Dieter Segert
Die Gefahr des Allparteienpopulismus
Rechtsradikale Parteien im Osten
Europas
Gute 15 Jahre nach der Wende darf man eine Normalisierung der
politischen Entwicklung in Osteuropa erwarten. Die Transformation
zur Demokratie sollte eigentlich abgeschlossen sein. Doch sind die
demokratischen Verhältnisse in den Ländern, die entweder
schon Mitglieder der EU geworden sind oder deren Aufnahme bald
vorgenommen werden soll, tatsächlich belastbar?
Fakt ist: Schon in den 90er-Jahren hatte es überall
rechtsextreme Parlamentsparteien gegeben, so in Tschechien die
"Republikaner" (SPR-RSC) und im Nachbarland die "Slowakische
Nationalpartei" (SNS), welche 1994 bis 1998 sogar mitregierte. In
Ungarn gab es die MIÉP (bekannt durch den Namen ihres
Führers, des Schriftstellers István Csurka). Dass es auch
jetzt noch erfolgreiche rechtsextreme Parteien gibt, hat
Gründe: Eine Umfrage aus dem Jahr 2000, die nach sozialen Ab-
oder Aufstiegserfahrungen fragte, ergab zum Beispiel, dass
außer in Tschechien die Abstiegserfahrungen überwogen. In
Polen konstatierten 54 Prozent der Befragten einen Abstieg, in
Rumänien sogar fast 70 Prozent, in Bulgarien über 80
Prozent.
Es gibt offene Feindseligkeiten gegen Minderheiten, besonders
gegen die Roma, und einen verbreiteten, wenn auch verdeckten
Antisemitismus (nach Holocaust und Nachkriegsauswanderung ist das
allerdings ein "Antisemitismus ohne Juden"). Auch in der
öffentlichen politischen Debatte sind nationalistische
Klischees und Fremdenfeindlichkeit präsent. Trotzdem haben
Antisystemparteien in den Parlamentswahlen bisher kaum mehr als
marginalen Einfluss erlangt. Das liegt vor allem daran, dass,
bedingt durch den Staatssozialismus und seine Endkrise, die
Demokratie in der Region nach wie vor als die einzig legitime
Herrschaftsordnung erscheint.
Dennoch konnte beispielsweise in Polen die "Liga Polnischer
Familien" (LPR), bei der Parlamentswahl Ende September acht Prozent
der Stimmen gewinnen - wie schon 2001. Im Unterschied zu damals
wird sie aber dieses Mal einen größeren Einfluss erlangen
können, weil sie für die geplanten Verfassungsreformen
der beiden regierenden Rechtsparteien "Bürgerplattform" (PO)
und "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) wahrscheinlich gebraucht werden
wird. Aber ohnehin beeinflusst sie mit ihrer radikalen
Argumentation das polnische Meinungsklima. Die LPR ist offen
nationalistisch und vertritt eine fundamentalistische Position zum
Zusammenhang von Religion und Politik. Katholisch-konservative
Werte sollen, nach ihrem Willen, den politischen Alltag prägen
und notfalls mittels eines starken Staates durchgesetzt werden. Die
LPR ist 2001 aus anderen rechtsnationalen Parteien und
Strömungen (unter anderem der Bewegung zur Erneuerung Polens,
ROP) gegründet worden und stützt sich auf die Tradition
der polnischen Nationaldemokratie.
Juden als Feindbild
Jene hatte in der Zwischenkriegszeit die Zugehörigkeit zur
polnischen Nation mit der zur katholischen Kirche auf eine Stufe
gesetzt und, davon ausgehend, insbesondere die Juden als Feinde der
polnischen Nation bezeichnet. Ganz in diesem Sinne trat die LPR
gegen die Auflösung der polnischen Nation in einer
"kosmopolitisch-liberalen EU" ein. Sie wehrte sich im Zusammenhang
mit der polnischen Debatte um das Pogrom von Jedwabne gegen die
Versöhnungsbemühungen des polnischen Präsidenten.
Der mit der LPR eng verbundene private polnische Rundfunksender
"Radio Maryja" ist ebenfalls häufiger durch antisemitische
Aussagen aufgefallen und hat die Kampagne gegen den Beitritt Polens
zur EU angeführt. Die LPR ist seit 2004 die stärkste
Gruppierung innerhalb der europakritischen Fraktion des
Europaparlaments "Unabhängigkeit/Demokratie".
Doch auch in Bulgarien und Rumänien, den Staaten also, die
als nächste aus der Region auf eine Aufnahme in die EU rechnen
können, existieren extrem rechte Parteien im Parlament. Nach
den Wahlen im Juni 2005 zog in Bulgarien etwa die neue Partei
"Nationales Bündnis: Attacke" (Ataka) mit über acht
Prozent als viertstärkste Partei ins Parlament ein. Ihre
wichtigste Führungsperson ist ein Journalist des Privatsenders
Skat TV, Volen Siderov, der am 11. Juli in seiner Antrittsrede im
Parlament ein nationalistisches und populistisches Programm
verkündete. Er veröffentlichte jüngst zwei
Bücher, in denen antisemitische Verschwörungstheorien
eine zentrale Rolle spielen. Sein Stil ist geprägt durch eine
Verunglimpfung seiner politischen Gegner als Kriminelle und von
deren Politik als "Genozid am bulgarischen Volk". In seinem
Verständnis der heutigen bulgarischen Situation stehen sich
"nationale Verräter" (die bisherige politische Elite) und
"ehrenhafte bulgarische Patrioten" (seine eigene Partei)
gegenüber.
Die Ursachen für seinen Erfolg sind umstritten:
Während die einen eher minderheiten- und
ausländerfeindliche kulturelle Stereotype, die in der Mitte
der Gesellschaft verwurzelt sind, als dessen Grundlage sehen,
weisen andere auf die schwierige soziale Lage großer Teile der
Bevölkerung hin - nicht ganz zu Unrecht: Immerhin haben seit
1989 über eine halbe Million sehr gut ausgebildeter Bulgaren
das Land in Richtung Westen verlassen, bei einer
Gesamtbevölkerung von gegenwärtig 7,5 Millionen.
Doch letztlich besitzen beide Deutungen eine gewisse
Plausibilität: Extremistischen Parteien sind nicht so sehr die
direkten Vertreter der sozialen Verlierer oder der ärmsten
Bevölkerungsgruppen, sie stützen sich eher auf relativ
gut situierte städtische Bevölkerungsgruppen mit starker
nationalistischer Orientierung. Trotzdem reflektiert ihr Erfolg
auch die durch die sozialen Turbulenzen während des
Systemwechsels hervorgerufene tiefe Verunsicherung breiterer
gesellschaftlicher Schichten.
Das Hauptproblem besteht darin, dass angesichts anhaltender
Instabilität die Parteien der Mitte sich im Stil und in
einzelnen Inhalten von politisch-extremistischen Unternehmern
Anleihen nehmen könnten. Der Populismus spielt mit den
Ängsten der Bürger - und begünstigt so die weitere
Abschwächung der Bindungen zwischen der politischen Klasse und
der Gesellschaft. Die Entfremdung der Bürger von der
Demokratie stellt wohl gegenwärtig die größere
Gefahr für die Demokratien - nicht nur in Osteuropa - dar.
Der Autor ist Politikwissenschaftler an der Universität Wien
am Lehrstuhl für Transformationsprozesse in Mittel-, Ost- und
Südosteuropa.
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