Deutscher Bundestag
English    | Français   
 |  Sitemap  |  Kontakt  |  Fragen/FAQ  |  Druckversion
 
Startseite > Blickpunkt Bundestag > Blickpunkt Bundestag - Jahresübersicht 2001 > Deutscher Bundestag - Blickpunkt 09/2001 >
09/2001
[ zurück ]   [ Übersicht ]   [ weiter ]

Interview

Was machen Sie morgens um sechs in der Spree, Herr Hemker?

Der SPD-Abgeordnete Reinhold Hemker liebt die langen Distanzen und übt sich in Geduld und Ausdauer.

Ein Kommandeur der US-Navy kam 1978 in Hawaii auf die Idee, den "Waikiki Roughwater Swim", das "Oahu Bike Race" und den "Honolulu-Marathon" zusammenzulegen. Damit war der "Ironman" geboren, ein Wettkampf der Superlative. 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Rad fahren und 42, 195 Kilometer laufen muss ein Ironman oder eine Ironwoman – 1978 wagten sich nur 15 Unerschrockene an diese Aufgabe. Heute sind es viel mehr. Einer von ihnen ist Reinhold Hemker aus Rheine, 57 Jahre, SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag, bekannt dafür, ein Anstifter zu sein, der nach dem Grundsatz lebt: Gutes muss man tun und nicht nur denken.

Der SPD-Abgeordnete Reinhold Hemker im Neoprenanzug.
Der SPD-Abgeordnete
Reinhold Hemker
im Neoprenanzug.

Herr Hemker, 11 Stunden, 36 Minuten und 58 Sekunden beträgt Ihre persönliche Bestzeit beim "Ironman". Nachzulesen ist, dass ein Triathlet dafür rund 9.000 kcal benötigt, so viel wie 15 Kilogramm Kartoffeln in sich haben. Sie müssen wirklich leidensfähig sein. Warum tun Sie sich denn so etwas an?

Erstens tut es mir gut. So intensiv betreibe ich Sport ja erst seit Ende 1998. Inzwischen ist er Teil meines Lebens geworden, eingepasst in die Tages- und Wochenabläufe. Ich fühle mich besser, es macht Spaß, setzt Energien frei, und Energie braucht man bei unserer Arbeit im Bundestag.

Zweitens habe ich festgestellt, man kann seine Vorstellungen und Ziele in diesem Bereich viel besser transportieren, wenn man selbst Sport macht. Ich bin ja auch stellvertretendes Mitglied im Sportausschuss. Es ist ganz simpel: Man wird – im positiven Sinne – benutzt, um etwas zu vermitteln, voranzubringen, weil man selber tut, was man anderen empfehlen möchte.

 

Das heißt, Sie eignen sich besser als Botschafter, der für sportliche Betätigung wirbt, weil Sie selbst Sport machen?

Ja, so kann man es sagen. Ich werbe für Ausdauersport. Auf hohem Niveau betrieben, das ist bewiesen, verlängert er das Leben. Ich bin in den dreieinhalb Jahren, in denen ich Triathlon mache, fünfzehn Jahre jünger geworden, wie ein Journalist mal beschrieben hat.

 

Der SPD-Abgeordnete Reinhold Hemker.
Der SPD-Abgeordnete Reinhold Hemker.

Sie fühlen sich fünfzehn Jahre jünger ...

Nicht nur, der körperliche Zustand verbessert sich einfach. Ich möchte, gemeinsam mit anderen, die Idee des "Ironman" in Deutschland verbreiten. Es gibt bereits ein erstes Konzept für ein "Ironman-Institut", in dem Kurse für bestimmte Zielgruppen angeboten werden. Wir wollen auch die Einbindung in den Schulsport voranbringen. Man braucht für Triathlon nicht viel. Eine Badehose, ein Fahrrad, Laufklamotten. Mir liegt daran, die Grundsportarten an den Schulen wieder zu stärken.

 

Es wird kolportiert, dass Sie an manchen Tagen morgens um sechs nicht etwa an, sondern in der Spree zu finden sind. Was machen Sie denn da?

Trainieren natürlich. Ich mache mir Pläne, die ich versuche, möglichst einzuhalten. Ohne regelmäßiges Training kann man diesen Sport nicht betreiben. Morgens sechs Uhr ist eine gute Zeit.

 

Müssen denn im Sportausschuss alle so sportlich sein?

Na, das wäre wohl ein falsches Verständnis von unserer Arbeit. Darum geht es nicht. Es geht aber um die Vorbildfunktion. Ich muss ehrlich und engagiert für etwas eintreten, sonst wird Politik unglaubwürdig. Erfolg ist immer eine Konsequenz aus Arbeit und Verhalten. Die Art und Weise, wie ich lebe, spielt da schon eine Rolle.

 

Nennen Sie mal ein Beispiel.

Ich engagiere mich sehr stark für den fairen Handel. Ende vergangenen Jahres habe ich, gemeinsam mit anderen Abgeordneten einen Antrag eingebracht, der unter der Überschrift "Freiwillige Agrar-, Umwelt- und Sozial-Zertifizierung für Entwicklungsländer" steht und in dem es um Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung geht. Ich selbst ernähre mich, soweit es möglich ist, von Produkten aus dem fairen Handel und aus Bioläden.

 

Was essen Sie heute Mittag?

Ein vegetarisches Vollwertgericht aus Quinuanudeln mit Biogemüse und getrockneten Pilzen aus Eckuador. Schmeckt lecker. Sagt sogar mein "Genusspraktikant", der zur Zeit bei mir ein Praktikum absolviert und dem gutes Essen wahrhaftig viel bedeutet.

 

Ist der "Ironman" denn eine faire Sportart?

Jede Sportart ist fair, wenn man sich fair verhält. Der "Ironman" ist kein Sport, wo man dem anderen in die Hacken treten oder ihn wegschubsen kann. Man darf ja nicht mal Windschatten fahren. Das finde ich faszinierend und deshalb bin ich auch bei diesem Sport hängen geblieben.

Außerdem – wenn man auf Teufel komm raus gewinnen will und das auch noch mit unfairen Methoden, ist man am Ende kein richtiger Sieger. Es ist doch besser, mit ehrlichen Mitteln Dritter zu werden als mit unehrlichen Mitteln Erster.

 

Der SPD-Abgeordnete Reinhold Hemker beim Schwimmtraining.
Der SPD-Abgeordnete Reinhold Hemker beim Schwimmtraining.

Das klingt nach einem guten Motto für die Arbeit im Bundestag. Schaffen Sie es denn immer, alle ins Boot zu holen, oder müssen Sie manchmal doch auf Sieg setzen?

Berufliche Idyllen gibt es nicht. Die Möglichkeiten, einen sozialen Konsens zu erreichen, vielleicht sogar über Partei- oder Ländergrenzen hinweg, sind oft begrenzt. Aber vieles ist im Konsens zu machen. Man muss darum kämpfen, und man braucht einen langen Atem. Für die Umsetzung des Antrages zum fairen Handel zum Beispiel habe ich anderthalb Jahre gebraucht. Aber dann stimmten alle zu.

 

Aber allein siegen ist doch sicher auch ein gutes Gefühl.

Man siegt aber in den wenigsten Bereichen des Lebens allein. Sie brauchen fast überall Unterstützung, Zusammenarbeit – im Sport beispielsweise Trainer, Betreuer und Freunde, mit denen man trainieren, an Wettkämpfen teilnehmen und feiern kann. Und es gibt Bereiche, in denen finde ich das Wort Sieg einfach nicht gut. "Wahlsieg" zum Beispiel. Man, oder auch eine Partei, wird gewählt wegen der Inhalte, die man vertritt. Besser wäre da, "Wahlerfolg" zu sagen.

 

Welchen Zugewinn, der Ihnen in Ihrer Arbeit nützlich ist, haben Sie denn durch den Sport erfahren?

Ich bin in diesen drei Jahren, seit ich Triathlon intensiv betreibe, geduldiger geworden. So ein Wettkampf entscheidet sich nicht in den ersten vier oder fünf Stunden. Man muss geduldig und ausdauernd sein. Das braucht man in der Politik. Man braucht eine Gruppe zum Training, für alle drei Sportarten. Wer glaubt, dass er allein, ohne die Hilfe anderer Spitzenleistungen erbringen kann, irrt sich. Das ist in der Politik ebenso. Politik ist Miteinander und Auseinandersetzung, gemeinsame Suche nach Lösungen und Konzepten. Ich bin gesünder geworden, und der Sport hat mein Leben ungeheuer bereichert. Morgens in der Natur zu laufen, ist wunderbar. Man sieht plötzlich Dinge, die man vorher nie wahrgenommen hat. Es gibt eine Fülle von Erlebnissen und Begegnungen. Wenn ich vor oder nach der Arbeit in Biesdorf im Kiessee trainiere oder an der Spree, sehe ich Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge. Es lässt sich schlecht beschreiben, aber das Leben ist einem dann plötzlich ganz anders nah.

 

Was ist in der Politik der Ersatz für Sonnenaufgänge?

Man sieht Menschen anders, differenzierter. Ich habe eine positivere Sichtweise auf ganz kleine Fortschritte. Ich weiß, dass das, was mich glücklich macht, etwas sein muss, was auch für andere gut ist.

 

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0109/0109102a
Seitenanfang [TOP]
Druckversion Druckversion