Brauchen wir neue Konzepte gegen die Kriminalität?
Fast alltägliche Berichte in den deutschen Medien: Übergriffe gegen Ausländer, prügelnde Hooligans in und um Fußballstadien, Straßenraub, Rauschgiftdelikte und sexueller Mißbrauch werden von vielen Bürgern als ernste Bedrohung wahrgenommen. Wie ist es um die "Innere Sicherheit" der Bundesrepublik Deutschland bestellt?
Sind schärfere Gesetze notwendig? Reichen die Konzepte von Bund und Ländern zur Kriminalitätsbekämpfung aus?
Zu diesem Thema nehmen die innenpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen und der Gruppe im "Blickpunkt Bundestag" Stellung.
Erwin Marschewski, CDU/CSU
Hilfe aller gesellschaftlichen Gruppen
|
||||||||||
Der Kriminalitätsanstieg in den letzten drei Jahrzehnten
war bedrohlich. In diesem Zeitraum hat sich die Zahl der
polizeilich registrierten Straftaten verdreifacht. Die Steigerung
erfaßt die meisten Deliktsbereiche. Entsprechend
unterschiedlich müssen die Reaktionen ausfallen. Es gibt kein
Patentrezept für alle Bereiche. Die Antwort hat
deliktspezifisch zu erfolgen. Für alle Bereiche aber gilt: Es
darf keine Toleranz für Rechtsbrecher geben. Die
Gewährleistung der Inneren Sicherheit gehört zu den
absolut vorrangigen Aufgaben eines Staates, bildet sie doch eine
der tragenden Grundlagen seiner Existenz. Sie ist zudem eine
grundlegende Voraussetzung für ein freiheitliches und
friedliches Zusammenleben der Bürger in jedem demokratischen
Staat. Der demokratische Staat beansprucht mit gutem Grund für
sich das ausschließliche Gewaltmonopol. Aus diesem
hoheitlichen Anspruch resultiert jedoch zugleich seine Pflicht, die
Bürger vor den verschiedenen Formen von Kriminalität
effektiv zu schützen. Dabei bedarf er der Hilfe aller
gesellschaftlichen Gruppen. Es reicht nicht aus, mit den Mitteln
von Justiz, Polizei und Verfassungsschutz Erkenntnisgewinnung,
Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zu betreiben. Vielmehr gilt es,
den Grundkonsens und das Wertefundament, das unsere freiheitliche
und demokratische Gesellschaft zusammenhält, zu wahren und zu
festigen. Eltern, Schulen, Gewerkschaften und Kirchen sind
aufgerufen, hierzu einen Beitrag zu leisten.
Dessenungeachtet müssen alle staatlichen Ebenen in den
kommenden Jahren ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der
unterschiedlichen Formen von Kriminalität intensivieren. Dabei
ist gerade die Kriminalprävention, die Verhütung von
Verbrechen, stärker zu betonen. Sie fällt, was
häufig übersehen wird, nach unserer grundgesetzlichen
Kompetenzverteilung weitestgehend in den Zuständigkeitsbereich
der Länder. Aufgabe des Bundesgesetzgebers ist es, ein
ausreichendes Rechtsinstrumentarium zur Bekämpfung von
Kriminalität zu schaffen. Diesem Anliegen fühlt sich die
CDU/CSU-Fraktion wie keine andere Bundestagsfraktion verpflichtet.
Dementsprechend verwahren wir uns gegen
Entkriminalisierungstendenzen, wie sie bei Grünen und auch bei
der SPD, z.B. im Bereich von Ladendiebstahl oder Schwarzfahren,
aber auch bei der Rauschgiftkriminalität bestehen. Statt
dessen plädieren wir für Sicherheitspartnerschaften,
fordern null Toleranz gegenüber Rechtsbrechern, haben die
Polizeivollzugskräfte des Bundes, den Bundesgrenzschutz und
das Bundeskriminalamt personell und materiell deutlich
verstärkt, und versuchen wo immer möglich, das geltende
straf- und strafprozessuale Instrumentarium zur
Kriminalitätsbekämpfung zu verbessern. Die Leistungen der
Regierungskoalition in den letzten Jahren waren hier beachtlich.
Oftmals gegen den Widerstand der Opposition konnte eine Vielzahl
gesetzlicher Vorhaben durchgesetzt werden. Der Optimierung des
Instrumentariums zur Bekämpfung von Straftaten dienten das
Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, das
Geldwäschegesetz sowie das Korruptionsbekämpfungsgesetz,
Bundesgrenzschutz- und Bundeskriminalamtsgesetz. Sie alle haben
geholfen, Deutschland zu einem der sichersten Länder in Europa
zu machen. Auf diesem Weg kann es keine halben Sachen geben.
Deshalb brauchen wir auch die Regelung der elektronischen
Wohnraumüberwachung in Gangsterwohnungen. Denn hochgradig
Kriminelle dürfen nirgendwo einen rechtsfreien Raum zur
Planung ihrer Verbrechen haben. Dies gebietet der uns durch das
Grundgesetz aufgegebene Schutz von Leib, Leben und Eigentum der
rechtstreuen Bürger.
Fritz Rudolf Körper, SPD
Ausmaß richtig bewerten
|
||||||||||
Im Vordergrund der innenpolitischen Diskussion der vergangenen
Jahre stand die Bekämpfung der organisierten
Kriminalität. Obgleich die registrierten Zahlen der Delikte
und Tatverdächtigen eher gleichgeblieben sind, mußte
gehandelt werden, denn das Gefühl systematischer Bedrohung
beeinträchtigt die persönliche Freiheit. Auch wird der
demokratische Willensbildungsprozeß und das
ordnungsgemäße Funktionieren der Verwaltung durch
korrumpierte Mandats- und Amtsträger gefährdet. Die SPD
hatte schon zur Jahreswende 1993/94 mit einem
Parteitagsbeschluß und einem entsprechenden Gesetzentwurf die
notwendigen Maßnahmen vorgeschlagen: elektronische
Überwachung von Wohnräumen Tatverdächtiger der
organisierten Kriminalität und erleichterter Zugriff auf deren
rechtswidrig erworbenes Vermögen. Leider ist es erst im
vergangenen Jahr gelungen, die Koalitionsfraktionen für die
notwendigen Verfassungs- und Gesetzesänderungen zu gewinnen.
Sobald auch der gemeinsame "Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten
Abschöpfung von Vermögensvorteilen aus Straftaten"
verabschiedet ist, können alle erforderlichen Maßnahmen
ergriffen werden, ohne andererseits die Grundrechte der Bürger
über Gebühr zu berühren.
Eine wesentliche Rolle insbesondere bei Verbrechen, Vergehen gegen
die sexuelle Selbstbestimmung, gefährlicher
Körperverletzung, schwerem Diebstahl und Erpressung wird
künftig der genetische Fingerabdruck spielen. Das
DNA-Identitäts-Feststellungsgesetz ist bereits mit großer
Mehrheit über Parteigrenzen hinweg im Rechtsausschuß
gebilligt worden, nachdem die SPD dort mit ihren Forderungen nach
einer rechtsstaatlich einwandfreien Gesetzesgrundlage
durchgedrungen ist. Für uns kam es auch hier darauf an,
wirksame Kriminalitätsbekämpfung und Bürgerrechte in
Einklang zu bringen.
Nicht zuletzt ist für die Bekämpfung der
Kriminalität wesentlich, daß man ihr tatsächliches
Ausmaß kennt. Bis jetzt wird zumeist auf die polizeiliche
Kriminalstatistik zurückgegriffen, die zwar unverzichtbar ist,
aber nicht ausreicht, um die Sicherheitslage gewissenhaft
einzuschätzen. Diese Statistik beruht nämlich auf dem
Tatverdacht, der sich im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht
immer bestätigt. Notwendig ist deshalb eine Verknüpfung
mit anderen Statistiken, insbesondere der
Strafverfolgungsstatistik, mit dem Ziel, eine Verlaufsstatistik zu
erstellen. Dies bleibt eine Aufgabe für die nächsten
Jahre!
Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen
Patentrezepte gibt es nicht
|
||||||||||
"Die Kriminalität nimmt zu", das Lamento der Politik zu
Wahlkampfzeiten hat einen Haken: Es basiert auf falschen Tatsachen.
Aktuell hat sich die Kriminalität, nimmt man die Fallzahlen
der Statistik in den letzten Jahren, verringert, wenn auch
geringfügig. Die Klage über die schlimmen
Verhältnisse, meist verbunden mit starken Sprüchen
über kriminelle Ausländer, die man "am Kragen packen und
rausschmeißen" sollte, stärkt die Angst vor
Kriminalität. Einen nüchternen Blick auf die wirklichen
Probleme und damit auf mögliche Lösungsansätze
verstellt sie. Wirklich problematisch sind in erster Linie die
qualitativen Veränderungen in der Kriminalstatistik: die
zunehmende Jugendkriminalität, höhere Gewaltbereitschaft
und mehr Delikte hier nicht seßhafter Durchreisender.
Patentrezepte gegen Kriminalität gibt es nicht. Wer sie
verspricht, täuscht die Bürgerinnen und Bürger. In
der Kriminalitätsbekämpfung fehlt es nicht an
Gesetzesverschärfungen. Davon hat die Koalition in den letzten
Jahren reichlich beschlossen. Wenn es an etwas fehlt, dann ist es
die Präsenz der Polizei auf den Straßen und im
Stadtviertel, dann ist es eine angemessene Ausstattung der
Gerichte, damit Urteile zeitnah gefällt werden können.
Und es fehlt an einer vernünftigen und effizienten
Drogenpolitik, die Abhängigen hilft, anstatt sie in die
Beschaffungskriminalität zu treiben. Es fehlt an einer
Sozialpolitik, die Alten erspart, auf Bahnhöfen in
Papierkörben wühlen zu müssen, und Jugendlichen
andere Betätigungsfelder bietet, als eben mit "Haste mal 'ne
Mark?" zu nerven. Wer wie Innenminister Kanther den angeblichen
Werteverfall bei Jugendlichen und Kindern beklagt und an die
Erziehungsleistung der Familien appelliert, der sollte selber seine
erzieherische Vorbildfunktion überprüfen. Wer
nämlich dazu schweigt, daß die führenden Manager der
großen deutschen Energieversorgung jahrelang die
Öffentlichkeit über verstrahlte Castor-Transporte hinters
Licht führen, wird schwerlich Erfolg haben, wenn er
Ehrlichkeit und Anstand beim Bürger anmahnt. Fortschritte in
der Bekämpfung der Kriminalität wird man nur erreichen,
wenn man die Präventionen stärkt und weit im Vorfeld
ansiedelt, bevor kriminelle Karrieren beginnen. Der Weg zurück
in die 50er Jahre, die Wiedereinführung geschlossener Heime
und lebenslanger Sicherungsverwahrung, wird keinen Erfolg bringen.
Ein Ausbildungsplatz für jeden Jugendlichen und die volle
rechtliche Integration hier geborener Kinder der zweiten
Ausländergeneration hilft, Perspektiven zu schaffen und
Vorurteile abzubauen. Das kann man übrigens auch in der
Politikstatistik nachlesen: "Ungünstige
Sozialisationsbedingungen, Arbeitslosigkeit auch der
Erziehungspersonen, eigene ungünstige Zukunftsperspektiven,
ein die finanziellen Möglichkeiten übersteigender
Lebensstil, Trend zu immer größerer Vereinzelung,
Tolerierung von Gewalt zur Lösung von Konflikten,
Alkoholmißbrauch oder negative Medieneinflüsse" sind
danach die Ursachen für steigende Jugendkriminalität. An
die muß man ran!
Max Stadler, F.D.P.
Bürgern mehr Sicherheit geben
|
||||||||||
Das Thema "Innere Sicherheit" steht bei den Liberalen nicht erst dann auf der Tagesordnung, wenn die nächste Wahl vor der Tür steht; Innere Sicherheit war immer ein Schwerpunktthema und wird es auch weiter bleiben. Der innere Frieden einer Gesellschaft beruht auf der Freiheit der Rechtsordnung ebenso wie auf der Sicherheit der Bürger. Zu einer Rechtsordnung, die der Bürger als richtig und gerecht anerkennt, gehört auch ihre Durchsetzung und damit der Schutz gegen Straftaten, also Innere Sicherheit. Die immer hektischer werdende Gesetzgebung trägt nicht zur Inneren Sicherheit bei. Vielmehr muß überprüft werden, inwieweit die bereits beschlossenen Gesetzesänderungen greifen. Allein seit 1991 sind 40 bundesgesetzliche Maßnahmen, von der Rasterfahndung, dem verdeckten Ermittler, der Kronzeugenregelung bis hin zur Telefonkontrolle durch den Bundesnachrichtendienst und der schärferen Ausweisung krimineller Ausländer, der Korruptionsbekämpfung, in das Gesetzblatt geschrieben worden. Untersuchungen über die Wirkungen dieser Neuregelungen und eine Erfolgsbilanz fehlen. Hier muß nachgebessert werden. Insbesondere stellt sich die Frage nach den Ursachen: Die offenen Grenzen nach allen Himmelsrichtungen haben das Vordringen organisierter Kriminalität begünstigt. Die mangelhafte Integration von Ausländern, die Angst der Deutschen vor allem Fremden, veranlaßt hier lebende Ausländer zu Eigenleben und treibt sie in die Isolation, die häufig dann in Kriminalität münden kann. Vollzugsdefizite bei der Polizei und Justiz schwächen ebenfalls die Innere Sicherheit. Erforderlich ist eine bessere Ausbildung, modernere Technik, mehr Personal, Effizienz bei der Rechtsprechung. Innere Sicherheit kann nur durch ein ressortübergreifendes Gesamtkonzept geschaffen werden, das darauf abzielt, Anreize zur Tatbegehung zu senken, potentielle Täter zu demotivieren, Tatgelegenheiten systematisch abzubauen, potentielle Opfer zu beraten, den Bürger am Prozeß der Herstellung Innerer Sicherheit zu beteiligen sowie Industrie und Versicherung einzubeziehen (z.B. durch elektronische Sperren für Autos, Autoradios, ein Bonussystem bei Eigenleistungen des Versicherungsnehmers). Die liberale Botschaft im Bereich der Inneren Sicherheit ist: Wir nehmen die Gefährdungsgefühle der Bevölkerung ernst; Patentrezepte gibt es nicht, wer anderes behauptet, spielt mit der Angst der Menschen und wird den Ursachen des Problems nicht gerecht; nicht nach immer weiteren neuen Gesetzen rufen, sondern Vollzugsdefizite bekämpfen; eine verstärkte Präsenz von Ordnungskräften und Polizei in der Öffentlichkeit und eine effektiv handelnde Justiz müssen den Bürgern mehr Sicherheit geben.
Ulla Jelpke, PDS
Soziale Ursachen
|
||||||||||
Beim Thema "Kriminalität" fällt als erstes ein großer Widerspruch zwischen den Tatsachen und den Worten und Taten der herrschenden Politik ins Auge. Nach der neuesten Kriminalstatistik für das Jahr 1997 sank die Kriminalitätsquote um 0,9%, der Anteil ausländischer Straftäter nimmt ab. Nach einem Lagebericht des BKA war auch die "organisierte Kriminalität" 1997 rückläufig. Die Kriminalität also wird geringer, gleichzeitig aber werden mit dem Schreckensbild des organisierten Verbrechens, und vor allem des ausländischen, immer neue Sicherheitsgesetze durchgesetzt, die vor allem auf eines zielen: auf den Ausbau des "Hochsicherheitsstaates". Bundesregierung und auch SPD stehen für polizeifixierte Konzepte der öffentlichen Sicherheit, des "starken Staates" bzw. der "wehrhaften Demokratie". Die SPD hat in einer großen Sachkoalition mit der Regierung alle wesentlichen Regelungen und Verschärfungen zum Ausbau des Repressionsapparates mitgetragen und dadurch ihre Zustimmung erst möglich gemacht. Einige Stichworte: Abschottung der Grenzen gegen Flüchtlinge nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts, der "Große Lauschangriff", Raster- und Schleierfahndung, Ausbau des BGS, EUROPOL usw. usw. Sowohl Bundesregierung als auch SPD gehen offensichtlich (in realistischer Einschätzung ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten) davon aus, daß sie die sozialen Ursachen für "kriminelles Handeln" nicht beseitigen können (oder wollen). Nicht jeder, der arm ist, wird auch kriminell. Aber: Hohe Arbeitslosigkeit, die Angst um die Wohnung und die zunehmende gesellschaftliche Ausgrenzung sind ein sozialer Boden, auf dem Kriminalität gedeihen kann. Die Kriminalpolitik der PDS will gerade diese sozialen Ursachen kriminellen Handelns bekämpfen. Daher treten wir ein für eine andere Gesellschafts- und Sozialpolitik, die mit der Logik des Profits und des "Standort Deutschland" bricht und die Interessen und Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt.