Pressemitteilung
Stand: 14.03.2002
Kurze Ansprache des Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, zur Eröffnungsveranstaltung der "Politiktage" der "Bundesinitiative Beteiligungsbewegung" am 14.3.2002 in Berlin
Es gilt das gesprochene Wort
"Ich sehe es Ihnen an und es war auch nicht zu überhören: Hier wurde in den letzten Stunden in jeder Ecke - und nicht nur während der Podiumsdiskussionen - lebhaft über Politik diskutiert. Und zwar so interessiert, informiert und offen, dass ich beruhigt feststelle: Sie machen auf mich keinen politikverdrossenen Eindruck!
Insgesamt habe ich allerdings in unserer Gesellschaft den Eindruck: Politik ist, wozu jeder etwas sagen kann, was aber kaum einer machen möchte. Sicher ist politische Arbeit anstrengend. Aber es ist doch auch ungeheuer spannend, die Gesellschaft, in der man lebt, mit zu gestalten. Politisches und bürgerschaftliches Engagement ist weder eine besondere Form von Aufopferungsbereitschaft, noch Heldentum. Bei Max Frisch habe ich gelesen: "Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen." Das trifft den Nagel auf den Kopf!
Die angebliche Ohnmacht des Bürgers zu überwinden, ist übrigens gar nicht schwer. Unsere demokratische Gesellschaft bietet viele Freiräume, um sich zu engagieren. Sie müssen nur betreten werden! Einer der leichtesten und doch zugleich wichtigsten Schritte ist der auf dem Weg zur Wahlurne. Im September dieses Jahres wird der Deutsche Bundestag zum 15. Mal gewählt. Entscheiden Sie mit Ihrer Stimme, wie das Parlament, das Ihre Interessen vertreten soll, zusammengesetzt ist. Und stellen Sie damit unsere Demokratie auf ein solides Fundament.
Demokratie braucht Bürger, die sich für ihren Erhalt verantwortlich fühlen. Machen Sie sich die demokratischen Errungenschaften ruhig einmal wieder bewusst. Sie genießen in dieser Gesellschaft viele Freiheiten, die keineswegs selbstverständlich sind. Sie können praktisch leben, wo Sie wollen, wie Sie wollen und mit wem Sie wollen! Wer wie ich in einer Diktatur gelebt hat, der weiß, was es bedeutet, staatlicher Willkür ausgesetzt und in seiner persönlichen Freiheit bis hin zur Meinungsfreiheit eingeschränkt zu sein. Ich möchte nicht, dass Sie so etwas erleben müssen. Machen Sie sich dafür stark, dass die Demokratie nicht eines Tages beschädigt wird oder gar wieder verloren geht.
Ich sage das vor allem mit Blick auf den immer häufiger auftauchenden Rechtsextremismus unter jungen Leuten - meistens sind es junge Männer - die rücksichtslos gegen alle angehen, die nicht in ihr Weltbild passen: Ausländer, Obdachlose, Homosexuelle und und und... Ich habe oft versucht, zu erklären, was in diesen Köpfen vor sich geht. Verstehen kann ich allerdings nicht, wie man sich soviel Dumpfheit und Dummheit anschließen kann.
Vielleicht aus Bequemlichkeit? Man braucht sich ja mit keinem Problem wirklich zu beschäftigen. Man muss nichts lernen und nichts wissen. Alles gerinnt zu Frage: deutsch oder nicht deutsch. Und jedes Problem gilt als schon gelöst, wenn es in unserem Land nur nationalistisch zugehen würde.
Vielleicht aus Verachtung? Man muss sich mit anderen Menschen nicht auseinandersetzen, muss sie nicht ernst nehmen, misst sie allein an der eigenen Gesinnung und an der Herkunft. Dann ist es ganz einfach, allen Individuen, die nicht als deutsch eingeordnet werden, Männern, Frauen, Kindern, Gebildeten oder Ungebildeten, Gesunden oder Kranken, Würde und Freiheit abzusprechen. Geschieht dies aus Selbsthass, Unterlegenheitsgefühl, Sprach- und Gedankenlosigkeit? Die Sprache der Gewalt, der Unterdrückung ersetzt die Schärfe der Gedanken. Reflexhafte Ablehnung, die schnell zu reflexartiger Brutalität werden kann, lässt Nachdenken erst gar nicht mehr zu.
Es ist bitter notwendig, diesem menschenverachtenden Denken und Handeln entgegen zu treten. Ich bin in den letzten Jahren viel herumgefahren, habe Initiativen gegen Rechts besucht und ermutigt. Und ich bin froh, dass inzwischen einiges geschehen. Die Medien und die Öffentlichkeit sind alarmiert, gerade in der jungen Generation gibt es viel Bereitschaft zum Engagement. Und trotzdem hat sich an dem Grundproblem bislang nicht wirklich etwas geändert. Nach wie vor steigt die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten in unserem Land an.
Nur ein Beispiel, das gerade in Berliner Zeitungen zu lesen war: eine Studentin aus Marzahn, deren Vater Afrikaner ist, wurde bereits zum dritten Mal aus rassistischen Motiven überfallen. Man muss sich einmal vergegenwärtigen, was das für diese junge Frau bedeutet. Diesmal sind zwei Täter verhaftet und verurteilt worden. Gut so! Aber in einer Bürgergesellschaft darf der Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht alleine der Polizei überlassen werden. Er ist eine Aufgabe für alle - keine leichte und keine, bei der schnelle Erfolge zu erwarten sind.
Im Gegenteil: Politik macht Mühe und ist alles andere als leichte Freizeitgestaltung. Politisch aktiv sein, heißt, sich für seine Überzeugungen einsetzen und Verantwortung zu übernehmen. Dabei muss man Rückschläge in Kauf nehmen, Niederlagen einstecken können - und trotzdem weitermachen, immer wieder neu ansetzen. Politik erfordert einen langen Atem und ist ganz schön anstrengend. Es ist natürlich einfacher, andere aufzufordern, etwas zu tun. Schwierig und anstrengend, aber auch interessant wird es erst, wenn man selbst aktiv wird - gegen Ausgrenzung, gegen Intoleranz, gegen Gewalt in unserer Bürgergesellschaft! Machen Sie mit und machen Sie es besser! - und dann macht es auch Freude. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen spannende "Politiktage"!"
"Ich sehe es Ihnen an und es war auch nicht zu überhören: Hier wurde in den letzten Stunden in jeder Ecke - und nicht nur während der Podiumsdiskussionen - lebhaft über Politik diskutiert. Und zwar so interessiert, informiert und offen, dass ich beruhigt feststelle: Sie machen auf mich keinen politikverdrossenen Eindruck!
Insgesamt habe ich allerdings in unserer Gesellschaft den Eindruck: Politik ist, wozu jeder etwas sagen kann, was aber kaum einer machen möchte. Sicher ist politische Arbeit anstrengend. Aber es ist doch auch ungeheuer spannend, die Gesellschaft, in der man lebt, mit zu gestalten. Politisches und bürgerschaftliches Engagement ist weder eine besondere Form von Aufopferungsbereitschaft, noch Heldentum. Bei Max Frisch habe ich gelesen: "Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen." Das trifft den Nagel auf den Kopf!
Die angebliche Ohnmacht des Bürgers zu überwinden, ist übrigens gar nicht schwer. Unsere demokratische Gesellschaft bietet viele Freiräume, um sich zu engagieren. Sie müssen nur betreten werden! Einer der leichtesten und doch zugleich wichtigsten Schritte ist der auf dem Weg zur Wahlurne. Im September dieses Jahres wird der Deutsche Bundestag zum 15. Mal gewählt. Entscheiden Sie mit Ihrer Stimme, wie das Parlament, das Ihre Interessen vertreten soll, zusammengesetzt ist. Und stellen Sie damit unsere Demokratie auf ein solides Fundament.
Demokratie braucht Bürger, die sich für ihren Erhalt verantwortlich fühlen. Machen Sie sich die demokratischen Errungenschaften ruhig einmal wieder bewusst. Sie genießen in dieser Gesellschaft viele Freiheiten, die keineswegs selbstverständlich sind. Sie können praktisch leben, wo Sie wollen, wie Sie wollen und mit wem Sie wollen! Wer wie ich in einer Diktatur gelebt hat, der weiß, was es bedeutet, staatlicher Willkür ausgesetzt und in seiner persönlichen Freiheit bis hin zur Meinungsfreiheit eingeschränkt zu sein. Ich möchte nicht, dass Sie so etwas erleben müssen. Machen Sie sich dafür stark, dass die Demokratie nicht eines Tages beschädigt wird oder gar wieder verloren geht.
Ich sage das vor allem mit Blick auf den immer häufiger auftauchenden Rechtsextremismus unter jungen Leuten - meistens sind es junge Männer - die rücksichtslos gegen alle angehen, die nicht in ihr Weltbild passen: Ausländer, Obdachlose, Homosexuelle und und und... Ich habe oft versucht, zu erklären, was in diesen Köpfen vor sich geht. Verstehen kann ich allerdings nicht, wie man sich soviel Dumpfheit und Dummheit anschließen kann.
Vielleicht aus Bequemlichkeit? Man braucht sich ja mit keinem Problem wirklich zu beschäftigen. Man muss nichts lernen und nichts wissen. Alles gerinnt zu Frage: deutsch oder nicht deutsch. Und jedes Problem gilt als schon gelöst, wenn es in unserem Land nur nationalistisch zugehen würde.
Vielleicht aus Verachtung? Man muss sich mit anderen Menschen nicht auseinandersetzen, muss sie nicht ernst nehmen, misst sie allein an der eigenen Gesinnung und an der Herkunft. Dann ist es ganz einfach, allen Individuen, die nicht als deutsch eingeordnet werden, Männern, Frauen, Kindern, Gebildeten oder Ungebildeten, Gesunden oder Kranken, Würde und Freiheit abzusprechen. Geschieht dies aus Selbsthass, Unterlegenheitsgefühl, Sprach- und Gedankenlosigkeit? Die Sprache der Gewalt, der Unterdrückung ersetzt die Schärfe der Gedanken. Reflexhafte Ablehnung, die schnell zu reflexartiger Brutalität werden kann, lässt Nachdenken erst gar nicht mehr zu.
Es ist bitter notwendig, diesem menschenverachtenden Denken und Handeln entgegen zu treten. Ich bin in den letzten Jahren viel herumgefahren, habe Initiativen gegen Rechts besucht und ermutigt. Und ich bin froh, dass inzwischen einiges geschehen. Die Medien und die Öffentlichkeit sind alarmiert, gerade in der jungen Generation gibt es viel Bereitschaft zum Engagement. Und trotzdem hat sich an dem Grundproblem bislang nicht wirklich etwas geändert. Nach wie vor steigt die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten in unserem Land an.
Nur ein Beispiel, das gerade in Berliner Zeitungen zu lesen war: eine Studentin aus Marzahn, deren Vater Afrikaner ist, wurde bereits zum dritten Mal aus rassistischen Motiven überfallen. Man muss sich einmal vergegenwärtigen, was das für diese junge Frau bedeutet. Diesmal sind zwei Täter verhaftet und verurteilt worden. Gut so! Aber in einer Bürgergesellschaft darf der Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht alleine der Polizei überlassen werden. Er ist eine Aufgabe für alle - keine leichte und keine, bei der schnelle Erfolge zu erwarten sind.
Im Gegenteil: Politik macht Mühe und ist alles andere als leichte Freizeitgestaltung. Politisch aktiv sein, heißt, sich für seine Überzeugungen einsetzen und Verantwortung zu übernehmen. Dabei muss man Rückschläge in Kauf nehmen, Niederlagen einstecken können - und trotzdem weitermachen, immer wieder neu ansetzen. Politik erfordert einen langen Atem und ist ganz schön anstrengend. Es ist natürlich einfacher, andere aufzufordern, etwas zu tun. Schwierig und anstrengend, aber auch interessant wird es erst, wenn man selbst aktiv wird - gegen Ausgrenzung, gegen Intoleranz, gegen Gewalt in unserer Bürgergesellschaft! Machen Sie mit und machen Sie es besser! - und dann macht es auch Freude. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen spannende "Politiktage"!"
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Quelle:
http://www.bundestag.de/bic/presse/2002/pz_02031412