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Joachim Rogge
Die schlechte Stimmung ist Humus für die
Demagogen
Rechtsextremismus ist in Frankreich längst
salonfähig geworden
Der Boden ist bereitet - nun wollen sie ernten.
Ein noch "besseres Ergebnis" als 2002 stellt Jean-Marie Le Pen
seinen Anhängern bei den Präsidentschaftswahlen in 18
Monaten in Aussicht. Damals war der Chef des rechtsextremen Front
National (FN) in die Stichwahl gegen Jacques Chirac gezogen.
Fünf Millionen Franzosen hatten dem Populisten, dessen
Kandidatur viele zuvor noch unter der Rubrik Folklore abgelegt
hatten, ihre Stimme gegeben. Eine zersplitterte Linke, aber auch
ein Rumoren im Volk, das im abgehobenen Paris niemand wahrgenommen
hatte, verschafften Le Pen diesen sensationellen Triumph.
Dass es nach diesem Schock noch dicker kommen
sollte, zeigte sich drei Jahre später. Massiv lehnten die
Franzosen den EU-Verfassungsvertrag im letzten Mai in einem
Referendum ab. Nicht zu Unrecht schrieben sich auch Frankreichs
rechtsradikale und -populistische Parteien den Verdienst an dieser
Abfuhr auf die Fahnen. Angst vor der Zukunft und Angst vor den
Fremden - ein gewaltiges "ras-le-bol", "Schnauze voll", brach sich
an den Wahlurnen Bahn. Seither ist die Stimmung im Land nicht
besser geworden. Humus ist das für Demagogen vom Schlag Le
Pens, aber auch für den nationalkonservativen Adligen Philippe
de Villiers, dessen "Mouvement pour la France" längst auch im
Wählerreservoir des Front National fischt.
Man möge sich nicht täuschen: Nur,
weil die Rechtsextremen wegen des französischen
Mehrheitswahlrechts kaum Mandatsträger vorzuweisen haben und
damit öffentlich kaum sichtbar sind, ist ihr Einfluss doch
greifbar. Vor allem der Front National Le Pens ist längst
salonfähig geworden und über Jahre zur dritten
politischen Kraft hinter Konservativen und Sozialisten
aufgestiegen. Inzwischen verfügt er über ein stabiles
Wählerreservoir zwischen zwölf und 15 Prozent. Bei jeder
landesweiten Wahl blickt Frankreich beschämt und entsetzt auf
die Prozentsäule der Rechtsextremen - um kurz darauf wieder
zur Tagesordnung überzugehen. Der industriell ausgeblutete
französische Norden, das reiche Elsass, der französische
Süden, Boom-Region unter hohem Einwanderungsdruck, sind seit
Jahren die regionalen Hochburgen. Der Pariser Politologe Emmanuel
Todd sieht in den wachsenden Erfolgen des FN vor allem einen
Aufschrei des Frankreichs von unten, das sich nicht mehr
gehört fühlt.
Die Statistik gibt ihm Recht. Der Zulauf
kommt von Arbeitern, die früher links wählten, von
Arbeitslosen, die früher kommunistisch wählten, von
kleinen Gewerbetreibenden und Handwerkern, die Europas offene
Grenzen als persönliche Bedrohung begreifen, von kleinen
Angestellten, die um ihre Jobs fürchten. Den "polnischen
Klempner" als Inbegriff unfairer Konkurrenz hatte vor allem
Philippe de Villiers während der EU-Referendumskampagne
geschickt als Zerrbild popularisiert. Zehn Jahre nachdem Jacques
Chirac angetreten war, den "sozialen Riss" im Land zu kitten, ist
der Graben eher noch größer geworden. Den unteren
sozialen Schichten geht es schlecht. Und vor allem Le Pen schwingt
sich einmal mehr zum Anwalt der kleinen Leute auf.
"Sozial links, ökonomisch rechts und
national Franzose" - das ist der dröhnende Dreiklang des
Rechts-populisten. "Frankreich zuerst" - die Anklänge an
faschistische Parolen sind nicht zufällig. Marschall Petain,
der Nazi-Kollaborateur und Vichy-Chef, ist in Le Pens Augen ein
Großer der französischen Geschichte, "kein
Verräter". Seit einem halben Jahrhundert gehört der
polemisierende Rabauke, der auch handgreiflich werden kann, zum
politischen Inventar der Republik. Mit 28 Jahren zog der Bretone
1956 erstmals in das französische Parlament ein, im Schlepptau
des Populisten Pierre Poujade, der sich als Sprachrohr
unzufriedener Händler und Handwerker gerierte. Der Poujadismus
blieb eine kurze Episode. 1958 zog Le Pen als Unabhängiger
auch in die erste Nationalversammlung der Fünften Republik
ein. Der Algerien-Krieg, der Rückzug Frankreichs ließen
den früheren Algerienkämpfer immer weiter nach rechts
abdriften. Charles de Gaulle wurde zum Erzfeind wie später
Jacques Chirac, in Le Pens Augen ein "maskierter Linker", der das
Land verkommen lasse.
In den 60er- und 70er-Jahren gelang es Le Pen
nicht mehr, ins Parlament einzuziehen. Und nach der Gründung
des FN 1972 musste er noch ein Dutzend Jahre warten, ehe die Partei
den Durchbruch auf der großen Bühne schaffte. Zehn
Mandate errang der FN bei der Europawahl 1984. Seither gehört
die Partei zum Inventar der Republik. Zwei Jahre später zog Le
Pen mit seinen 34 Gefolgsleuten wieder in die Pariser
Nationalversammlung ein. Zu verdanken hatte Le Pen dies
ausgerechnet dem sozialistischen Präsidenten François
Mitterrand, der Mitte der 80er-Jahre das Verhältniswahlrecht
einführte - in der Absicht, die Rechte zu spalten.
Enge Kontakte pflegte Le Pen in den
80er-Jahren mit den italienischen Faschisten um Gianfranco Fini.
Mit den Abgeordneten der deutschen "Republikaner" und des
belgischen Vlaams Blok schmiedete er nach der Europawahl 1989 ein
Bündnis. Doch sich einzureihen, kam für den aufbrausenden
Bretonen nie in Frage. Nicht an Haiders oder Berlusconis Erfolgen
wolle er sich orientieren, betonte er, sondern: "Das Vorbild bin
ich."
Zwischenzeitlich schien er Kreide gefressen
zu haben. "Ich bin kein Rassist", beteuerte Le Pen im Wahlkampf
2002 treuherzig, verwies auf seine schwarze Köchin und den
afrikanisch-stämmigen Gärtner. Manche fremdenfeindliche
und antisemitische Entgleisung früherer Jahre, die ihm
Ermittlungsverfahren und gleich zwei Mal den Verlust der
Immunität im Europa-Parlament einbrachte, nannte er
"unglücklich". "Ich bin halt nicht perfekt." Doch das ist nur
Wortgeklingel, das bürgerliche Wähler beruhigen
soll.
Le Pen, der bei einer Saalschlacht 1958 das
linke Auge verlor, ist ein politischer Überlebenskämpfer.
1998 schien der FN nach der Parteispaltung am Ende zu sein, als Le
Pens rechte Hand, Bruno Mégret, die Partei im Streit um die
Führung verließ und die Hälfte der Kader ihm
folgten. Die "Mégristen" freilich führten sich selbst ins
politische Abseits, landen bei Wahlen längst unter ferner
liefen. Inzwischen ist der Egomane an der Spitze wieder dabei, auch
andere Getreue zu vergraulen. Den letzten verbliebenen
Bürgermeister mit FN-Parteibuch, Jacques Bompard aus Orange,
hat Le Pen im Oktober ziemlich rabiat gegen den Willen der
allerengsten Führung aus dem FN-Politbüro geschmissen.
Bompard, ein alter Kamerad aus den Gründungstagen, keilt
seither rüde zurück. "Die Führung verbunkert sich
hinter einem alternden und tyrannischen Chef." Schade um die
Wähler, sagt Bompard. "Sie werden woanders
hingehen."
Vor allem der zunehmend populistische Kurs
des achtfachen Vaters aus der katholischen Vendée, Graf de
Villiers, macht Le Pen, der jede Stimme braucht, um sich 2007 wie
versprochen selbst zu übertreffen, zu schaffen. Und
Innenminister Nicolas Sarkozy, Frankreichs populärster
Politiker, besetzt von Kriminalität bis Einwanderung hochaktiv
jene Themenfelder, mit denen der Demagoge vom Dienst sonst die
Emotionen schürt. Dass Le Pen seinen Zenit längst
überschritten hat, glauben, ähnlich wie der "Ketzer"
Bompard, viele in der Partei. Nur offen wagt das keiner zu
sagen.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Paris.
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