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Dezember 05/1998
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Wo alle Fäden zusammenlaufen: Präsidium und Ältestenrat

Präsidium des Deutschen Bundestages
Die Opposition bittet um Absetzung eines Tagesordnungspunktes? Der zuständige Minister ist während einer ihn betreffenden Bundestagsdiskussion auf Auslands-Dienstreise? Kann man die namentliche Schlußabstimmung über einen Gesetzentwurf am späten Freitagmittag nicht vorziehen, weil eine Partei am Abend eine Großveranstaltung abhalten will? Gibt es einen Ordnungsruf? Geht es gar um den Ausschluß eines Abgeordneten von der Sitzung? Das sind alles typische Fälle für den Ältestenrat.

Ursprung in der Weimarer Republik

Er hat seinen Namen nicht etwa deshalb, weil ihm die ältesten Volksvertreter angehören. Was übrigens auch für seinen Vorläufer, den "Seniorenkonvent" im Preußischen Landtag, galt. Der Ältestenrat in seiner heutigen Form wurde in der Weimarer Republik am 12. Dezember 1922 ins Leben gerufen.
Der Ältestenrat ist ein Beratungsorgan, in dem der Präsident, die anderen Mitglieder des Präsidiums und die Bundestagsfraktionen zusammenkommen, um die parlamentarische Alltagsarbeit zu organisieren. Er setzt sich gemäß der Geschäftsordnung des Bundestages aus Präsident, fünf Vizepräsidenten und 23 Abgeordneten zusammen, die von den Fraktionen gemäß ihrer Mitgliederzahl benannt werden. Zu den Benannten zählen in jedem Fall die Parlamentarischen Geschäftsführer der fünf Fraktionen. Die Konstituierung des Ältestenrates übernimmt ein "Vorältestenrat". Präsident und Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktionen planen am Anfang einer Wahlperiode alle für den Neubeginn wesentlichen Schritte.

Festlegung der Tagesordnung

Regelmäßig am Donnerstag einer Sitzungswoche trifft sich der Ältestenrat. An den Beratungen nimmt auch der Chef des Bundeskanzleramtes oder ein Staatsminister im Kanzleramt teil. Der Ältestenrat soll den Präsidenten bei der Abwicklung der Alltagsgeschäfte unterstützen, indem er beispielsweise eine Verständigung zwischen den Fraktionen über die Tagesordnung der folgenden Woche einschließlich der für die einzelnen Punkte vorgesehenen Redezeiten sucht. Bei der Planung der Sitzungswochen, die jeweils im Frühsommer des Vorjahres festgelegt werden, achtet er darauf, daß in der Regel auf zwei Sitzungswochen eine sitzungsfreie Woche folgen sollte. So kommen die 22-24 Beratungswochen im Jahr zusammen.
In Ausnahmefällen, z. B. bei einem heftigen Konflikt im Bundestag, tritt der Ältestenrat auch ad hoc zusammen. Voraussetzung ist, daß eine Fraktion oder fünf Prozent der Abgeordneten diesen Wunsch unterstützen.
Weiterhin zählt die Bewältigung bundestagsinterner Angelegenheiten als eine Art Verwaltungsrat zu den Aufgaben des Älte-stenrates. Dabei geht es um ein Vorschlagsrecht zur Aufstellung des Haushaltsplanes des Bundestages. Daneben verfügt er über die dem Bundestag vorbehaltenen Räume. Außerdem befaßt er sich in Kommissionen mit einer Vielzahl von Angelegenheiten, wie zum Beispiel Fragen des Umzugs von Bonn nach Berlin, der Beschäftigung von Parlamentsmitarbeitern oder der EDV-Ausstattung.

Der zweite Mann im Staat

Der Ältestenrat bzw. der Vorältestenrat leistet also gewissermaßen die notwendigen Vorarbeiten, ehe der Bundestagspräsident zum ersten Mal zur Glocke greift. Über dessen Status ist oft debattiert worden. Er ist der zweite Mann im Staat, obgleich er mit der Richtlinienkompetenz der Politik nichts zu tun hat, Gesetze des Bundestages nicht verantworten muß, für die Entscheidungen des Parlaments nicht zur Rechenschaft gezogen werden und außerhalb der ureigenen Zuständigkeiten keine Beschlüsse fällen kann, die das Parlament politisch binden können.
Unmittelbar nach Beginn der Legislaturperiode mußte der Ältestenrat eine Vereinbarung darüber treffen, welche Fraktion in den 23 Ausschüssen der 14. Legislaturperiode wieviele Vorsitze übernehmen kann. Die Zusammensetzung der Ausschüsse wird heute nach dem sogenannten Saint- Lague/Schepers-Verfahren berechnet. Man dividiert die Gesamtmitgliederzahl des Bundestages durch die Zahl der Angehörigen der Fraktionen und erhält auf diese Art Rangziffern, nach denen die Ausschußbesetzung geregelt wird. Nach demselben Verfahren werden auch Ausschußvorsitzende und Stellvertreter "berechnet". In der Vergangenheit wurde dann die Vorsitzenden-Besetzung im Konsens geregelt. In der 13. und 14. Legislaturperiode war dies nicht möglich; es wurde das sogenannte Zugriffsverfahren angewendet. Danach wählen die Fraktionen in einem vorher abgesprochenen Verfahren die Ausschüsse aus, in denen sie die Vorsitzenden stellen wollen.

Politische Neutralität

Erste Handlung des neugewählten Bundestages war die Wahl eines Präsidiums. Seine Mitglieder (siehe nebenstehende Übersicht) sind zur politischen Neutralität verpflichtet ? zumindest solange sie den Sitzungen vorstehen. Die Annahme, daß sie ? ähnlich wie der Speaker (Sprecher) des britischen Unterhauses ? generell zu tagespolitischen Fragen keine Stellung beziehen können, ist häufig zu hören, gleichwohl aber nicht korrekt. Sie können in Parlamentsdebatten eingreifen, politische Erklärungen abgeben, Wahlkampf führen.
Beispiele: Die Bundestagspräsidenten Ehlers, Gerstenmaier und von Hassel blieben stellvertretende Vorsitzende der CDU. Karl Carstens war ebenso wie Rita Süssmuth Mitglied des CDU-Präsidiums, letztere aus der Funktion der Präsidentin als "geborenes Mitglied". Der neue Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ist stellvertretender Vorsitzender der SPD. Er gehört ebenso dem SPD-Präsidium an wie Annemarie Renger (1972 bis 1976). Walter Scheel gar rückte in seiner Amtszeit als Bundestagsvizepräsident zum F.D.P.-Bundesvorsitzenden auf. Alle haben allerdings die scharfe und verletzende politische Kontroverse mit ihrem Gegner gemieden.
Obwohl Artikel 40 des Grundgesetzes die geheime Wahl des Bundestagspräsidenten nicht vorsieht, ist laut Geschäftsordnung die Kür mit "verdeckten Stimmkarten" möglich. Der Präsident und seine Stellvertreter sind für die Dauer einer Legislaturperiode gewählt und damit "unabsetzbar". Sie können allein durch einen Rücktritt aus dem Amt scheiden.
Der Bundestagspräsident hat neben der Repräsentanz der Volksvertretung, dem Vorsitz einer Reihe von Gremien, der Hausherrenfunktion des Bundestages und der Dienstherrenfunktion über die Parlamentsverwaltung aber noch weitere Aufgaben: Er präsidiert der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten zu wählen hat. Er sitzt dem Gemeinsamen Ausschuß vor, dem Notparlament.
Aber für die Öffentlichkeit wahrnehmbar steht das "Präsidieren" im Bundestag im Vordergrund. Rechts und links von ihm sitzen die Schriftführer, links hinter ihm der Direktor beim Bundestag, jahrelang Rudolf Kabel, jetzt Peter Eickenboom. Der amtierende Bundestagspräsident eröffnet und beschließt die Beratungen und Abstimmungen und gibt den Termin des nächsten Zusammentreffens bekannt.

Zur Ordnung rufen

Die Macht des Präsidenten ist groß, aber nicht unbeschränkt. Einem Abgeordneten darf er nur dann das Wort entziehen, wenn dieser die Redezeit trotz mehrerer Ermahnungen überzieht oder dreimal zur Ordnung oder zur Sache gerufen wurde.
Unbestritten ist: An der Amtsführung des Präsidenten ist Kritik nicht erlaubt. Eine derartige Kritik gehört in den Ältestenrat. Er allein ist befugt, die Geschäftsordnung insoweit auszulegen. Dem kritisierenden Abgeordneten im Plenum wird das Wort entzogen ? eine im Vergleich zum britischen Parlament harmlose Strafe, denn dort wird der entsprechende Parlamentarier mit Schimpf und Schande des Saales verwiesen.
Der Präsident muß Abgeordnete, die über das Ziel der politischen Auseinandersetzung hinausschießen, zur Ordnung rufen oder Zwischenrufer beruhigen. Die Grenze zwischen Rügenswertem und Kritisierbarem ist fließend. Bei "Lump", "Verleumder" oder "Erzlügner" ist der Fall klar. Wie soll man aber reagieren, wenn ein Regierungsmitglied einer Opposition bescheinigt, sie seien Mitglieder einer "höchst ehrenwerten
Gesellschaft"?
Wenn dies alles nichts fruchtet, kann ein Abgeordneter auch ohne Vorwarnung des Saales verwiesen werden. Der so Gemaßregelte muß dieser Aufforderung sofort Folge leisten. Ihm kann auch ein Ausschluß von mehreren Sitzungstagen oder gar Wochen (Höchststrafe 30 Tage) blühen.
Legt der Betroffene Einspruch ein, muß das Plenum am Folgetag ohne Aussprache entscheiden. Bestätigt es die Entscheidung, kommt das Verbot der Teilnahme an Ausschußsitzungen hinzu. Dies hat es in den fünfziger Jahren im Parlament mehrfach gegeben. Danach blieben derartige Maßnahmen die absolute Ausnahme.

Pflege des Parlamentarismus

Der Präsident muß auch darauf achten, daß die gesamte Ordnung des Saales gewahrt bleibt. Keine Protestplakate in den Abgeordnetenreihen, keine Zwischenrufe oder etwa Applaus von der Regierungsbank, Einhaltung einer gewissen Kleiderordnung, obwohl sich die Normen verschoben haben, keine Beifalls- oder Unmutserklärungen auf der Zuschauertribüne. Theoretisch müßte er auch darauf achten, daß jeder frei redet. Paragraph 33 der Bundestagsgeschäftsordnung will es so: "Die Redner sprechen grundsätzlich in freiem Vortrag."
F
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9805/9805012
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