Felix Lee
Der rechte Lifestyle ist auf dem Vormarsch
Rockmusik und Nazi-Mode ködern den
Nachwuchs
Nur ein einziges Mal hatte die Verteilaktion der
Rechtsextremisten strafrechtliche Konsequenzen: Eine engagierte
Lehrerin im Berliner Stadtbezirk Marzahn hatte sich demonstrativ an
den Schuleingang gestellt und eifrig von vorbeigehenden
Schülern die CDs eingesammelt, die ihnen kurz zuvor ein
NPD-Wahlhelfer in die Hand gedrückt hatte. Der
NPD-Anhänger sah das und entriss der 62-Jährigen die
Tonträger wieder. Nun kann die Polizei gegen den
Rechtsextremisten wegen Raubes ermitteln.
In Berlin waren die Grünen auf Sammeltour, in Schwerin
übernahm der Jugendring diese Aufgabe und in Dresden eine
örtliche Antifa. Einige von ihnen tauschten jede abgegebene CD
gegen T-Shirts, Konzertkarten oder CDs mit anderer Musik. Trotzdem,
vermuten Verfassungsschützer, sind etwa die Hälfte der
insgesamt 200.000 Silberlinge unter die Leute gekommen.
"Mit der Schulhof-CD ist uns ein Coup gelungen", prahlt
NPD-Sprecher Peter Marx. "Die Erstwähler werden von uns eben
als wichtige Zielgruppe gesehen." Und in der Tat ist es für
die Behörden schwierig, rechtlich gegen die Aktion vorzugehen:
Während die Lieder der ersten CD mit dem Titel "Anpassung ist
Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" vor einem Jahr wegen
Verunglimpfung des Staates bundesweit noch beschlagnahmt werden
konnte, waren die Produzenten der aktuellen Rechtsrock-CD schlauer:
Sie nannten sie einfach "Schulhof-CD" und entschärften die
Lieder ein wenig, ohne von der Grundrichtung abzuweichen. Die
Behörden sind machtlos.
Der Erfolg ließ auch nicht lange auf sich warten. Vor allem
an einigen Schulen in Sachsen und Thüringen gaben bei den so
genanten U(nter) 18-Wahlumfragen bis zu 30 Prozent an, der NPD ihre
Stimme geben zu wollen, wären sie wahlberechtigt.
Verfassungsschützer, Landeskriminalämter und Politiker
schlagen bundesweit Alarm und führen dieses Ergebnis auf die
Schulhof-CD zurück.
"Die Aufregung über die CD unterschlägt die Tatsache,
dass es den rechten Mainstream an den Schulen längst gibt",
sagt David Begrich von "Miteinander e.V.", eine Initiative gegen
Rechtsextremismus in Magdeburg. Es sei falsch, allein nach den
Drahtziehern zu suchen. Gebe es bei den Schülern nicht die
Nachfrage, wäre alles nicht so dramatisch. Längst habe es
an vielen Schulen jedoch eine "Faschisierung" gegeben. Und die habe
nicht erst mit der Schulhof-CD begonnen.
Begrich sieht in den NPD-Mitgliedern auch nur Nebenakteure. "Zu
einer nachhaltigen Nachwuchspolitik sind die Parteikader gar nicht
in der Lage." Es seien die Kameradschaften und ihre Anhänger,
die an der Schnittstelle zwischen Jugendkultur und Politik stehen,
sagt der Rechtsextremismusexperte. "Und die sind nicht nur
zahlenmäßig, sondern auch subkulturell wesentlich
einflussreicher als die NPD."
Der rechte Lifestyle ist besonders an Schulen auf dem Vormarsch.
An der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin-Hellersdorf wird in
der letzten Zeit immer wieder die Nazi-Schülerzeitung
"in'vers" verteilt. Auch von gezielter Jugendarbeit durch
Kameradschaftsanhänger in der Sächsischen Schweiz wird
berichtet. Dabei müssen sich die Neonazis oft gar nicht
eigener strategischer Mittel bedienen. Der Zulauf kommt von selbst.
Während bis in die späten 90er-Jahre Rechtsextremisten
vor allem an ihrem Skinhead-Outfit zu erkennen waren, hat sich in
den vergangenen Jahren nicht nur ihr Erscheinungsbild
verändert, sondern auch ihr kultureller Hintergrund.
Die Mitarbeiter vom Antifaschistischen Pressearchiv (Apabiz) in
Berlin, die seit vielen Jahren die Nazi-Szene beobachten,
konstatieren seit einiger Zeit einen Wandel, der "raus aus der
Skinhead-Szene" führt. Rechtsextremisten gebe es inzwischen in
der Grufti-Szene, in Heavy Metal, Punkrock, Hardcore - selbst die
multikulturelle HipHop-Szene bleibe von Rechten nicht verschont.
Wobei sich auch zeigt, dass Jugendkulturen, die sich explizit gegen
rechts abgrenzen, weniger anfällig sind, sagt Ulli Jentsch,
Mitarbeiter beim Apabiz. Dem Apabiz zufolge hat diese Entwicklung
die rechte Szene zum Teil selbst überrascht. Es sei auch nicht
so sehr eine gezielte Strategie gewesen, Jugendkulturen zu
unterwandern. Viele Jugendliche hätten sich von selbst der
extremen Rechten angenähert. Jentsch: "Die NPD und die
Kameradschaften haben bloß an diese Entwicklung
angeknüpft."
Und noch ein Aspekt hat den rechten Zulauf begünstigt.
Lange Zeit wirkte der rechte Springerstiefel-Look auf viele
Jugendliche eher abschreckend. Vor etwa zwei Jahren stieß die
Firma "Media-Text" aus dem brandenburgischen Zeesen auf diese
Marktnische, indem sie hochwertige Textilien kaufte, sie mit einem
modernen Schnitt versah und sie mit Runen und anderen
alt-germanischen Zeichen bedruckte. "Thor Steinar" war geboren, die
erste Modemarke für Neonazis.
Inzwischen laufen bei Nazi-Aufmärschen zwei Drittel der
Demonstranten in Thor Steinar-Klamotten herum. Längst hat es
die Marke geschafft, ihr Kundenpotenzial über die klassisch
rechte Szene hinaus auszuweiten. Die Karo-Hemden und Kapuzen-Shirts
der Nazi-Marke werden in Berlin und Brandenburg auch in ganz
unverdächtigen Trend- und Jeansgeschäften verkauft. Ein
angestrebtes Verbot dieser Marke hatte vor Gericht keinen
Bestand.
Verbote bringen nichts
Doch der Erfolg mit Rechtsrock, Mode-Accessoires und anderen
popkulturellen Elementen hat auch seinen Preis. Die Anhänger
der rechten Szene werden zwar zunehmend jünger, schicker und
zahlreicher. Sie werden jedoch auch weniger ideologisch. "Besucht
man ein Rechtsrock-Konzert, können die wenigsten etwas mit dem
Namen Rudolf Hess anfangen", beschwert sich etwa ein Nutzer des
rechten Internetportals "Freier Widerstand". Und ein weiterer
fürchtet bereits um die "deutsche Identität", wenn der
"HipHop Einzug in nationale Kreise" hält. Als Einstiegsdroge
funktioniert der Rechtsrock, ob darüber die Jugend auch
tatsächlich ideologisch indoktriniert wird, sei jedoch damit
nicht automatisch gesagt, so Apabiz-Mitarbeiter Jentsch.
Verlassen will sich Jentsch auf den Selbstbereinigungsprozess
allerdings nicht. Auch Verbote des rechten Lifestyles brächten
nichts. Vielmehr zeigten Erfahrungen in einzelnen Kommunen: Dort,
wo nicht-rechte Jugendliche unterstützt wurden, konnten
"extrem rechte Hegemoniebestrebungen erfolgreich
zurückgedrängt werden". Die öffentliche Hand ist
somit gefordert, sich in dieser Hinsicht in Zukunft stärker zu
engagieren.
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