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März 02/2000
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MEHRHEIT DER SACHVERSTÄNDIGEN BEI AUSSCHUSSANHÖRUNG EINIG

Grundgesetz muss für Waffendienst von Frauen nicht geändert werden

(re) Der nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 11. Januar 2000 europarechtlich gebotene Zugang für Frauen zum freiwilligen Dienst in allen Bereichen der Bundeswehr erfordert keine Änderung des Grundgesetzes (GG). Zu diesem Schluss kamen bei einer Anhörung des Rechtsausschusses und des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 23. Februar mehrere Sachverständige, darunter auch Professor Manfred Zuleeg von der Universität Frankfurt (Main).

Zuleeg erklärte zu den verfassungsrechtlichen Konsequenzen der EuGH­Entscheidung, aus der Systematik des GG und dem Zweck der entsprechenden Vorschrift (Art. 12a Abs. 4 Satz 2) gehe hervor, dass nur dienstverpflichtete Frauen keinen Dienst an der Waffe týn dürften, freiwillig als Soldatinnen jedoch Wehrdienst jeglicher Art leisten könnten, so Zuleeg. Dies sei bei der Umsetzung des europäischen Gemeinschaftsrechts, konkret einer Richtlinie zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern aus dem Jahre 1976 zu berücksichtigen. Grundlage der Beratungen der Ausschüsse war ein Gesetzentwurf der F.D.P.­Fraktion (14/1728neu), die entsprechende Bestimmung im Grundgesetz zu streichen, um Frauen den Wehrdienst an der Waffe zu ermöglichen.

Ähnlich wie Zuleeg argumentierte Dr. Charlotte Schütz von der Universität der Bundeswehr Hamburg. Für die systematisch unbefriedigende Annahme eines generellen Waffendienstverbots für Frauen bestehe angesichts der Möglichkeit einer engen, verfassungs­ und europarechtskonformen Interpretation des in Frage stehenden Grundgesetzartikels 12a keine Notwendigkeit. Bei gebotener restriktiver Auslegung sei ein freiwilliger Frauendienst an der Waffe ohne Grundgesetzänderung möglich.

Initiative begrüßenswert

Auch die Bonner Rechtsanwältin Gudrun Schattschneider verdeutlichte in ihrer Stellungnahme, sie halte die Initiative der Liberalen für sehr begrüßenswert. Die Öffnung der Streitkräfte für Frauen in sämtlichen Verwendungen auf freiwilliger Basis sei längst überfällig. Einer Änderung des Grundgesetzes bedürfe es dafür aber nicht unbedingt, so die Expertin.

Nach den Einlassungen der Journalistin Ulrike Gramann sollte das EuGH­Urteil Anlass sein, durch Wegfall oder Abschaffung der Wehrpflicht die Gesellschaft zu demilitarisieren. Eine Ausweitung der Wehrpflicht bezeichnete sie als "absurd", wie im Übrigen auch die Wehrpflicht für Männer. Alle Verwendungen in der Bundeswehr müssten für Frauen offen stehen. Auch Männer seien für Eliteeinheiten nur "ausnahmsweise geeignet". Gramann stellte zudem fest, Frauenhass und sexistische Übergriffe seien militärische Verhaltensweisen.

"Berufsverbot" beseitigen

Die Sachverständigen Professor Volker Epping (Universität Münster) und Dr. Jörn Axel Kämmerer (Universität Tübingen) vertraten übereinstimmend die Ansicht, rein rechtlich gesehen sei eine Grundgesetzänderung nicht unbedingt erforderlich. Übereinstimmung mit der Gleichbehandlungsrichtlinie könne bereits durch gemeinschaftskonforme Auslegung des Artikels 12a Absatz 4 Satz 2 GG hergestellt werden.

Gleichwohl, so Epping, stünden dieser Auffassung weite Teile des juristischen Schrifttums sowie höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen. Insofern bedürfe es einer verfassungsrechtlichen Klarstellung durch Aufhebung der entsprechenden Grundgesetzbestimmung.

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr­Verbandes, Oberst Bernhard Gertz, schloss sich dieser Einschätzung an. Den F.D.P.­Antrag bezeichnete er als hilfreich und geeignet, verfassungsrechtliche Zweifel auszuräumen. Es sei an der Zeit, dieses letzte "Berufsverbot" zu beseitigen. Die starken Bewerberzahlen von Frauen in der Bundeswehr zeigten, dass dieses Bedürfnis bestehe. Zur Untermauerung seiner Argumente fügte Gertz hinzu, dass in diesen Tagen deutsche Sanitäterinnen im Kosovo an der Brücke in Mitrovica stünden, um muslimische Frauen zu kontrollieren. Dies sei nicht Aufgabe von Sanitäterinnen, männliche Soldaten könnten dafür aber nicht eingesetzt werden.

Hingegen bezeichnete es Professor Peter Badura von der Universität München in seiner Stellungnahme als Aufgabe des Gesetzgebers, unter Beachtung des europäischen Gemeinschaftsrechts, aber auch unter Befolgung des Gebots der Grundgesetzbestimmung (Art. 12a), der zufolge Frauen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten dürfen, den freiwilligen Dienst von Frauen in der Bundeswehr zu regeln. Badura zufolge ist diese Bestimmung aufgrund ihrer Vorgeschichte und ihres Wortlautes auch nicht auf den Fall einer Dienstpflicht von Frauen beschränkt, sondern schließt ebenfalls einen freiwilligen Dienst mit der Waffe in den Streitkräften aus. Eine Aufhebung dieser Vorschrift durch den Verfassungsgesetzgeber wäre allerdings zulässig.

Entscheidung angreifbar

Nach den Worten Baduras ist es zudem "angreifbar", dass der EuGH den sachlichen Anwendungsbereich der Gleichbehandlungsrichtlinie von vornherein auch auf die der nationalen Bestimmung unterliegende Struktur der Streitkräfte und ihren Verteidigungsauftrag erstreckt.

Professor Wolfgang Löwer von der Universität Bonn sah wie Badura die Auslegung des Artikels 12a nicht offen, sondern durch seine Entstehungsgeschichte hinreichend deutlich determiniert. Der letzte Satz dieses Artikels sperre im Moment den generellen Zugang von Frauen zur Bundeswehr. Er schlug vor, statt diesen Satz zu streichen, einen gesetzgeberischen Differenzierungsauftrag in das Grundgesetz aufzunehmen durch den Zusatz "Näheres regelt ein Bundesgesetz". Ferner vertrat Löwer die Meinung, dass die Bundesrepublik Deutschland sich die Diskussion um Frauen in der Bundeswehr nicht vom EuGH hätte aufnötigen lassen müssen.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0002/0002048
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