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Bernd Wagner
Der Politik fehlen die richtigen Konzepte
Es gibt eine starke Zivilgesellschaft, die sich
der Würde des Menschen verschrieben hat
Seit 1989/90 hängt ein Problem ziemlich in der Luft: das
langsam anwachsende rechtsextreme Syndrom. Zwar erklären alle
demokratischen Parteien ihren Abscheu gegen nazistische Tendenzen.
Doch die Pogrome gegen Ausländer und die aufbrechende Gewalt
gegen alles "Undeutsche" erscheinen nur der Asozialität eines
sehr kleinen desorientierten Teils des vereinigten deutschen Volkes
geschuldet. Die Entwicklung des Rechtsextremismus als Syndrom,
reflektiert in Politik, Medien und Wissenschaft, ist bis heute
weiter ein randständiges Thema, wenngleich Skandale immer
wieder verstärkte Aufmerksamkeit hervorrufen. Bis heute hat
die Politik keine Strategie in Sachen Rechtsextremismus,
Antisemitismus und Gewalt.
Und doch gibt es eine Zivilgesellschaft, ein Bürger-
engagement, dass sich der Würde des Menschen verschreibt und
gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus angeht. In langer
Tradition in Ost wie West. Die Zivilgesellschaften sind
kleinteilig, teilweise vernetzt, lokal und regional, mal laienhaft
mal hoch professionell, ideologisch und politisch sowie in den
Ansätzen sehr verschieden. Es gibt Vereine, Initiativen,
Gruppen, Projekte, Stiftungen, Gesellschaften, Personen, oft in
Konkurrenz zu und in etablierten Sozialträgern und sonstigen
tradierten Verflechtungen.
Für die Rechtsextremisten ist dieses Bürgerengagement
ein massives Ärgernis, da sie nicht unwidersprochen
propagieren können, wie es ihnen beliebt: Dort wo dieses
Engagement stark ist, haben rechtsextreme Strukturen weniger gute
Entfaltungsbedingungen.
Von da aus gesehen müssten politische Entscheider sagen:
Jeder Euro, den die demokratische Zivilgesellschaft erbringt, durch
Bürgerstiftungen etwa, ist eines staatlichen Euro und
politischer Zuwendung wert.
Künftig gilt es, um die Zivilgesellschaft zu stärken,
die Levels, Niveaus und Standards der Strukturen von
Bürgerengagement - und ihre Inhalte - besser zu erfassen, um
neue Möglichkeiten zu erschließen und die bewährte
Arbeit zu sichern. Das bedingt auch eine professionelle Lageanalyse
vor Ort.
Initiativen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und
Antisemitismus in den freien Markt zu entlassen, geht nicht an. Es
geht um den demokratischen Gemeinnutz. Trotz knapper Kassen sind
solche Überlegungen politisch und ethisch falsch.
Worte von Wichtigen und Meinungsstarken in der demokratischen
Gesellschaft sind ein knappes Gut. Deshalb ist es von großer
Bedeutung, dass sich politisch, wirtschaftlich und kulturell
Einflussreiche immer wieder in der und für die zivile
Gesellschaft engagieren und natürlich auch Projekte und
Initiativen materiell fördern. Die Medien sind aufgerufen,
bürgergesellschaftliches Engagement mehr als bisher auf die
Agenda der Berichterstattung zu nehmen.
Die Erfahrungen der letzten 15 Jahre zeigen, dass dem
demokratischen Bürgeranliegen und der Bürgerinitiative,
dem Rechtsextremismus zu wehren, seitens staatlicher Strukturen und
Parteienpräsentanzen aus sehr unterschiedlichen Gründen
nicht nur offen, sondern häufig sogar ablenkend oder ablehnend
gegenüber getreten wird. Das Gefühl sitzt tief, dass es
sich um Kritik handeln könnte. Doch daran muss gearbeitet
werden. Sonst bleibt der paternalistische Zug im Verhältnis
zwischen Staat, Politik und Bürgergesellschaft erhalten, der
in einer modernen Gesellschaft nicht gebraucht wird.
In diesem Jahr wurde das Verbundnetz für Demokratie und
Toleranz (VDT) von der VNG-Verbundnetz Gas AG, ihren Kunden und
Partnern in Ostdeutschland initiiert, was einen Vorlauf in der
Zusammenarbeit mit dem Zentrum Demokratische Kultur in Berlin
hatte. Es strebt als Plattform von Wirtschaft, Zivilgesellschaft
und Politik die Stärkung demokratischer Kultur an. Instrumente
dabei sind: Analysen, Fortbildungen, Projektbegleitungen,
Denkwerkstätten, Vernetzung und laufende Diskurse. In
Mecklenburg-Vorpommern, einen Schwerpunkt rechtsextremer
Aktivitäten und NPD-Mobilisierung, wird begonnen. Es geht um
kulturelle Veranstaltungen ebenso wie um politische
Diskussionsrunden über die demokratischen Grundwerte. Fragen
der regionalen Zukunft werden aufgeworfen, Chancen der
Generationen, - insbesondere der Jugend -, erörtert. Die
Themenpalette reicht von Globalisierung bis hin zur
Kommunalpolitik; aber auch Geschichte und Heimatarbeit auf
demokratischer Grundlage spielen eine Rolle.
Menschen sollen befähigt werden, sich mit rechtsextremer
Ideologie eigenständig auseinander zu setzen. Sie fortzubilden
und im Lebensalltag, in den täglichen Konflikten, zu
unterstützen, bedeutet, dass es ein persönliches
Hinterland und ein Leitbild geben muss, das auch von Unternehmen
unterstützt und mitgetragen wird.
Bürgerstiftungen erweisen sich als sehr wichtig für
die Verteidigung demokratischer Werte und der Menschenwürde
und sind praktische Sinnzeichen in der Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus, Antisemitismus und anderen Formen
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. 20 Bürgerstiftungen
haben sich allein in Ostdeutschland seit 1998 gegründet.
Sie setzen aktiv demokratische Grundprinzipien um:
Menschenrechte und Minderheitenschutz, Gleichwertigkeit und
Chancengleichheit sowie die Anerkennung der Vielfalt von Kulturen
und Lebensstilen. Bürgerstiftungen sind ein Dach, unter dem
viele Menschen ihre Mittel, Fähigkeiten und Erfahrungen
bündeln, um den Gedanken einer demokratischen Alltagskultur
mit Leben zu erfüllen.
Das kann kleinteilig geschehen, wie mit einer Vorleseinitiative
zur Verbesserung der Lesekompetenz von Kindern, Konzerten, aber
auch durch Gründung von Treffkaffees, Veranstaltungen zu
Problemen mit Gewalt vor Ort, Entwicklung von Kindergarten- und
Schulprojekten, Förderung von Medieninitiativen und
internationalen Begegnungen, interkulturellen Projekten und
Initiativen, Zukunftswerkstätten, Bildungsreihen für die
verschiedenen Interessentenkreise. Geschichtsarbeit zur Entstehung,
der Wirkung und den Folgen der deutschen Diktaturen, zum
Antisemitismus in Vergangenheit und Gegenwart könnten
ebenfalls eine Rolle spielen.
Angesprochen werden Schülerinitiativen,
Jugendfreizeiteinrichtungen und Bürgerinitiativen, die sich
mit Rechtsextremismus beschäftigen. Werden sie von lokalen
Initiativen, Bildungsträgern, aber auch von Politik und
Wirtschaft unterstützt, kann das helfen, vom Einstieg in die
rechtsextreme Welt abzuhalten, Eltern und Freunden Mut zu machen,
sich zu engagieren und das Kind oder den Freund nicht
aufzugeben.
Die Bürgerstiftungen sind ein Zeichen in die rechtsextreme
Szene hinein - sie zeigen, dass Rechtsextrem- sein kein Schicksal
ist und andere Lebens- und Denkentwürfe möglich sind.
Der Autor ist Initiator der Aussteigerinitiative "EXIT Deutschland"
und Leiter des Zentrums Demokratische Kultur (ZDK) in Berlin.
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