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Juli 06/1999
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ANHÖRUNG IM FINANZAUSSCHUSS

Experten raten zu niedrigeren Steuersätzen für Unternehmen

(fi) Bei der Unternehmenssteuerbelastung in Deutschland besteht Reformbedarf, auch um die Standortqualität zu verbessern. In dieser Einschätzung waren sich die Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am 23. Juni weitgehend einig.

Dabei wurde aus dem Kreis von 31 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verbänden wiederholt darauf hingewiesen, daß es schwierig sei, zu diesem Komplex wegen der unterschiedlichen Berechnungsmethoden und Steuersysteme allgemein gültige Aussagen zu treffen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) merkte aber an, daß gewisse, für eine Steuerreform nützliche Aussagen gemacht werden könnten. Abgeordnete bedauerten, daß es wegen der großen Bandbreite methodischer Ansätze auf Fachebene nicht gelungen sei, sich auf anwendbare Meßmethoden zu verständigen.

Zum Teil stark kontrovers waren die von den Sachverständigen vertretenen Ansichten. Neben den methodischen Fragen ging es bei der Ermittlung der Steuerbelastung um die tatsächliche Belastung einschließlich der Standortfrage sowie um künftige Perspektiven. Nach Ansicht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) liegt Deutschland nicht nur mit den Unternehmenssteuersätzen, sondern auch mit der effektiven Steuerlast im internationalen Vergleich weit oben. Andere Experten meinten allerdings, daß die Berücksichtigung aller Komponenten den Vorwurf, Deutschland sei ein Hochsteuerland, nicht rechtfertigen würde. Da aber der nominale Spitzensteuersatz bei Investitionsentscheidungen eine Rolle spiele, sei es ratsam, die Steuern zu senken.

Keine "Insel der Seligen"

Aus der Wirtschaft wurde auch gesagt, es sei zwar in Ordnung gewesen, Abschreibungskünstler gesetzlich einzuschränken. Dabei sei man aber weit über das Ziel hinausgeschossen. Kritisiert wurde ferner, daß in anderen EU­Staaten Absprachen zwischen Finanzbehörden und Unternehmen über die Besteuerung getroffen würden. Daher gelte es, die Steuersätze international wettbewerbsfähig zu machen. Auch beim Handwerk sei Deutschland keine "Insel der Seligen", da einige EU­Länder grenzüberschreitend deutlich billiger anbieten könnten.

Demgegenüber vertrat Gerd Grözinger (Flensburg) die Ansicht, daß das als Hochsteuerland geltende Deutschland im internationalen Vergleich durch sein System der Vollintegration von Körperschafts­ und Einkommensteuer diese Position stark nach unten korrigiere. Hinzu kämen die Vorteile niedriger Vermögensteuern und sehr günstige Vorschriften bei der Bemessungsgrundlage des Gewinns. Der Gesamteffekt auf die Steuereinnahmen sei "desaströs", zumal aus dem staatlichen Budget noch übermäßig hohe Subventionen an Unternehmen gezahlt würden.

Steuererosion stoppen

Die Deutsche Bundesbank und mehrere Sachverständige lehnten eine unterschiedliche Behandlung von einbehaltenen und ausgeschütteten Gewinnen ab. Es gebe kein gutes oder schlechtes Kapital. Die geplante steuerliche Spreizung würde einen Strukturwandel behindern. Nur eine gleichmäßige Absenkung der Besteuerung gewähre die Chance, der Steuererosion langfristig die Basis zu entziehen.

Es sei schwierig, den Haushalt zu konsolidieren und gleichzeitig die Abgaben zu senken. Es gebe aber die Möglichkeit, auf Dauer einen strikteren Sparhaushalt zu "fahren", nachdem die bisherigen Ad­hoc­Maßnahmen keine nachhaltige Konsolidierung gebracht hätten. Zum Inkrafttreten der Reform begrüßte ein Teil der Experten den von der Regierung vorgesehenen Termin 1. Januar 2000, während ein Teil eine Verschiebung um ein Jahr verlangte, um gründlicher beraten zu können. Gefordert wurde dabei auch die Einsetzung einer Enquete­Kommission. Nach Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) liefern die internationalen Belastungsvergleiche keine Ergebnisse dahin gehend, daß deutsche Unternehmen umfangreicher Netto­Steuerentlastungen bedürfen, um international wettbewerbsfähig zu sein. Da niedrige Steuersätze aber ein Wert an sich seien, liege die Senkung von Steuersätzen bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage voll im Trend der Zeit.

Die Deutsche Angestellten­Gewerkschaft (DAG) bezeichnete Rechtsformneutralität als wichtiges Ziel. Daher müßten Kapital­ und Personengesellschaften, gewerblich Tätige und Freiberufler ein einfaches und transparentes Instrument zur Einschätzung ihrer steuerlichen Belastung erhalten. Wenn die Handlungsfähigkeit der Kommunen erhalten werden soll, müßte ein Ersatz im Falle der Abschaffung der Gewerbesteuer geleistet werden.

In ihren steuerpolitischen Schlußfolgerungen betonte die Bundesbank, daß der Schwerpunkt des steuerlichen Handlungsbedarfs in den nächsten Jahren in einer dauerhaften Senkung der tariflichen Grenzsteuersätze liegen sollte. Es spreche aus gesamtwirtschaftlichen und verfassungsrechtlichen Gründen vieles für eine Tarifreform, die alle Einkunftsarten spürbar entlaste, wobei auch die Gewerbesteuer zu berücksichtigen sei.

Prof. Helga Pollak (Göttingen) forderte eine Minimierung ungewollter Anreize zu legalen und illegalen Ausweichreaktionen der Besteuerten, die die wirtschaftlichen Entscheidungen verzerrten. Hingewiesen wurde auch darauf, daß in Deutschland 85

Prozent der Unternehmen Personengesellschaften und nur 15 Prozent Kapitalgesellschaften sind. Dabei sei eine Umwandlung der Personengesellschaften in GmbH steuerrechtlich durchaus möglich.

"Weitere Belastung"

Der BDI stellte fest, daß die Steuergesetzgebung die Unternehmen unter dem Strich nicht entlastet hat, sondern diese alle Entlastungsmaßnahmen gegenfinanzieren mußten. Die neue Regelung bringe eine weitere Belastung für die Unternehmen und beeinträchtige die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Deutschland brauche eine angebots­ und nicht eine nachfrageorientierte Steuerreform mit einer deutlichen Nettoentlastung. Die Reform der Sonderlast Gewerbesteuer müsse zügig in Angriff genommen werden und dürfe nicht in die kommende Legislaturperiode verschoben werden, so der BDI. Die Steuerreform müsse sicherstellen, daß gerade für den Mittelstand eine Verbesserung der Rahmenbedingungen erreicht wird.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9906/9906035
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