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Lüders-Haus
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Sophie Calle: 'Die Entfernung - The Detachment'

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Fotografien von Sophie Calle zeigen fehlende DDR-Monumente
Sophie Calle im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
© DBT

Die Entfernung - The Detachment

"Um diesen Vorgang zu dokumentieren, suchte ich Orte auf, von denen Symbole der DDR-Geschichte entfernt worden sind. Ich bat Passanten und Anwohner, die Gegenstände zu beschreiben, die einst diese leeren Stellen füllten. Ich fotografierte die Abwesenheit und ersetzte die fehlenden Monumente durch die Erinnerungen an sie." (Sophie Calle)
Knapp und präzise beschreibt die Künstlerin das Konzept ihrer Installation "Die Entfernung – The Detachment". Mit diesem Konzept ist es ihr gelungen, anschaulich den Umgang mit Geschichte im wiedervereinigten Berlin aufzuzeigen, zu dokumentieren und zugleich Grundfragen unserer Existenz aufzuwerfen, z.B. in welcher Weise und in welchem Umfang wir erinnern und wie Gedächtnis und das Gefühl der eigenen Identität einander bedingen.


Changieren zwischen realistischer Dokumentation und fiktivem Konstrukt

Um solche Grundfragen kreist das künstlerische Schaffen von Sophie Calle seit ihren ersten Arbeiten Anfang der 80er Jahre. Im Mittelpunkt ihres Interesses stand zunächst die Frage nach der eigenen Identität, da sie, von einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt nach Paris zurückgekehrt, versuchen mußte, sich in der ihr fremd gewordenen Stadt ihrer Jugendjahre erneut zurechtzufinden. Einer solchen Wiederannäherung an das unbekannt gewordene einst Bekannte diente ein geradezu voyeuristisches Projekt: Heimlich verfolgte sie einen Unbekannten durch die Stadt, dokumentierte seinen Weg mit Kamera und Notizblock und konstruierte sodann aus diesen "Dokumenten" Pariser Alltagsgeschichten in der Schwebe zwischen Fiktion und Realität. Solches Changieren zwischen realistischer Dokumentation und fiktivem Konstrukt kennzeichnet auch ihre weiteren Arbeiten: So verfolgt sie – observierend wie ein Privatdetektiv – einen flüchtigen Bekannten nach Venedig ("Suite Vénitienne", 1980) oder durchsucht, nachdem sie sich als Zimmermädchen hat einstellen lassen, in einem venezianischen Hotel die Koffer der Hotelgäste nach Spuren dieser ihr fremden Lebensläufe ("Das Hotel", 1981). Bei einem weiteren Projekt läßt sie sich selbst durch einen Detektiv, der von ihrer Mutter beauftragt wurde, überwachen und vergleicht anschließend seinen Observierungsbericht mit ihren eigenen Notizen – und läßt ihn wiederum bei seiner Observierung von einem Freund beobachten ("Der Schatten", 1981).


Blick für das eigene So-Sein

Deutlich wird an diesen Beispielen, wie die Erhellung der eigenen Existenz bestimmt ist von der Faszination durch den Vergleich mit fremden Lebensvollzügen, so daß aus dieser Begegnung mit einem Anderssein, beispielsweise mit einem Russen auf der Fahrt in der Transsibirischen Eisenbahn ("Anatoli", 1984), der Blick für das eigene So-Sein geschärft wird. Deutlich wird jedoch auch, daß die Fülle der gesammelten Informationen über andere Menschen deren Individualität nicht erfahrbar macht – im Gegenteil – je mehr Informationen zusammengetragen werden, je näher man der Person zu kommen glaubt, desto schemenhafter, ungreifbarer erscheint durch die oft widersprüchlichen Beobachtungen und Schilderungen die Persönlichkeit des Beobachteten ("Der Mann mit dem Adressbuch", 1983).


komplexe Verschränkung des Historischen mit der Gegenwart

Ähnlich verhält es sich mit der Installation "Die Entfernung – The Detachment": Die Leerstelle auf dem Foto, die den Ort zeigt, wo das Monument einst gestanden oder zum Beispiel das Staatsemblem der DDR am Palast der Republik einst gehangen hat, kann durch die Erinnerungen der Passanten nicht gefüllt werden. Ihre Äußerungen sind zum Teil so widersprüchlich, daß der Leser unsicher wird, ob die Passanten-Beschreibungen ein- und dasselbe Monument meinen – auch in der Erinnerung "entfernt" sich das Monument. Zugleich zeigen die sehr emotionalen Texte, wie gegenwärtig das Verschwundene im Bewußtsein der Menschen noch ist. Die Installation von Sophie Calle öffnet also den Blick für die Vielschichtigkeit der Wahrnehmung von Realität und für die gleichermaßen komplexe Verschränkung des Historischen mit der Gegenwart. "



Sophie Calle
geb. 1953 in Paris, lebt in Paris und New York.
Installation "Die Entfernung - The Detachment"
12 Farbfotografien und 12 Bücher, 1996
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Berlin

Friedenstaube (Nikolaiviertel)

obere Fotografie zeigt einen DDR-Plattenbau mit einer Friedenstaube, untere Fotografie zeigt den Plattenbau 1996 mit Werbung
Nikolaiviertel
© DBT
"Da war eine Inschrift. An die Schrift kann ich mich nicht genau erinnern, obwohl ich hier oft vorbeigegangen bin. Aber ich bin sicher, es war auf keinen Fall was Vernünftiges." ... "Das war eine große Taube, so ein bißchen "picassoresque", mit diesem Zweig in ihrem Schnabel, sie hatte etwa die Größe einer Etage, aber ich bin da ja nie raufgekrabbelt und habe nachgesehe" ... "Also, aus Porzellan war es nicht, aber so was Ähnliches. Es muß etwas sehr Wertvolles gewesen sein. Eine Friedenstaube ist immer weiß, also war die Friedenstaube weiß. Wahrscheinlich sollte das eine positive Grundhaltung ausdrücken. Solche verborgenen Dinge wirken oft stärker als offene, wie etwa Kampfgruppendenkmäler oder ein Panzer auf einer Rampe" ... "Der Spruch BERLIN, STADT DES FRIEDENS war so ein Herzenswunsch vom Staatsratsvorsitzenden, von ihm persönlich ausgesucht, also von Erich Honecker. Für mich war diese Aufschrift Zynismus. In der DDR gab es Frieden, aber es war ein Friedhofsfrieden. Ich finde es schade, daß sie wegkam, weil man das daran thematisieren kann"

Verschiedene Passanten beschreiben im Jahre 1996 aus der Erinnerung jene Hauswand im Nikolaiviertel Berlin, auf der zu DDR-Zeiten eine Friedenstaube zu sehen war (rechts Dokumentarfoto, darunter Zustand im Jahre 1996)
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/kunstwerke/calle/
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