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April 03/2000
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ZEHNTER JAHRESTAG DER FREIEN VOLKSKAMMERWAHL

Thierse: Den Staat vom Sockel geholt und zur Sache der Bürger gemacht

(nl) Die freie Volkskammer des Jahres 1990 hat nach den Worten von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) ein großes Kapitel in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus geschrieben. Thierse und die damalige Volkskammerpräsidentin der DDR, Sabine Bergmann-Pohl, sowie weitere Redner erinnerten am 17. März in einer Sonderveranstaltung des Bundestages an den 18. März 1990, den Tag der ersten freien Volkskammerwahl.

An diesem Tag sei der Staat "in seiner Allmacht" vom Sockel geholt und zur Sache der Bürger gemacht worden, sagte Thierse. Er dankte ausdrücklich allen, die sich damals den Aufgaben eines parlamentarischen Mandats stellten, für ihren Mut, ihre zivile Gesinnung, ihren Einsatz und ihr Vorbild.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, die damalige Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl und der erste frei gewählte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, erinnerten an die Volkskammerwahl vor zehn Jahren.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, die damalige Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl und der erste frei gewählte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, erinnerten an die Volkskammerwahl vor zehn Jahren.

Mit der Wahl habe sich Ostdeutschland nicht nur für die parlamentarische Demokratie und für die deutsche Einheit entschieden. Die Entscheidung habe auch an die Stelle einer diktatorisch-patriarchalischen Staatsführung einen Staat gesetzt, der bei weitem nicht für alles verantwortlich sein dürfe, was in der Gesellschaft geschieht. Die Bürgerinnen und Bürger bat der Präsident, die Politik nicht nur zu kontrollieren, sondern auch Intoleranz und Gewalt in der Gesellschaft abzuwehren.

Sabine Bergmann-Pohl betonte, die letzten sechs Monate der Volkskammer sicherten ihr einen besonderen Platz in der deutschen Parlamentsgeschichte. Die Bürger der DDR hätten sich die freie Abstimmung regelrecht erkämpft. Die Abgeordneten hätten damals in "politischer Lichtgeschwindigkeit" gearbeitet, um in 39 Plenartagungen 164 Gesetze und 93 Beschlüsse zu verabschieden. "Damit betrieben wir gleichzeitig in Rekordzeit unsere Selbstauflösung", sagte die Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion.

Unter großem Beifall dankte Bergmann-Pohl den Abgeordneten von damals, dem Bundestag für die Unterstützung sowie den Regierungen unter Helmut Kohl und Lothar de Maizière. 40 Jahre Leben in zwei Staaten hätten es nicht vermocht, das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit zu verdrängen.

Die nachfolgenden Redner versuchten in unterschiedlicher Weise, ein persönlich gefärbtes Bild der damaligen Zeit nachzuzeichnen und die Arbeitsbedingungen in der Volkskammer anschaulich darzustellen. Dabei machten sie sich die von westlicher Seite geäußerte Bezeichnung als "Laienspieler" für die Volkskammer-Abgeordneten rückblickend im positiven Sinne zu Eigen. Der damalige Volkskammer-Vizepräsident Reinhard Höppner (SPD) widersprach der Ansicht, den Ostdeutschen sei damals die westdeutsche Ordnung einfach übergestülpt worden. Das Volk habe die Einheit so schnell wie möglich gewollt.

Der ehemalige DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) erinnerte an den Runden Tisch, der der "demokratischen Selbstfindung" gedient und den Übergang zu parlamentarischen Verfahren geebnet habe. Inzwischen gebe es zwischen Ost und West eine "Alltagssolidarität". Wolfgang Ullmann, damals Volkskammer-Vizepräsident für die Fraktion Bündnis 90/Grüne, betonte, in demokratischer Einmütigkeit habe man eine "gewaltlose Front" gegen die übermächtigen Feinde artikuliert.

Ein weiterer Vizepräsident der Volkskammer, Jürgen Schmieder von den Liberalen, wies darauf hin, damals sei jeder Schritt der politischen Akteure in der Öffentlichkeit aufmerksam verfolgt worden. Auch Gregor Gysi (PDS) erinnerte an das starke politische Interesse an der Volkskammerarbeit. Viele Entscheidungen seien von der gesamten Volkskammer getragen worden.

Professor Richard Schröder (SPD) sah Grund, "ein bisschen stolz" zu sein auf die Volkskammer. Die Westdeutschen bat er, den Ostdeutschen ihren Stolz zu belassen. Hans Geisler, damals Abgeordneter des "Demokratischen Aufbruch", sagte, aus der "bevormundenden Sicherheit" sei für die Ostdeutschen eine "risikoreiche Selbstverantwortung" geworden.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0003/0003017
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