab Ende der
70er-Jahre hatte die Szene einen stetig steigenden Zulauf und
Organisationsgrad, der erst mit der Verbotswelle gegen
neonazistische Vereinigungen und Gruppen zwischen 1992 und 1995
gestoppt wurde.
Mit den Verboten konnte zwar die öffentliche Mobilisierung
unterbunden werden - dass sich ständig neue Organisationen
bilden, kann mit Verboten jedoch nicht verhindert werden.
Konsequenz dieser Entwick-lung war die Herausbildung autonomer
Gruppen, so genannter Freier Kameradschaften. Hier gibt es keine
zentrale Organisationsstruktur, die Gruppen sind lose über
"Aktionsbüros" miteinander verbunden und werden von diesen
gelenkt. Der Journalist Andreas Speit zählt mehr als 200
Kameradschaften in Deutschland, die sich persönlich kennen und
hermetisch nach außen abgeriegelt sind. In ihr treffen sich
militante Neonazis, Naziskins und rechtsradikale Musiker. Fünf
bis 30 Aktivisten, die zwischen 18 und 35 Jahre alt sind,
verbringen ihre Zeit zusammen, gehen auf Konzerte, auf Demos und
trinken Bier. Sie verbinden Privates mit Politischem und stellen
dabei den Erlebnischarakter in den Vordergrund. Gerade für
Jugendliche ist solch eine Organisationsform sicherlich
interessanter als graues Parteileben.
Neonazis waren über Jahre Parias. Politische Parteien
hielten, zumindest öffentlich, Abstand. Seit aber die NPD
(Nationaldemokratische Partei Deutschlands) im Jahre 2003 ihr
Verbotsverfahren überstanden hat, gab sie ihre
Zurückhaltung gegenüber den Freien Kameradschaften auf.
Die zwei führenden Köpfe der Neonazi-Szene, Thomas Wulff
und Thorsten Heise, konnten in die Partei eintreten. Thorsten Heise
wurde sogar in den Parteivorstand gewählt. Der
Parteivorsitzende Udo Voigt skizziert die Zusammenarbeit in der
Parteizeitung "Deutsche Stimme" schon im April 2004
folgendermaßen: "Der nationale Widerstand auf der Straße
braucht einen starken Arm in den Parlamenten. Eine nationale
Fundamental-opposition im Parlament braucht eine starke Kraft auf
der Straße."
Neben dem Verteilen von Flugblättern, etwa im
Bundestagswahlkampf 2005 in Brandenburg, schließt das den
Terror und die Gewalt gegen Andersdenkende ein. Die dem Anschein
nach legale öffentliche Politik hat ihren terroristischen
Flügel auf der Straße gefunden. Insgesamt kann man von
10.000 gewaltbereiten Rechtsextremisten in Deutschland ausgehen.
Die Mehrheit davon sind rechtsradikale Skinheads. Gestiegen ist die
Gefahr, die durch den Anstieg der Propagandadelikte und der
Volksverhetzung ausgeht. Gerade vor dem Hintergrund des Kampfes um
die kulturelle Hegemonie, des Kampfes um die Köpfe, sind diese
Delikte so gefährlich. Deshalb auch die massiven Versuche seit
Mitte 2004, CDs mit rechtsextremen Musikstücken vor Schulen
und Jugendtreffs zu verteilen. Leicht ansteigend ist die Zahl der
Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund.
Skinheads sind nicht der Kern des Problems. Sie sind aber oft
der Einstieg in die neonazistische Szene. Auf diese Weise ist etwa
Thorsten Heise eingestiegen. 1984 hat er als Skinhead angefangen,
1992 den Landesvorsitz der FAP (Freiheitliche Deutsche
Arbeiterpartei) in Niedersachsen übernommen. Nach deren Verbot
wurde er 1995 Chef der Kameradschaft Nordheim. Was hilft? Eine
genaue Auseinandersetzung über die Frage, was die Neonazis so
attraktiv macht. Gefordert ist Werbung für Demokratie und
attraktive politische Bildung.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Bremen.
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