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Eckhard Jesse
Entwarnung ist ebenso wenig angebracht wie
Alarmismus
Die Gründe für das bessere Abschneiden
rechtsextremer Parteien im Osten sind vielfältig
Dass im Osten eine linke Flügelpartei wie die PDS oder "Die
Linkspartei", so der neue Name, besser abschneidet als im Westen,
bedarf keiner großen Begründung, allenfalls wegen der
Höhe des Erfolgs. 40 Jahre "realer Sozialismus" gehen nicht
spurlos vorüber. Der "Antifaschismus", die Staatsdoktrin der
DDR, wirkt nach. Bei der Bundestagswahl 2005 lag die Linkspartei im
Osten mit 25,4 Prozent als zweitstärkste Partei sogar knapp
vor der CDU.
Viel erklärungsbedürftiger hingegen ist das bessere
Abschneiden der Rechtsaußenparteien im Osten und das ebenso
stärkere Ausmaß an rechter subkultureller Gewalt.
Schließlich hatte sich die DDR auf ihren Antifaschismus etwas
zugute gehalten, galt er doch für viele als eine Art
Leitbild.
Dem Erklärungsversuch geht die Faktenanalyse voraus -
bezogen zum einen auf den organisierten Rechtsextremismus (Erfolge
der Parteien bei Wahlen), zum anderen auf den unorganisierten
(subkulturelle Gewalttaten). Damit sind wesentliche Bereiche des
(Rechts-)Extremismus eingefangen, wenn auch nicht alle. Außer
Acht bleiben intellektuelle Bestrebungen, die den demokratischen
Verfassungsstaat zu delegitimieren suchen.
Zum ersten Punkt: Anfangs fielen die Erfolge der
rechtsextremistischen Parteien in den neuen Bundesländern
nicht höher aus - im Gegenteil. Allerdings änderte sich
das mit dem Jahre 1998: Die Deutsche Volksunion (DVU) Gerhard Freys
zog auf Anhieb mit 12,9 Prozent in den Landtag Sachsen-Anhalts ein.
Im Land Brandenburg erreichte sie 1999 5,3 Prozent, dann folgten
6,1 Prozent bei der nächsten Wahl im Jahr 2004.
Auch der Einzug der NPD in den Landtag Sachsens im Jahre 2004
mit 9,2 Prozent auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die Hartz
IV-Gesetzgebung löste Entsetzen aus. In den letzten Jahren
trat unter dem Vorsitzenden Udo Voigt eine Radikalisierung der
Partei ein, nicht zuletzt durch den Zulauf von Mitgliedern
verbotener Vereinigungen. Ihr neues strategisches Konzept, das vor
allem auf den Osten zielt, stützt sich seit 1997 auf drei
Säulen: auf die Schlacht um die Köpfe, die Schlacht um
die Straße sowie die Schlacht um die Wähler. Mit der
"Schlacht um die Köpfe" ist die Programmatik gemeint, mit der
"Schlacht um die Straße" die Massenmobilisierung, mit der
"Schlacht um die Wähler" die Wahlteilnahme. Nach dem Erfolg in
Sachsen fügte Voigt auf dem Parteitag in Leinefelde im Oktober
2004 eine weitere Säule hinzu: den "Kampf um den organisierten
Willen". Darunter versteht er die Bündelung aller Kräfte
des "nationalen Lagers" - von der Deutschen Volksunion bis zu den
"Freien Kameradschaften". Selbst wenn manches großspurige
Propagandagetöse nicht der Wirklichkeit entspricht, so sind
die aggressiven Rechtsextremisten in keinem Land Deutschlands so
stark wie in Sachsen, wo sie in der Sächsischen Schweiz
über eine gewisse gesellschaftliche Verankerung
verfügt.
Bei den drei letzten Bundestagswahlen schnitten die
rechtsextremistischen Parteien im Osten (1998: 5,0 Prozent; 2002:
1,7 Prozent, 2005: 4,0 Prozent) besser als im Westen ab (1998: 2,8
Prozent; 2002: 0,9 Prozent; 2005: 1,7 Prozent). So gewann die NPD
bei der letzten Wahl in den neuen Bundesländern 3,6 Prozent
der Stimmen, im Westen nur 1,1 Prozent. Hingegen weist der Osten
keine größere Organisationsdichte im Bereich de
Rechtsextremismus als der Westen auf. Die einstige
"Organisationsgesellschaft" ist eine Gesellschaft geworden, die
eher durch Vereinzelung geprägt ist als durch einen hohen
Organisationsgrad.
Das Wahlverhalten in den neuen Bundesländern unterscheidet
sich von dem in den alten. Es gibt mehr Nicht- und
Wechselwähler, wiewohl selbst dort die Stammwählerschaft
aufgrund des starken Nachlassens der gewerkschaftlichen und der
konfessionellen Bindung erodiert. Die Parteibindung in den neuen
Bundesländern ist wegen der fehlenden Tradition geringer. Die
starke Säkularisierung hemmt nicht die Wahl
rechtsextremistischer Parteien. Von der Unzufriedenheit mit der
Regierung profitiert zunehmend nicht die "Opposition im System",
sondern die "Opposition zum System".
Zum zweiten Punkt: In der ersten Hälfte der 90er-Jahre
beging eine jugendliche rechtextremistische Subkultur - oft unter
Alkoholeinfluss und in der Clique - eine Vielzahl
gewalttätiger Ausschreitungen gegen Fremde, im Osten deutlich
mehr als im Westen. Vor allem martialisch auftretende Skinheads
taten sich dabei unrühmlich hervor. Die Verstöße
gegen die Menschenwürde sorgten in der öffentlichen
Meinung für Furore, wodurch Nachahmungstaten nicht
ausgeblieben sind.
Zwar milderte sich diese Form diffuser rechtsextremistischer
Gewalttätigkeit, doch ist sie in den neuen Bundesländern
gleichwohl verbreiteter als in den alten, etwa dreimal so hoch. Den
neuesten Daten zufolge wohnt fast die Hälfte der
gewaltbereiten Rechtsextremisten im Osten. Die höhere
Aggressivität gegen Fremde ist ein Zeichen für eine
insgesamt höhere Fremdenfeindlichkeit, wie dies Umfragen
belegen, erklärbar wohl damit, dass manche Ostdeutsche Fremde
als Konkurrenten empfinden, obwohl es im Osten weitaus weniger
Ausländer gibt ("Fremdenfeindlichkeit ohne Fremde").
Die Gründe für den insgesamt höheren Grad des
Rechtsextremismus sind zum einen die Erblast des "realen
Sozialismus", zum andern die Folge der schwierigen Transfomation,
die Verwerfungen hervorruft. Die beiden Ursachen bedingen zum Teil
einander. Die DDR, keine weltoffene Gesellschaft, schirmte die
Bevölkerung weitgehend vor dem Einfluss von außen ab.
Toleranz und Liberalität gegenüber anderen Kulturen
konnten so nicht gedeihen. Bereits in der zweiten Hälfte der
80er-Jahre verschafften sich rechtsextremistische Kräfte
rabiat Gehör. Die These, sie seien eine Folge des
Kapitalismus, war offenbar unhaltbar.
Schließlich ist die urplötzliche Transformation von
einer Diktatur in eine Demokratie mit gravierenden Umbrüchen
und Identitätsverlusten behaftet. Manche Ostdeutsche sehnen
sich in ihrer Hoffnungslosigkeit und Desorientierung nach einem
Staat, der Arbeitsplätze schafft und soziale Sicherheit
verbürgt. Gleichheitsdenken überlagert Freiheitsdenken.
Antikapitalismus ist in den neuen Bundesländern gefragt. Ihn
bedienen auf je unterschiedliche Weise die Linkspartei wie die NPD.
Da manche ihr Leben als entwertet ansehen, fehlt ihnen das Zutrauen
zur demokratischen Institutionenordnung. Rechtsextremistische
Gruppierungen sind im Osten in aller Regel nicht antikommunistisch
orientiert, sondern antikapitalistisch. Sie sehen im Westen, in den
USA und in der Globalisierung ihren Hauptfeind, setzen sogar auf
"nationale Sozialisten". Das gilt für Parteien wie für
"freie Kameradschaften" gleichermaßen. Jugendmilieus, die sich
vom Staat verlassen fühlen, sehen den Sündenbock in noch
schwächeren Kräften.
Offenkundig ist "der" Osten noch nicht demokratisch voll
konsolidiert. Diese These läuft nicht auf eine Schelte der
Bevölkerung hinaus, die oft mit anderen, weitaus
schwerwiegenderen Herausforderungen konfrontiert ist als die im
Westen. Wer die Motive verstehbar zu machen versucht, will sie
nicht rechtfertigen. Der Demokratieaufbau (mit hoher
Arbeitslosigkeit und sozialer Verunsicherung) steht nicht unter
annährend so guten Vorzeichen wie der im Westen nach 1945, als
wirtschaftliche Prosperität politische Stabilität bald
förderte.
Das Ausmaß rechtsextremistischer Bestrebungen ist eine
Mischung von Angebots- und Gelegenheitsstrukturen. Während die
Angebotsstrukturen (zum Beispiel das Fehlen eines charismatischen
Führers) den Rechtsextremismus eher schwächen,
erhöhen manche Gelegenheitsstrukturen im Osten das Aufkommen
rechtsextremistischer Erfolge. Daher gibt es weniger
intermediäre Kräfte. Die Schwäche gesellschaftlicher
Vorfeldorganisationen, etwa der Gewerkschaften oder der Kirchen,
begünstigt die mangelnde Widerstandskraft gegenüber
fremdenfeindlichen Ressentiments.
Wer die Daten unaufgeregt analysiert und die Entwicklung im
internationalen Vergleich betrachtet, sieht gleichwohl keine
ernsthafte Gefahr durch den ostdeutschen Rechtsextremismus. Er
findet 15 Jahre nach der deutschen Einheit, anders als in der
Weimarer Republik, bei den tragenden gesellschaftlichen Richtungen
keinerlei Unterstützung: nicht bei den Gewerkschaften und
nicht bei den Unternehmen; nicht in den Medien und nicht an den
Universitäten; nicht bei den Intellektuellen und nicht bei den
Kirchen. So genannte Modernisierungsverlierer können sich
nicht auf die Eliten berufen. Die Abwehrhaltung Ton angebender
Schichten wurzelt angesichts der leidvollen Last der Vergangenheit
tief. Entwarnung ist ebenso wenig angebracht wie Alarmismus.
So schlimm rechtsextremistische Spielarten im östlichen
Landesteil sind, so sollte die Wissenschaft, die Publizistik und
die Politik zweierlei nicht vergessen: Auch in den alten
Bundesländern gibt es mannigfache rechtsextremistische
Bestrebungen. Und: Jeder Rechtsextremist ist ein Antidemokrat, aber
nicht jeder Antidemokrat ein Rechtsextremist.
Der Autor ist Professor im Fach Politikwissenschaft an der
Technischen Universität Chemnitz.
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