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Sabine Rennefanz
"Ihr interessiert Euch einfach nicht genug
für Ideologien"
Mit extremistischen Ideen können die
meisten Briten nichts anfangen
Schon Sir Oswald Mosley war gescheitert: Als der
Gründer der "British Union of Fascists" (BUF) im Oktober 1936
durch das überwiegend von Juden bewohnte Londoner East End
marschieren wollte, stieß er auf den Widerstand des ganzen
Viertels. Bewaffnet mit Besen, Knüppeln und
Haushaltsgegenständen schlugen die Bewohner Mosley und seine
Schlägertruppe, die "Black Shirts", zurück. Nach Ausbruch
des Krieges wurde Mosleys Partei verboten, er selbst unter
Hausarrest gestellt. Heute erinnert eine Wandmalerei an den
Zusammenstoß, der als "Schlacht von Cable Street" in die
Geschichte einging.
Das Land ist mit einer kraftvollen
Mittelmäßigkeit des Intellekts gesegnet", sagte der in
Oxford lebende österreichische Schriftsteller George Steiner
dem englischen Journalisten Jeremy Paxman einmal. "Das hat euch vor
dem Faschismus gerettet und das hat euch vor dem Kommunismus
gerettet. Letztlich interessiert ihr euch einfach nicht genug
für Ideologien, um dafür zu sterben."
Das mag ein wenig bösartig formuliert
sein, beschreibt aber richtig, dass extreme Ideologien etwas sind,
mit der die Masse der Briten nichts anfangen kann. Schon der
Philosoph John Stuart Mill urteilte, der Glaube an
allgemeingültige Überzeugungen und zentralisierte
Regierungen sei dem britischen Naturell fremd. Man pflege ein
pragmatisch-skeptisches Verhältnis zum Staat und dem, was er
erreichen kann. Getragen von stabilen, jahrhundertealten
Institutionen wie der Monarchie und einem liberalen Rechtssystem,
hat Großbritannien tatsächlich keine Despoten
hervorgebracht - und auch keine zahlenmäßig nennenswerte
rechtsextreme Bewegung. Keiner rechtsextremen Partei ist es jemals
gelungen, einen Platz im Unterhaus zu ergattern. In den 80er- und
Anfang der 90er-Jahre fristeten die rechtsextremen Parteien wie die
Nationale Front (NF) und die British National Partei (BNP) ein
Schattendasein.
Erst in den vergangenen Jahren verzeichneten
rechte Parteien in Großbritannien wieder wachsende Sympathien,
besonders nach den Rassenunruhen in Nordengland 2001. Während
den etablierten politischen Gruppierungen Mitglieder und
Wähler davonliefen, erlebten die beiden größten
Parteien am rechten Rand, die BNP und die UK Independence Party
UKIP, bei den letzten Europa- und Unterhauswahlen erheblichen
Zulauf. Die UKIP verwehrt sich offiziell zwar dagegen, mit der
Rechten in einem Atemzug genannt zu werden, konnte aber bislang
nicht den Ruf loswerden, lediglich eine "BNP im Anzug" zu
verkörpern. Eines ihrer führenden Parteimitglieder, Nigel
Farage, gilt als eng verbandelt mit dem derzeitigen BNP-Chef Nick
Griffin. Die Partei trat zur Europawahl 2004 mit einem einzigen
Programmpunkt an - dem Rückzug aus der Europäischen
Union. Die 1993 gegründete Partei, die zuvor landesweit wenig
bekannt war, kam aus dem Stand auf zwölf Sitze im
Europaparlament in Straßburg. Bei der Unterhauswahl allerdings
versanken sowohl UKIP als auch Veritas wieder in der
Bedeutungslosigkeit. Selbst der UKIP-Chef Roger Knapman kam auf
nicht mehr als knapp 4.000 Stimmen. Derzeit spielt die Partei,
zerfressen durch fortwährenden Machtkampf, keine
größere Rolle.
Die BNP mag die kleinere rechte Partei sein,
Angaben über Mitgliedschaft schwanken je nach Quelle zwischen
3.500 und 5.500 Personen, aber sie ist die deutlich
gefährlichere. Ihr Chef, Nick Griffin, war 1998 erstmals wegen
Anstiftung zum Rassenhass zu neun Monaten Haft verurteilt worden,
im vergangenen Sommer musste er sich erneut wegen rassistischer
Äußerungen vor Gericht verantworten. Mehrere
führende Mitglieder der Partei wurden wegen Übergriffen
auf Farbige verurteilt. Nachdem Griffin (Jahrgang 1959) den Vorsitz
vom Gründer John Tyndall, einem berüchtigten Veteran der
internationalen Naziszene, 1999 an sich gerissen hatte, hat er die
Partei einem grundlegenden Modernisierung unterzogen. Der
Cambridge-Absolvent, der in den 80er-Jahren den Holocaust leugnende
Zeitschriften herausgab, orientiert sich an den erfolgreichen
rechten Parteichefs auf dem Kontinent wie Le Pen in Frankreich oder
Haider in Österreich. Ziel ist es, vom Neonazi-Image
wegzukommen und eine effiziente rechte Partei zu formieren, um eine
breitere Masse desillusionierter Wähler anzusprechen.
Kernpunkte des Parteiprogrammes sind die Ausweisung aller
nicht-weißen Einwanderer aus Großbritannien und der
Rückzug aus der EU. Diese Haltung hatte Griffin einst aber
nicht daran gehindert, mit radikalen Islamisten gemeinsame Sache zu
machen, es ist bekannt, dass Griffin in den 80er-Jahren General
Gaddafi in Libyen und Ayatollah Khomeini im Iran
unterstützte.
Konzentration auf Kommunalwahlen
Weil das britische Wahlsystem strukturell die
beiden großen Parteien, Labour und die Konservativen,
bevorzugt, konzentrieren sich die kleineren Parteien traditionell
auf die Kommunalwahlen. Bei den Unterhauswahlen konzentriert man
sich auf einzelne, von den großen Parteien
vernachlässigten Wahlkreise, in denen man
größtmögliche Aufmerksamkeit erzielen kann. Derzeit
hält die BNP 17 Sitze in Stadtparlamenten, vorrangig im Norden
Englands. Bei der letzten Unterhauswahl im Mai 2005 bewarben sich
BNP-Kandidaten um 119 Sitze. Zwar gewann die BNP keinen einzigen
Sitz, konnte aber die Stimmen landesweit von 47.000 auf 193.000
fast vervierfachen. Das entspricht einem Anteil von 0,55 Prozent
der Stimmen. Im Londoner Stadtteil Barking bereitete die BNP der
führenden Labour-Partei jedoch eine peinliche Lektion. Die BNP
hatte sich mit einem 50 bis 60 Mann starken Wahlteam auf den
heruntergekommenen Bezirk Barking im East End konzentriert, in dem
es an Arbeitsplätzen und Sozialwohnungen mangelt und unter
deren Bewohnern, einem Mix aus Alteingesessenen sowie
osteuropäischen und afrikanischen Einwanderern, die
Frustration über die Labour-Regierung Tony Blairs groß
war. Von Blairs britischem Wirtschaftswunder war in Barking wenig
zu spüren. Die BNP versuchte, aus diesem explosiven Gemisch
von Frust und Zukunftsangst Kapital zu schlagen, indem Hass
gestreut wurde. Die Partei verteilte Flugblätter, in denen
fälschlichweise behauptet wurde, dass Afrikanern 50.000 Pfund,
umgerechnet 75.000 Euro, gezahlt worden wären, um sich in
Barking anzusiedeln. Die BNP kam auf 16,9 Prozent, soviel wie
nirgendwo sonst im Land und verfehlte knapp den Platz als
zweitstärkste Kraft.
Nach den Bombenanschlägen von London
schreck-te die BNP nicht vor geschmackloser Propaganda zurück
und versuchte die Nachricht auszubeuten, dass die vier
Rucksackbomber in Großbritannien aufgewachsene
Einwandererkinder waren. Kurz nach den Anschlägen vom 7. Juli,
bei denen 56 Menschen starben, verteilte BNP-Personal
Flugblätter mit Fotos vom explodierten Bus Nummer 30 mit der
Überschrift: "Es ist Zeit, der BNP zuzuhören." Doch die
Aktion feuerte spektakulär zurück: Die Bevölkerung
wendete sich angeekelt ab und obwohl die Zahl der verbalen
Übergriffe auf Muslime kurzzeitig zugenommen hatte,
normalisierte sich die Lage schnell wieder. Mit ihrer
Flugblattaktion zog die BNP dafür das Interesse der
Geheimdienste auf sich. Als im Zuge der Antiterrordebatte
diskutiert wurde, welche radikalen islamistischen Organisationen,
die zu Hass und Terror anstiften, verboten werden sollten,
forderten mehrere Unterhausabgeordnete auch das Verbot der BNP. Ein
solches Verbot ist im liberalen Britannien aber unwahrscheinlich,
da man überzeugt ist, dass sich die Gruppierung besser
überwachen lässt, wenn sie legal operiert als wenn man
Griffin und Co. in den Untergrund verbannen würde, wo sie sich
als Märtyrer stilisieren könnten.
Die Autorin arbeitet als Korrespondentin der "Berliner Zeitung" in
London.
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