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Debatte
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Wortlaut der Reden

Ernst Waltemathe, SPD Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen), FDP >>

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Wohltuende an dieser Debatte ist, daß hier wirklich Argumente ausgetauscht werden. Ich sage einmal vorweg: Wie immer die Entscheidung heute abend ausfällt, sie ist eine glaubwürdige; denn uns ist durch den Einheitsvertrag die Aufgabe übertragen worden zu entscheiden. Wenn nur eine bestimmte Entscheidung eine glaubwürdige, also die andere eine unglaubwürdige wäre, dann hätten wir gar keine Möglichkeit zur Entscheidung.

Wir haben heute nicht über die Vorliebe für Städte und ihre jeweilige Bevölkerung und schon gar nicht über die Bequemlichkeiten für Parlamentsglieder und Regierungsbeamte zu entscheiden, sondern über politische Vernunft.

(Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Sehr wahr! Sehr wahr!)

Aber was heißt schon politische Vernunft, wenn auch emotionale Empfindungen eine Rolle spielen, von denen auch ich überhaupt nicht frei bin. Es mag ja sein, daß bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind: wirtschaftliche, finanzielle Fakten und Argumente, soziale Fragen, organisatorische Probleme ebenso wie historische Erfahrungen und historische Symbolwirkungen -- und alles zusammen unter kurzfristigen und auch langfristigen Gesichtspunkten. Aber -- ich sage das ausdrücklich, weil ich Mitglied des Haushaltsausschusses bin -- ich beabsichtige hier nicht, über irgendwelche Zahlen oder Zahlungen zu sprechen. Das steht nicht im Vordergrund der politischen Entscheidung, sondern ist allenfalls eine Folge.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, ob es politisch geboten oder klug ist, die größte Metropole zum nationalen Regierungssitz zu machen oder bei einer Lösung zu bleiben, die inzwischen auch eine Tradition hat. Denn obwohl die Berliner Bevölkerung weder den Nationalsozialisten noch den Kommunisten zur Mehrheit und zur Macht verholfen hat -- dies ist die geschichtliche Wahrheit --, so bleibt andererseits auch die Tatsache bestehen -- und das ist nicht ein Verdienst, sondern es mag ein Zufall sein; es ist aber eine Tatsache --, daß inzwischen die verhältnismäßig unbedeutende Stadt Bonn als Sitz von Parlament und Regierung in 42 Jahren zu einem Symbol der funktionierenden und stabilen Demokratie mit Verteilung, Kontrolle und Balance staatlicher Macht geworden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bonn hat sich insoweit gerade deshalb bewährt, weil weder kulturell noch industriell, noch machtpolitisch irgendeine Gefahr von Zentralisierung von hier ausgeht. Jede große Metropole würde zwangsläufig einen Hang zu größerer Zentralität und zu Gigantonomie fördern.

Nun weiß ich, daß ich oft belächelt werde, wenn ich darauf hinweise, daß die Niederländer sehr zufrieden mit ihrer Hauptstadt Amsterdam und ihrem Regierungs- und Parlamentssitz Den Haag sind.

(Zuruf von der CDU/CSU: Kein Vergleich!)

Amsterdam ist die bedeutendste Metropole der Niederlande. Kein Niederländer würde daran zweifeln, daß Amsterdam Hauptstadt ist. In der Stadt Amsterdam habe ich Toleranz, Freiheitswillen und europäische Gesinnung kennengelernt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insofern ist es überhaupt keine ausgemachte Sache, daß eine Hauptstadt nur dann Hauptstadt ist, wenn dort auch Regierung und Parlament ihren Sitz haben.

Wenn nun der Bundespräsident meint, in der Hauptstadt Berlin müsse auch die politisch verantwortliche Führung künftig angesiedelt werden, so

bereitet mir -- ich sage das offen -- schon allein das Wort Führung erhebliches Unbehagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin für die Aufteilung von Funktionen zwischen Hauptstadt und Regierungssitz. Ich bin dafür, daß Berlin sich zu einem Symbol internationaler Einbindung der Deutschen und zu einem Symbol der Einigung Europas entwickeln kann. Ich bin dafür, daß die politische Vertretung unserer bundesstaatlich organisierten parlamentarischen Demokratie dort verbleibt, wo keine Gefahr von Vorherrschaft besteht, sondern die Tugend von Bescheidenheit und Integration vorherrscht. Eine Weltstadt als Hauptstadt, eine im guten Sinne provinzielle und wenig machtvolle Stadt als Sitz von Regierung und Parlament.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Weng.

Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_052
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