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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Helmut Rode (Wietzen), CDU/CSU Dr. Klaus Röhl, FDP >>

Jeden Tag in diesen Wochen erhielt ich viele Briefe besorgter Bürgerinnen und Bürger zum Thema Hauptstadt. In der Zuordnung zu einem der beiden Vorschläge Berlin oder Bonn waren die Meinungen zahlenmäßig ziemlich ausgeglichen. Sie reichen von »40 Jahre sollte Berlin Hauptstadt werden« bis hin zum »Bloß kein unnötiges Geld für einen neuen Regierungssitz«.

Es gab drei Hauptströmungen, die ich durchgängig verfolgen konnte. Ich halte es für meine Pflicht, diese Meinungen zu bewerten und sie in meine Abstimmung einfließen zu lassen.

Männer mit ehemals hohen Ämtern und die Vorsitzenden von Institutionen und Verbänden sind konsequent für Berlin und lieben eine harte Tonart. Sie erinnern an die »Versprechungen seit 40 Jahren« und sprechen von »Lebenslüge«. Bonn würde nie Bestand vor der Geschichte haben, sagen sie. Ein Hauch von Glanz und Gloria spricht aus ihren Worten. Ihnen bedeutet Reichstag mehr als Bundestag, habe ich den Eindruck.

Ich weise den Vorwurf der Lebenslüge zurück. Wir sind auch nicht stehengeblieben bei den Themen Wiederbewaffnung, Ost-Verträge und Oder-Neiße-Grenze. Gott sei Dank darf Politik wichtige Linien fortschreiben, sie den Realitäten anpassen oder einem höheren Ziel unterordnen. Es ist doch keine Lebenslüge, wenn ich meine Erfahrungen prüfe und in meine Entscheidungen einbeziehe. Das Leben ist keine Festung, die vermauert und geschlossen gehalten werden muß. Leben lebt und ist ständiger Weiterentwicklung unterworfen, und Politik bedeutet, das Beste für alle daraus zu machen. Tradition und Fortschritt sind Zwillingsschwestern.

Fast alle Frauen, die mir ihre Meinung sagten oder schrieben, wollen Bonn und lehnen die hohen Umzugskosten ab, weil sie der Dritten Welt, den Familien, den Notleidenden verlorengehen. »Die Milliarden für Berlin bringen doch Magdeburg und Leipzig nicht einen Pfennig.« Das ist auch meine Meinung.

Junge Leute kämpfen ganz klar für Bonn und ziemlich konsequent gegen Berlin. Sie haben die 40 Jahre Geschichte Bonns mit der Entwicklung zur Einigung Europas, der Öffnung zum Westen und zum Osten verbunden. Jugend plädiert für Einigkeit durch Vielfalt und mag kein Hipp-Hipp-Hurra. Die regionale Vielfalt in Deutschland ist ihnen mehr wert als eine große Metropole, die alle anderen Städte und Regionen zweitklassig machen würde.

Ich bleibe bei der von mir seit Monaten vertretenen Meinung, wenn es auch dabei schon eine kleine Abweichung gibt. Ich sehe mich dabei bestätigt durch die vorherrschende Meinung der Frauen und besonders der Jugend.

Ich habe den Konsensantrag von Dr. Heiner Geißler unterschrieben. Dieser Vorschlag folgt dem Einigungsvertrag und den symbolischen Aussagen der letzten 40 Jahre. Er stärkt Berlin und läßt Bonn überleben. Er entspricht meinen Vorstellungen und gibt Berlin durchaus den Rang als Hauptstadt mit Sitz des Bundespräsidenten, des Bundestages und des Bundesrates. In diesem Antrag finde ich aber auch weitaus die meisten Meinungen wieder, wie sie mir von Bürgerinnen und Bürgern mitgeteilt wurden. Mit diesen Einrichtungen ziehen etwa 8 000 Mitarbeiter um. 52 000 Bundesbedienstete sind heute schon in Berlin.

Mit den Ministerien bleiben wenigstens 30 000 Mitarbeiter und 60 000 Angehörige im Bonner Raum. Die Zuarbeit der Ministerien ist von einer räumlichen Trennung nicht abhängig. Das kann sogar vorteilhaft sein. Die Zuarbeit müßte zeitlich erheblich eher erfolgen. Diese Zeit käme den Abgeordneten zugute. Sie erhielten mehr Einfluß auf die ansonsten oftmals schon zementierten »Eil-Vorschläge« aus der Verwaltung.

Es hat sich doch auch bewährt, daß die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg ist, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, die Bundesbank in Frankfurt. Der Bundesrat ist in Bonn durchaus arbeitsfähig, obschon man aus weit entfernten Ländern anreisen muß.

Kommt es zum »entweder Bonn oder Berlin«, stimme ich für Bonn.

Der Großraum Berlin ist heute schon die größte Baustelle zwischen New York und Tokio. Gerade sind unsere Verkehrskollegen aus Tokio zurückgekommen. Dort sucht man händeringend nach Möglichkeiten, diesen schwerfälligen Koloß zu entzerren.

Und natürlich spielt das Geld eine große Rolle. Was uns Berlin kostet, wird bei Kindergärten, Straßenbau und sozialen Hilfen fehlen. Land und Bund sollen lieber die Wirtschaft weiter fördern, Lehrer einstellen, Kindergeld erhöhen und die Schulden der Städte und Kreise verringern, als ein Mammutprojekt von weit über 100 Milliarden DM anzugehen. Viele Frauen haben mir geschrieben, daß es nunmehr an der Zeit sei, für die Familien, die Kinder und die Menschen etwas zu tun und nicht Geld für Symbole auszugeben; die Zeit sei längst überholt. Man stelle sich das bloß vor: Bevor die Steuern für die deutsche Einheit beschlossen sind, kommt schon die doppelte Summe für einen neuen Regierungssitz dazu. Das muß nicht sein. Die Qualität einer Regierung hat nichts mit dem Standort zu tun.

Berlin würde bei hohen Kosten und dem Zuzug von ca. 100 000 Menschen aus dem Raum Bonn von 4 Millionen Einwohnern auf 6 Millionen explodieren und sozial und ökologisch schweren Schaden nehmen. Das ist ein wichtiger Grund gegen Berlin.

Ich verstehe nicht, wie Menschen die Hauptstadtfrage so stark vergangenheitsfixiert sehen. Schlimm ist es, wenn manche Leute suggerieren wollen, als ob Berlin den neuen Ländern Aufschwung gäbe. Berlin beläßt Magdeburg und Leipzig eher weniger Geld.

Bonn und die falsch geschmähte Provinz-Atmosphäre haben uns die besten 40 Jahre deutscher Geschichte gebracht, die je ein Deutscher erleben durfte. Diese Jahre waren eine Absage an Hipp-Hipp-Hurra und Glanz und Gloria. Berlin ist kein neu erwachtes Spielzeug für Großmannssucht. Unser Platz in Europa und in der Welt ist durch Zurückhaltung, Bescheidenheit, Fleiß, Ehrlichkeit und Geduld erobert worden.

Die Wiedervereinigung ist für mich kein Blick zurück, sondern ein Blick nach vorn in das Europa der Regionen und der Vielfalt. Für mich war die deutsche Einheit keine Lebenslüge, sondern ein Lebensziel, also in die Zukunft gerichtet.

Wir wurden nicht zum Deutschen Reich wiedervereint, sondern die Bundesrepublik Deutschland ist ein Bundesstaat und erhält Ihre Einigkeit aus der Vielfalt der Länder. Die Bundesrepublik lebt aus den Ländern und nicht nur aus der einen Hauptstadt. Die Beispiele Paris und Tokio sind eine Warnung.

Ich kämpfe seit vielen Jahren für den ländlichen Raum, für ein Europa der Regionen und mache mir Sorgen, daß uns die Ballungsräume das Wasser abgraben. Ich will Dezentralisation statt Gigantomanie. Das ist mein Rezept. Die Verwaltungs- und Gebietsreform im kommunalen Bereich hat uns doch eher weniger Demokratie gebracht. Auch aus dieser Erfahrung heraus will ich das Europa der Regionen und das Europa der Bürger, aber nicht das der Megastädte und der Ballungsräume.

Ich stimme der Aussage von Dr. Barzel zu: »Auch Wirtschaftsgiganten haben gelernt, das Optimum statt das Maximum zu erstreben. Und viele Nachbarn schauen fast sehnsüchtig auf das machtverteilende und deshalb zusammenordnende Prinzip unserer demokratischen Ordnung.«

Es ist also möglich, für Berlin und Bonn gleichermaßen zu sein. Hauptstadt Berlin und Regierungssitz Bonn -- dieser Konsens von Dr. Geißler hat meine Zustimmung.

Dr. Klaus Röhl, FDP >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_179
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