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Peter Weber
Die Sehnsucht nach dem starken Mann
Im Mitte-Rechts-Bündnis Italiens ist auch
Platz für Neofaschisten
Knapp ein Jahr nach den EU-Querelen um die
Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ in
Österreich hatte der belgische Außenminister Louis Michel
im März 2001 ein Déjà-vu-Erlebnis. "Gerade weil wir
gegen Österreich Sanktionen verhängt haben, kann man
nicht zuschauen, wenn in Italien rechtsextreme Parteien in die
Regierung drängen", mahnte er aus Brüssel und forderte
eine analoge Behandlung für die angekündigte
Mitte-Rechts-Koalition in Rom, in der vor allem die Lega Nord
teilweise "faschistisches Gedankengut verbreite".
Wie bekannt kam es anders, und die Regierung
Berlusconi wurde Mitte 2001 ohne weitere Umstände in den Kreis
der europäischen Partner aufgenommen. "Ich glaube kaum, dass
Sanktionen gegen Italien verhängt werden können, weil wir
ein Gründungsland der EU mit einem starken Stimmrecht sind",
hatte Lega-Chef Umberto Bossi bereits im Vorfeld richtig vermutet.
Heute steht Ministerpräsident Silvio Berlusconi seit nunmehr
vier Jahren einer Koalition vor, in der die drei größten
Parteien zumindest dem Verdacht des Rechtsextremismus ausgesetzt
sind.
Die Geschichte der politischen Rechten in der
Italienischen Republik beginnt bereits 1946 mit der Gründung
des Movimento Sociale Italiano (MSI) als Auffangbecken für die
versprengten Kämpfer der Republik von Salò. Obwohl die
Verfassung auf einem antifaschistischen Grundkonsens basiert und
die "Reorganisation der aufgelösten faschistischen Partei in
jeglicher Form" ausdrücklich verbietet, blieb der MSI in der
Folge unbehelligt. Bei Wahlen kamen die Neofaschisten unter ihrem
langjährigen Vorsitzenden Giorgio Almirante auf Ergebnisse
zwischen 4,5 und 8,7 Prozent und waren damit von 1948 bis 1994
ununterbrochen im Parlament vertreten. Nachdem die Lega Nord Ende
der 80er-Jahre das Repertoire rechter Parolen wieder
zeitgemäß gemacht hatte, erzielten auch die "Missini" mit
ihrem jungen Vorsitzenden Gianfranco Fini zunehmende Erfolge, indem
sie sich als eine Art "ehrliche Lega des Südens"
empfahlen.
Der Ausbruch aus dem neofaschistischen Getto
gelang aber erst im Frühjahr 1994 mit Hilfe Silvio
Berlusconis, der neben der Lega Nord auch die offiziell noch immer
dem Faschismus huldigende Partei Finis in sein
Regierungsbündnis aufnahm. Ein Jahr später zelebrierte
Fini auf dem Parteitag von Fiuggi mit der Auflösung des MSI
und der Neugründung der Nationalen Allianz (AN) die
endgültige Abkehr vom Faschismus, und die bis dahin noch
überall in den Hinterzimmern ausgestellten
Mussolini-Büsten verschwanden aus den Parteibüros. Eine
nostalgische Minderheit unter Pino Rauti machte den Schwenk auf den
Boden der Demokratie indes nicht mit und gründete mit der
Fiamma Tricolore eine neue rechte Splitterpartei. Im Jahre 2002 kam
es noch zu einer weiteren Abspaltung durch die Enkelin des Duce,
Alessandra Mussolini. Sie verließ die Alleanza Nazionale im
Streit mit Fini, um eine neue Alternativa Sociale (AS) ins Leben zu
rufen.
Bei einer Untersuchung der italienischen
Rechten müssen deshalb heute insgesamt fünf Parteien in
Betracht gezogen werden: Finis Alleanza Nazionale, Bossis Lega
Nord, Berlusconis Forza Italia, Alessandra Mussolinis inzwischen in
Azione Sociale umbenannte Partei und die heute von Luca Romagnoli
geführte Fiamma Tricolore. Die ersten drei bilden das
Rückgrat der Regierungskoalition, die beiden übrigen
stehen in Opposition, werden aber zwecks Wahlabsprachen von
Berlusconi teilweise heftig umworben. Bei den letzten
Parlamentswahlen wurde so auf Betreiben des Forza Italia-Chefs ein
Stillhalteabkommen mit der extremen Rechten geschlossen. Obwohl
dies von der Nationalen Allianz ungern gesehen wird, ist eine
ähnliche Absprache unter Einbeziehung Mussolinis auch für
die nächsten Parlamentswahlen fest in Planung. Bei den
Europawahlen 2004 kam die Forza Italia sogar auf 21 Prozent, die AN
erhielt 12,5 Prozent, die Lega 5 Prozent, die Fiamma 0,7 Prozent
und Mussolinis erstmals antretende AS immerhin 1,2
Prozent.
Eine Sonderstellung im rechten Spektrum
Italiens nimmt ohne Zweifel die Lega Nord ein, die Anfang der
90er-Jahre mit regionaler Folklore, fremdenfeindlichen Parolen und
teils föderalistischer, teils sezessionistischer Programmatik
reüssierte. Mit ihrer Polemik gegen den römischen
Zentralismus leistete die Lega einen wichtigen Beitrag zum Sturz
des korrupten Parteienregimes und avancierte zu einer der
meiststudierten neuen Parteien Europas. Bemerkenswert war dabei die
Ambivalenz der Partei, die einerseits fremdenfeindliche Hasstiraden
wieder hoffähig machte, andererseits aber mit der Forderung
nach Dezentralisierung und Liberalisierung durchaus
zeitgemäße Forderungen stellte.
Ende 1994 stürzte Lega-Chef Umberto
Bossi als abtrünniger Koalitionspartner die erste Regierung
Berlusconi. Ende der 90er-Jahre gelang es dem Fernsehmagnaten
jedoch, seinen Widersacher Bossi ins medienpolitische Abseits zu
drängen und so zur Rückkehr ins rechte Lager zu bewegen.
Heute ist die Lega Nord vor allem um die Verabschiedung einer
föderalistischen Staatsreform ("Devolution") bemüht und
hat dafür alle anderen eventuell einmal vorhandenen
liberaldemokratischen Anwandlungen dem Machtwillen Berlusconis
geopfert. Auch ihr Parteivorsitzender Bossi ist nach einem Infarkt
nur noch ein Schatten seiner selbst.
Forza Italia als größte
Regierungspartei wird von ihrem Gründer Silvio Berlusconi gern
als freiheitsliebende liberale Bewegung gefeiert. Gemessen an der
konkreten Wirtschaftspolitik, einer Mischung aus steuerpolitischer
Begünstigung der Wohlhabenden und Alibi-Eingriffen zugunsten
der Schwächeren, bleibt von diesem Anspruch aber recht wenig.
Dem liberalen Parteiprogramm widerspricht auch die Tatsache, dass
Forza Italia mehr als jede andere italienische Partei nach dem
Führerprinzip strukturiert ist. Bei solchen Vorgaben ist es
kaum verwunderlich, dass auch Berlusconi selbst immer wieder seinen
persönlichen historischen Revisionismus durchscheinen
lässt. So wies er in einem Interview im Sommer 2003 einen
Vergleich zwischen Saddam Hussein und Benito Mussolini
entrüstet zurück, da die Diktatur Mussolinis doch eher
"wohlwollend" gewesen sei, der Duce "niemanden tötete" und die
Regimegegner allenfalls "ins Exil in Urlaub geschickt"
habe.
Wildern im Revier der Rechten
Bedient werden mit solchen Erklärungen
auch bestimmte "rechte" Stimmungslagen wie der Ruf nach dem starken
Mann. Dabei ist auffällig, wie geschickt dabei die Nationale
Allianz umgangen wird, deren Führer Gianfranco Fini sich
solche Entgleisungen wegen seiner neofaschistischen Vergangenheit
wohl niemals erlauben dürfte. Außenminister Fini übt
sich vielmehr in Mäßigung, reist beispielsweise zum
Kniefall nach Israel, während sein Verbündeter Berlusconi
jede Gelegenheit nutzt, in seinem Revier zu wildern. Die Hauptleute
Finis wie der Agrarminister Gianni Alemanno sehen diese Problematik
wohl und bedauern den Profilverlust der Partei, der sich auch in
stagnierenden Wahlergebnissen niederschlägt.
Tatsächlich hat Berlusconi mit seinem
Revisionismus den Parteien der nostalgischen Rechten immer wieder
den Wind aus den Segeln genommen. Die Verbreitung rechten
Gedankenguts ist deshalb wohl kein Selbstzweck in der Welt des
Medien-Tycoons, sondern eher ein Zufallsprodukt machtpolitischer
Erwägungen.
Die Debatte um die Entsendung italienischer
Truppen in den Irak ist ein interessantes Beispiel. Da diese
Entscheidung Berlusconis höchst umstritten blieb, forderte er
Flankendeckung von seinen Gefolgsleuten, und tatsächlich
bemühen sich spätestens seit dem 11. September
konservative Intellektuelle wie die Erfolgsautorin Oriana Fallaci,
der Fernsehjournalist Giuliano Ferrara und Senatspräsident
Marcello Pera (Forza Italia) darum, die Italiener für einen
neuen Kreuzzug gegen den radikalen Islamismus zu mobilisieren. So
sucht die italienische Rechte heute nach neuen Feindbildern, aber
trotz beachtlichen Medienrummels scheint der Erfolg bisher eher
begrenzt, und alle eventuell doch vorhandene Kriegslust dürfte
selbst den Hardlinern nach einer Serie von Anschlägen und
Geiseldramen endgültig mit der Ermordung des
Geheimdienstagenten Nicola Calipari durch US-Truppen vergangen
sein.
Wesentlich leichter fällt deshalb die
Bewertung der konkreten gesetzgeberischen und administrativen
Entscheidungen der Regierung Berlusconi, insbesondere die
Aushöhlung der Verfassung, die Diskreditierung der
unabhängigen Justiz, den Niedergang der Staats- und
Steuermoral und die unverhohlene Bereicherung des Regierungschefs
und seiner Unternehmen durch direkte Kontrolle der
Konkurrenz.
Besonders in der Medienpolitik scheint
Italien unter Berlusconi wohl endgültig den Boden der
freiheitlichen Demokratie verlassen zu haben. Deutlich wird dies
sowohl in der Themenauswahl wie auch in der systematischen
Diffamierung der Opposition auf allen Fernsehkanälen. 60 Jahre
nach dem Sturz Mussolinis herrscht heute in den italienischen
Medien wieder ein repressives monokratisches Regime, in dem das
klassische Rizinusöl zur Einschüchterung der Dissidenten
recht elegant durch die Drohung mit abruptem Karriereknick durch
lebenslängliches Auftrittsverbot im TV ersetzt wurde. Damit
hat die postdemokratische Telekratie Berlusconis ihre Ziele
weitgehend durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund könnte es sich
im Nachhinein tatsächlich als ein Fehler erweisen, dass die EU
auf Sanktionen gegen Italien bisher verzichtet hat.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Rom.
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