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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Albert Deß, CDU/CSU Dr. Nils Diederich (Berlin), SPD >>

»Berlin ist deutsche Hauptstadt«, so steht es im Einigungsvertrag. Dazu bekenne ich mich. Genauso eindeutig bekenne ich mich zu Bonn als Regierungs- und Parlamentssitz.

Ich gehöre zu der glücklichen Generation derer, die -- obwohl bereits jenseits der 40 -- nie einen Krieg in Mitteleuropa erleben mußten. Bonn ist und war immer, für mich und die jüngeren Bundesbürger, lebendiges Symbol einer föderalistischen, sozialen und friedensorientierten Politik.

Die Wahl der Stadt Bonn als Sitz der Regierung und des Parlaments signalisiert meines Erachtens unseren Nachbarn in Europa und der Welt die bewußte Abkehr von gefährlicher Großmannssucht, im Gegenteil, sie signalisiert eine Bescheidenheit, die gerade uns Deutschen gut und not tut. Eine Entscheidung für Bonn richtet sich nicht gegen Berlin. Berlin wird durch eine solche Entscheidung nicht bedeutungslos. Ich bin vielmehr der guten Hoffnung, daß Berlin wohl »die« europäische Wirtschaftsmetropole schlechthin werden wird -- das Zentrum Europas.

Bei meiner Entscheidung für Bonn geht es mir vor allem um die Menschen, um die Menschen in den neuen Bundesländern, um die Menschen in Bonn, aber auch um die Menschen in Berlin. Ein Bürgermeister aus Sachsen hat mich am Sonntag dringend gebeten, für Bonn zu stimmen. Er sagte -- ich zitiere --: »Bei uns geht deshalb so wenig vorwärts, weil die SED- und Stasi-Leute nach wie vor in einflußreichen Positionen sitzen bzw. schon wieder sitzen. Bei einem Regierungs- und Parlamentssitz Berlin habe ich Angst, daß genau diese Leute dann auch wieder in den Schlüsselpositionen von Parlament und Regierung sitzen.« Ich glaube, diese Angst ist nicht unbegründet, wenigstens auf absehbare Zeit. Gibt es nicht in Berlin einen Wahlkreis, in dem ein PDS-Mann, Gysi, ein Direktmandat erreichen konnte?

Wir sollten von Bonn aus dafür sorgen, daß von Bonn aus konsequent die neuen Bundesländer aufgebaut werden. Wir dürfen daher weder Geld noch Zeit für einen Umzug von Regierung und Parlament vergeuden, sondern müssen die wirklichen Probleme lösen, die dringend gelöst werden müssen. Unser Kollege Schwalbe hat uns diese Probleme eindringlich geschildert und -- mit Recht -- auf eine Lösung gepocht.

Seit vielen Jahren trage ich Verantwortung in der Kommunalpolitik. Die Sorgen der Bürger sind mir aus vielen Gesprächen vertraut. Als Landwirt kenne ich die Existenzangst eines ganzen Berufsstandes in Ost und West unseres Landes. Als Vater von vier Kindern kenne ich die Sorgen unserer Familien.

Viele berechtigte Wünsche und Anliegen können wir aus finanziellen Gründen in den nächsten Jahren nicht erfüllen. Niemand kann mehr ausgeben, als er hat, auch der Staat nicht. Was sagen wir unseren Wählern, wenn wir daher sogar berechtigte Forderungen ablehnen müssen, für einen nicht notwendigen Umzug aber zig Milliarden ausgeben würden? Diese Hypothek dürfen wir unseren Bürgern in Ost und West, gerade auch der jungen Generation, nicht anlasten. Denn die sind es, die bezahlen müßten.

Bei meiner Entscheidung für Bonn geht es mir aber auch um die Menschen in Bonn, die als Beamte, Arbeiter und Angestellte diese Bundesrepublik mit aufgebaut haben. Ich meine, daß wir diesen Menschen Unrecht tun, wenn wir heute Bonn fallen lassen würden. Gerade die Berliner müßten wissen, was es bedeutet, wenn gewachsene Strukturen auseinandergerissen werden.

Den Vorwurf der Lüge in der Frage des Regierungs- und Parlamentssitzes muß ich schärfstens zurückweisen. Waren denn all die Kollegen Lügner, die mit Rücksicht auf die Wiedervereinigung einer neuen Ostgrenze zustimmen mußten? So können wir nicht miteinander umgehen. Viel schlimmer noch finde ich es, wenn ich Bemerkungen lese wie: »In den Wahlkreisen soll jeder einzelne Abgeordnete vorgeführt werden, der gegen Berlin votiert« oder: »Die Wiederaufstellung auf einer Landesliste wird in Frage gestellt.« Für jeden, der auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, stellt sich hier die Frage, ob wir schon das imperative Mandat haben, auch wenn das grundgesetzwidrig wäre.

Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern: Lassen sie sich nicht unter Druck setzen! Sie sind Abgeordnete eines freiheitlichen und demokratischen Staates.

Ich habe mich für Bonn entschieden, damit unser Land nicht langsamer, sondern schneller zusammenwächst.

Dr. Nils Diederich (Berlin), SPD >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_115
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