Bedenken gegen internationale Liberalisierung der Arbeitsmärkte
Berlin: (hib/VOM) Große Bedenken gegen weitere internationale Schritte zur Liberalisierung von Arbeitsmärkten und Arbeitsbedingungen haben die Gewerkschaften am Montagvormittag in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit geäußert. Der Ausschuss hörte Sachverständige zu den Verhandlungen über das internationale Dienstleistungsabkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) und über die Chancen und Risiken für Wirtschaft und Beschäftigung in Deutschland. Im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) finden derzeit Verhandlungen zur Revision des 1994 abgeschlossenen GATS-Abkommens mit dem Ziel einer weitergehenden Liberalisierung statt. Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) sind Risiken vor allem dann gegeben, falls die nationalen Arbeitsmarktbedingungen in den jeweils betroffenen Branchen bei den Verhandlungen nicht berücksichtigt werden sollten. Der DGB forderte sektorenspezifische wirtschaftliche Arbeitsmarktbedarfsprüfungen, die im GATS festgelegt werden müssten. Potenziell bestehe die Gefahr des Missbrauchs, wenn das Abkommen nicht parallel durch nationales Recht und eine effiziente Kontrolle begleitet wird. Zudem plädierte der DGB für eine soziale Folgenabschätzung bereits eingegangener sowie geplanter Verpflichtungen, bevor im Rahmen des GATS Fakten geschaffen werden.
Zwar sehe der erste Angebotsentwurf der EU-Kommission zum GATS vor, dass das Recht des Arbeitslandes voll angewendet werden soll, einschließlich der Mindestlöhne und tariflichen Bestimmungen, so der DGB weiter. Diese Regelung greife aber in allen Branchen ohne allgemein verbindliche Tarifverträge nicht, betonte die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. In Deutschland wäre davon die überwiegende Zahl aller Branchen betroffen. Für die nach Deutschland entsandten Beschäftigten gäbe es somit keine innerstaatliche Lohngrundlage. Ver.di will daher, dass in geöffneten Sektoren mit den entsandten Arbeitnehmern für den Entsendezeitraum grundsätzlich ein Arbeitsverhältnis nach deutschem Recht mit Abrechnung und Bezahlung auf Konten in Deutschland, mit ausschließlichem Gerichtsstand in Deutschland und mit Auftraggeber- oder Generalunternehmerhaftung begründet werden muss. Dies ist auch die Sicht der Industriegewerkschaft Agrar-Bauen-Umwelt. Für die Entwicklungsländer konnte der DGB-Vertreter aufgrund des GATS-Abkommens keine Vorteile sehen. In diesen Ländern gebe es nur beschränkte Kapital- und Energieressourcen und beschränktes Know-how. Hochqualifiziertes Personal komme eher aus den Schwellen- als aus den ärmsten Ländern.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) betonte das starke Interesse daran, dass es zu einer Personalfreizügigkeit kommt. Mit jeder Maschine, die ins Ausland exportiert werde, müssten zeitlich befristet auch Spezialisten ins Ausland gesandt werden. Deutsche Güterexporte seien ohne den Export von Dienstleistungen nicht mehr vorstellbar. Die Angebote der EU seien viel zu niedrig angesetzt, als dass davon eine Liberalisierungsdynamik in Gang gesetzt werden könnte. Mehr Wachstum bei den Dienstleistungen würde auch mehr Arbeitsplätze schaffen, so der BDI, und mehr Wettbewerb zu Strukturwandel führen. Der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels sagte, der deutsche Arbeitsmarkt werde von GATS nicht berührt. Deutsche Handelskonzerne sollten im Ausland Tochtergesellschaften gründen, Grund und Boden erwerben können und willkürliche Behandlungen bei der Erteilung von Geschäftslizenzen nicht mehr hinnehmen müssen, so der Verband.
Die Sachverständigen äußerten sich auch zum Thema der öffentlichen Daseinsvorsorge und zur Liberalisierung auf dem Wasser- und Abwassermarkt. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) äußerte hier seine große Sorge. Über den Umweg der GATS-Verhandlungen drohe ein neuer Zwang zur Liberalisierung mit unabsehbaren Konsequenzen für die in Deutschland bewährten Strukturen der Kommunalwirtschaft und der kommunalen Selbstverwaltung. Der VKU trete der Absicht, durch WTO-Beschlüsse eine "Liberalisierung durch die Hintertür" anzustreben, mit Nachdruck entgegen. Wasser sei kein beliebiges Wirtschaftsgut und keine beliebige Handelsware wie Strom und Gas, sondern müsse geschützt und verteidigt werden. Beim jetzigen Liberalisierungsgrad sollte es bleiben, für weitere Liberalisierung durch GATS bestehe kein Bedarf. Unterstützung erhielt der VKU dabei vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Der BDI merkte dazu an, GATS beziehe sich nicht auf den Dienstleistungssektor der öffentlichen Hand. Die öffentliche Daseinsvorsorge könne dadurch nicht liberalisiert werden.