Deutscher Bundestag
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Sonderthema Bundestagsgremien

Die Gremien

Wie sich der Bundestag organisiert

Plenarsaal (Zeichnung)

Kein Bundestag ist wie der andere. Jedes Mal haben die Wähler neu entschieden, wer stellvertretend für alle die Regeln entwickeln soll, die dann für alle gelten werden. Jedes Mal haben die Wähler neu bestimmt, wie stark der Einfluss der einzelnen Parteien in der Volksvertretung sein soll, wer somit die Regierung bilden kann und wer in die Opposition muss. Und deshalb beginnt auch jeder Bundestag ganz von vorn. Denn die neu gewählten Abgeordneten können nicht von ihren Vorgängern vorbestimmt werden, deren Legitimität, für das Volk zu entscheiden, mit dem Zusammentreten des neuen Bundestages erlischt.

Der Bundestag und seine Gremien

Das ist das Prinzip der Diskontinuität (1).

1) Diskontinuität
Der Grundsatz der Diskontinuität, also der Nicht-Fortsetzung, reicht im Bundestag sehr weit. Er leitet sich ab von der grundgesetzlichen Begrenzung einer Wahlperiode. Der nicht mehr amtierende Bundestag lebt weder personell oder institutionell noch materiell fort: Alle Abgeordneten verlieren mit der Eröffnung (Konstituierung) eines neu gewählten Bundestages ihr Mandat. Alle Untergliederungen und Organe des Bundestages, wie Ausschüsse und Präsidium entfallen und müssen neu gebildet werden. Und alle Gesetzesvorlagen, die vom alten Bundestag noch nicht beschlossen worden sind, gelten mit Konstituierung des neuen als erledigt. Die jeweiligen Vorhaben müssen dann völlig neu eingebracht und verhandelt werden. Ausgenommen sind Petitionen und Vorlagen, die keiner Beschlussfassung bedürfen. Äußeres Zeichen der Diskontinuität ist der Zusatz der Ziffern: ?13. Deutscher Bundestag?, ?14. Deutscher Bundestag?, ?15. Deutscher Bundestag? usw.

Jeder Bundestag ist autonom, sich neu zu organisieren, und alles, was der alte Bundestag noch nicht als Gesetz beschlossen, sondern nur beraten hatte, muss der neue erst wieder neu aufgreifen. Wenn er denn will. Wie aber bauen die neu gewählten Abgeordneten ihre innere Organisation auf, damit ein möglichst effizientes Arbeiten im Interesse der Bürger möglich wird? In den höchstens 30 Tagen zwischen der Wahl eines neuen Bundestages und dessen erster (der ?konstituierenden?) Sitzung dauert die Amtszeit des alten Bundestages noch an. Es entsteht also zu keinem Zeitpunkt eine ?parlamentslose? Republik. Die Handlungsfähigkeit des Staates soll jederzeit gegeben sein. Beispielsweise trat der alte Bundestag im Herbst 1998 noch einmal im Zusammenhang mit dem sich zuspitzenden Kosovo-Konflikt zusammen, als bereits ein neuer Bundestag gewählt war, verbindliche Beschlüsse über einen Militäreinsatz aber nicht mehr warten konnten, bis er sich gefunden und organisiert hatte.

Vor diesem Hintergrund gibt es auch zwei kleine Kontinuitäten über die Diskontinuität hinweg: So lädt zur ersten Sitzung des neuen Bundestages noch der Präsident des alten Bundestages ein. Wer sollte es auch sonst tun? Schließlich hat es noch keinerlei Abstimmungen innerhalb des neuen Bundestages gegeben, er muss sich dazu ja erst konstituieren, Spitzenrepräsentanten bestimmen und sich Regeln geben, nach denen die Binnenorganisation laufen soll. Zudem übernimmt alle ersten organisatorischen Abläufe und Verständigungen der so genannte ?Vorältestenrat?, in dem der Präsident und die bisherigen Parlamentarischen Geschäftsführer mitwirken.

Während die Parteien nach der Wahl außerhalb des Parlamentes in Koalitionsverhandlungen noch darüber beraten, wer sich innerhalb des Parlamentes auf eine Mehrheit mit einer gemeinsamen Politik verständigen kann und somit in der Lage ist, die Regierung zu stellen, nehmen im neu gewählten Bundestag einige bereits vor der ersten Sitzung ihre Arbeit auf.

Da sind zunächst die Abgeordneten. Sie sind in den 299 Wahlkreisen der Bundesrepublik direkt gewählt worden, indem sie jeweils die meisten Erststimmen erhielten oder über die Landeslisten der Parteien ins Parlament einzogen. Für ihre Arbeit bedeuten diese verschiedenen Wege in die Volksvertretung keinen Unterschied. Denn alle haben sich den Wählern gestellt und deren Vertrauen gefunden. In den ersten Tagen nach der Annahme des Mandates beziehen die Abegordneten ihr Büro, suchen sich Mitarbeiter, damit die Organisation ihrer eigenen Arbeit beginnen kann. Gleichzeitig mit ihrer Mitgliedschaft im Bundestag sind sie auch Mitglied ihrer Fraktion geworden und innerhalb ihrer Fraktion auch einer Landesgruppe, wo Abgeordnete gleicher regionaler Herkunft über ihre fachlichen Interessen hinaus verstärkt auch auf die Interessen der Wähler in den Regionen achten.

Zu einer Fraktion (2) schließen sich Abgeordnete gleicher politischer Grundüberzeugungen zusammen, damit sie ihre Hauptanliegen schlagkräftiger und arbeitsteilig verfolgen können.

(2) Fraktion
Der Begriff Fraktion ist mit dem der Fraktur verwandt. Beides bedeutet so viel wie ?brechen? oder ?Bruch?. Die Fraktion ist der ?Bruchteil? von etwas anderem. Zumeist sind die Bundestagsfraktionen Teil von zwei größeren Einheiten: Auf der einen Seite ? und dies vor allem anderen ? sind sie Teil des Bundestages, auf der anderen Seite aber auch Teil politischer Parteien. Als solcher fungieren sie als Bindeglied zwischen der grundgesetzlich gesicherten Mitwirkung der Parteien an der Willensbildung des Volkes und der Umsetzung dieses Willens in praktische Politik durch das Parlament. Wer im Bundestag eine Fraktion bilden will, muss mindestens fünf Prozent der Abgeordneten zusammenführen, die durch gleiche politische Zielvorstellungen und ? in aller Regel ? auch gleiche Parteizugehörigkeit verbunden sind, und dies mit Namensliste und Leitungsfunktionen dem Bundestagspräsidenten mitteilen.

Nicht jeder Abgeordnete kann in all den vielen hundert Politikfeldern, die im Laufe einer Wahlperiode den Bundestag beschäftigen, gleich fachkundig sein. Er verlässt sich bei der Beratung und Beurteilung auf die Empfehlung seiner Parteifreunde und rät seinen Kollegen seinerseits, wie sie sich in seinem Spezialgebiet entscheiden sollen. Deshalb sind Fraktionen nicht nur die Fortsetzung der Parteiarbeit im Parlament, sie sind vielmehr die Konkretisierung der allgemeinen Absichten im politischen Tagesgeschäft. Abgeordnete mehrerer Parteien (wie CDU und CSU) können sich auch zu Fraktionsgemeinschaften (3) zusammenschließen.

3) Fraktionsgemeinschaft
CDU und CSU beispielsweise sind zwei verschiedene Parteien. Sie schließen sich im Bundestag jedoch regelmäßig zu einer Fraktion zusammen. Die offizielle Begründung für diese Fraktionsgemeinschaft liegt in der Definition, dass Mitglieder des Bundestages sich zu einer Vereinigung zusammenschließen können, wenn sie ?derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen?. So besagt es § 10 der Geschäftsordnung des Bundestages. Da die CDU überall im Bund außer in Bayern antritt und ihre Schwesterpartei CSU nur in Bayern, sind diese Voraussetzungen erfüllt.

Damit das Parlament eine handlungsfähige Regierung ermöglicht, beugt die Fünf-Prozent-Klausel einer Zersplitterung der Verantwortung vor: Nur die Parteien, die mindestens fünf Prozent der Stimmen im Bundesgebiet oder mindestens drei Wahlkreise direkt gewinnen, erhalten im Bundestag so viele Sitze, wie es ihrem Stimmenanteil entspricht. Die Fünf-Prozent-Klausel ist innerhalb des Parlamentes die Grenze, die zur Bildung einer Fraktion erreicht werden muss. Bei 669 Abgeordneten nach der Wahl 1998 waren dies also mindestens 34 Abgeordnete, die sich zusammenfinden mussten, um eine Fraktion bilden zu können, bei 603 Abgeordneten nach der Verkleinerung des Bundestages zur Wahl 2002 sind es nun mindestens 31.

Schriftführer bei der Auszählung

Schriftführer bei der Auszählung.

Gewinnt eine Partei nur ein oder zwei Direktmandate, nehmen diese natürlich an den Sitzungen und Abstimmungen des Bundestages teil, können in der Alltagsarbeit jedoch nicht überall berücksichtigt werden, da sonst ihr Anteil am Einfluss nicht mehr ihrem Anteil an der Gesamtzahl der Abgeordneten entspräche. Gewinnt eine Partei drei Direktmandate, bleibt im Wahlergebnis aber unter fünf Prozent, dann kann sie zwar keine Fraktion bilden. Ihre Abgeordneten können sich aber zu einer Gruppe zusammenfinden und als solche am Alltagsgeschäft teilhaben. Sie müssen aber auf bestimmte Vorrechte von Fraktionen verzichten.

Die Fraktionen haben sich nach einer Wahl natürlich auch erst selbst wieder zu organisieren. Manchmal sind sie ganz neu im Bundestag vertreten, häufig sind sie größer oder kleiner geworden. In einer der ersten Sitzungen wählen sie zumeist jedoch nur einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende und warten mit der Zusammenstellung der weiteren Fraktionsführung und der Benennung weiteren Spitzenpersonals noch so lange ab, bis die übrige Organisation des Parlamentes geklärt ist, damit sie sich in ihrer Arbeit besser darauf einstellen können. Allerdings werden die Parlamentarischen Geschäftsführer schon bald gewählt, denn sie sind Teil des Motors, der die Parlamentsarbeit antreibt.

Spätestens 30 Tage nach der Wahl beginnt der Bundestag dann seine Arbeit im Plenum mit der konstituierenden Sitzung. Traditionell übernimmt der älteste Abgeordnete die Sitzungsleitung, fragt seine Kollegen, ob sie vorerst weiter nach der Geschäftsordnung (4) des alten Bundestages arbeiten wollen, benennt eine Reihe von Schriftführern (5), lässt die Namen aller gewählten Abgeordneten verlesen, um damit die Beschlussfähigkeit des neuen Bundestages feststellen zu können, und eröffnet dann die Wahl zum Bundestagspräsidenten (6).

(4) Geschäftsordnung
Das Erfolgsgeheimnis der parlamentarischen Demokratie liegt darin, dass die Minderheit jederzeit begründete Hoffnung hat, zur Mehrheit zu werden, und die Mehrheit jederzeit damit rechnen muss, zur Minderheit zu werden. Jeder hat also ein Interesse daran, Regeln zu entwickeln, mit denen sowohl Regierung wie Opposition leben können. Das wird deutlich in der um Ausgleich der Interessen bemühten Geschäftsordnung des Bundestages, in der die Funktionen, die Rechte und Pflichten, die Einberufungen und Abläufe von Sitzungen und vieles mehr detailliert vorgeschrieben wird. Im Gegensatz zu den ersten deutschen Parlamenten in monarchischer Zeit, in der Kaiser und Könige glaubten, den Abgeordneten eine ?Disziplin? vorgeben zu müssen, legt das Grundgesetz in Artikel 40 fest: ?Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter und Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung.? Damit ist die Geschäftsordnung autonomes Satzungsrecht des Parlamentes. Sie muss zwar nach jeder Wahl neu beschlossen werden. Doch in der Regel übernimmt der Bundestag die Geschäftsordnung seines Vorgänger-Parlamentes und verändert sie im Verlauf der Wahlperiode nur gelegentlich, dabei weniger in ihren Gründzügen als in kleinen Details.

(5) Schriftführer
Schriftführer sind Abgeordnete, die auf Vorschlag ihrer Fraktionen vom gesamten Bundestag in dieses Amt gewählt werden. Ihre Zahl ist nicht vorgegeben. Meistens werden gut 40 gewählt, damit sie sich während der Sitzungstage häufig abwechseln und ihren eigentlichen Abgeordnetenaufgaben noch nachgehen können. Je zwei Schriftführer bilden zusammen mit dem Bundestagspräsidenten oder einem seiner Stellvertreter den Sitzungsvorstand. Sie sitzen hinter dem Rednerpult, links und rechts neben dem amtierenden Präsidenten. In der Regel gehört einer den Regierungsfraktionen und einer den Oppositionsfraktionen an. Sie nehmen Anträge und Wortmeldungen entgegen, verlesen Schriftstücke, führen Rednerlisten, überwachen die Korrekturen des Plenarprotokolls und stellen als Sitzungsvorstand gemeinsam das Ergebnis von Abstimmungen fest. Können sie sich bei Abstimmungen per Handheben nicht einigen, wer dem Augenschein nach gewonnen hat, verfügen sie eine Auszählung der Stimmabgabe. Dazu verlassen alle Abgeordneten den Plenarsaal und betreten ihn wieder durch ?Ja?-, ?Nein?- oder ?Enthaltungs?-Türen, wobei sie gezählt werden. Dieses Verfahren wird auch ?Hammelsprung? genannt.

(6) Bundestagspräsident
Der Präsident hat nicht nur die Leitung der Bundestagssitzungen (in der er sich mit seinen Stellvertretern abwechselt), er vertritt den Bundestag auch nach außen hin. Protokollarisch ist er als Repräsentant der Legislative nach dem Bundespräsidenten der zweite Mann im Staat. Er ist nicht nur Adressat aller Eingaben und Entwürfe von Bundesregierung, Bundesrat oder Mitgliedern des Bundestages, er setzt sich auch für die Würde des Bundestages und die Rechte seiner Mitglieder ein. Er ist der oberste Dienstherr der Bundestagsmitarbeiter und übt sowohl das Hausrecht als auch die Polizeigewalt in den Gebäuden des Parlamentes aus.

Dieser wird traditionell von der stärksten Bundestagsfraktion gestellt und erhält in der Regel auch Stimmen von vielen Abgeordneten anderer Fraktionen. Aber die Geschäftsordnung ist auch auf den Fall eingestellt, dass kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erzielen kann. Dann geht es im zweiten Wahlgang um die relative Mehrheit unter den Kandidaten. Sollte bei einer Stichwahl im dritten Wahlgang zwischen den beiden zuvor bestplatzierten Kandidaten keine einfache Mehrheit möglich sein, entscheidet das Los. So unwahrscheinlich eine derartige Entwicklung auch sein mag, sie zeigt, dass das Parlament alle nur erdenklichen Vorbereitungen trifft, um so klar und so schnell wie möglich arbeitsfähig zu werden.

Sobald der gewählte Kandidat seine Wahl angenommen hat, hat der Alterspräsident seine Übergangsrolle erfüllt und kann die Sitzungsleitung an den neuen Präsidenten übergeben. Dieser lässt dann einzeln über seine Stellvertreter abstimmen, die zusammen mit ihm das Bundestagspräsidium (7) bilden.

(7) Bundestagspräsidium
Das Präsidium besteht aus dem Präsidenten und seinen Stellvertretern. Es wird zu Beginn der Legislaturperiode für die gesamte Dauer gewählt. Dadurch sind die Mitglieder besonders herausgehoben, sie können also nicht abgesetzt oder abberufen werden. Das sichert ihnen einen Schutz gegen parteilich gemeinte Angriffe und ermöglicht ihnen eine besondere Neutralität in der Leitung der Sitzungen. Das Präsidium tritt regelmäßig in jeder Sitzungswoche zusammen und berät Angelegenheiten, die die Leitung des Hauses betreffen. Es wirkt unter anderem auch bei Personalangelegenheiten der höheren Mitarbeiter in der Bundestagsverwaltung mit und behandelt den Abschluss wichtiger Verträge. Zu den Beratungspunkten gehört immer wieder auch die Öffentlichkeitsarbeit des Parlamentes. Das Präsidium entscheidet per Mehrheitsbeschluss. Bei Stimmengleichheit gibt der Präsident den Ausschlag.

Die Zahl der Stellvertreter ist nicht vorgeschrieben. Es hat sich die Praxis herausgebildet, dass pro Fraktion mindestens ein Vizepräsident gewählt wird. Bei vier oder fünf Fraktionen reicht dies aus, um die Leitung der Plenarsitzungen durch den Präsidenten oder einen seiner Stellvertreter sicherstellen zu können. Es können aber auch mehr Vizepräsidenten gewählt werden ? zum Beispiel nach Proporz der Fraktionen. Wie viele Mitglieder das Präsidium haben soll, wird per Mehrheitsbeschluss festgelegt.

Das neue Bundestagspräsidium

Das neue Bundestagspräsidium: Hermann Otto Solms (FDP), Antje Vollmer (B'90/Die Grünen), Wolfgang Thierse (SPD), Susanne Kastner (SPD), Norbert Lammert (CDU/CSU).

Zu den wichtigsten Aufgaben des Bundestages gehören die Wahl des Bundeskanzlers und die Kontrolle der Bundesregierung. Da für die Wahl die absolute Mehrheit der Abgeordneten erforderlich ist (die so genannte ?Kanzlermehrheit?), werden ? sofern keine Partei allein eine absolute Mehrheit aufbringt ? die Koalitionsverhandlungen abgewartet, deren Ergebnis in der Regel zeigt, ob eine solche Mehrheit zu Stande kommt. Der Bundespräsident macht für den ersten Wahlgang einen Vorschlag, über den der Bundestag dann abstimmt, und zwar geheim. Sollte der Kandidat die ?Kanzlermehrheit? verfehlen, kommt es zu weiteren Wahlgängen, zu denen Fraktionen oder ein Viertel der Abgeordneten zusätzliche Vorschläge unterbreiten können. Die Verfassung besteht jedoch auf einem stabilen Regierungssystem, wechselnde Zufallsmehrheiten sollen ausgeschlossen sein. Deshalb braucht der Kanzler auf jeden Fall die absolute Mehrheit. Kommt sie nicht zu Stande, hat der Bundespräsident die Möglichkeit, den Bundestag aufzulösen und eine Neuwahl zu verfügen.

Nach seiner Wahl stellt der Bundeskanzler die Mitglieder seiner Bundesregierung vor, die vom Bundespräsidenten ernannt und vor dem Bundestag vereidigt werden. Dann weiß das Parlament, wie die Bundesregierung sich organisieren will, und kann sich seinerseits darauf einstellen. Wenn die Bundestagsausschüsse ähnliche Fachzuständigkeiten haben wie die einzelnen Bundesministerien, erleichtert dies die Übersicht und Kontrolle. Das Grundgesetz schreibt die Bestellung eines Auswärtigen Ausschusses, eines Verteidigungsausschusses, eines Europaausschusses und eines Petitionsausschusses vor. Weil das Parlament zudem das Budgetrecht inne hat, die Regierung also ohne Zustimmung des Bundestages keinen Cent ausgeben darf, ergibt sich von selbst auch die Bildung eines Haushaltsausschusses (8).

(8) Haushaltsausschuss
Die Mitglieder des Haushaltsausschusses stehen selten im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Trotzdem ist der Haushaltsausschuss der mit Abstand ?mächtigste? aller Ausschüsse. Denn politische Gestaltung hat fast immer mit Geld zu tun. Dem Haushaltsausschuss obliegt die Beratung aller Einzelposten des Bundeshaushaltes. Er empfiehlt dem Plenum zwar nur, welches Vorhaben der Regierung gefördert, welches verkleinert und welches gestoppt wird, aber die Vorentscheidung des Fachgremiums findet in aller Regel auch die Zustimmung des ganzen Hauses. Zum Zweiten obliegt es dem Haushaltsausschuss, bestimmte ?gesperrte? Haushaltstitel freizugeben oder auch nicht ? je nach Einschätzung des Haushaltsausschusses, ob die Bedingungen für die Geldausgabe erfüllt sind oder nicht. In jedem Gesetzesvorhaben, das mit Geldausgabe oder Geldeinnahme zu tun hat, hat der Haushaltsausschuss mit zu beraten. Er kann alle Signale auf Rot stellen, wenn Vorhaben aus seiner Sicht nicht zu finanzieren sind. Bestätigt das Plenum dieses Votum, kann das entsprechende Gesetzesvorhaben nicht weiter behandelt werden.

Alle anderen Ausschüsse entstehen auf Grund von Verständigungen und Absprachen zwischen den Fraktionen. Es können mal mehr ständige Ausschüsse sein (wie in der ersten Wahlperiode mit 40 Ausschüssen) oder mal weniger (wie in der sechsten Wahlperiode mit 17 Ausschüssen), sie können mal mehr Mitglieder haben (über 42 verfügten in der 14. Wahlperiode etwa der für die drei Bereiche Verkehr, Bauen und Wohnen zuständige Fachausschuss und der Haushaltsausschuss), mal weniger (mit 15 Abgeordneten arbeitete u.a. der Tourismusausschuss).

Immer aber muss die Zusammensetzung im Ausschuss den Kräfteverhältnissen im Plenum entsprechen. Denn das Spiegelbild des Bundestages darf dort, wo die tatsächliche Facharbeit geleistet wird, nicht verzerrt sein. Man könnte es sich einfach machen und schlicht einen prozentualen Anteil an den Fraktionen bestimmen. Wenn also 251 SPD-Abgeordnete, 248 CDU/CSU-Abgeordnete, 55 Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und 47 FDP-Abgeordnete einen Ausschuss von 30 Mitgliedern beschicken wollen, dann sind das rund fünf Prozent des gesamten Hauses. Also ergäben fünf Prozent von den einzelnen Fraktionen 12,55 Abgeordnete der SPD, 12,4 Abgeordnete der Union, 2,75 Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und 2,35 Abgeordnete der FDP. Und damit liegt das Problem auf der Hand: Was ist ein 0,55-Abgeordneter? Und soll man nach den Regeln der Buchführung mal aufrunden und mal abrunden? Damit käme man in diesem Beispiel bei einer Verteilung 13-12-3-2 mit den gewünschten 30 Mitgliedern aus. Aber in anderen Fällen geht es schief.

Der Haushaltsausschuss in der 14. Wahlperiode

Der Haushaltsausschuss in der 14. Wahlperiode.

Also gehört ein verbindliches, verlässliches und gerechtes Berechnungsverfahren bei der Proporz-Berechnung dazu. In den ersten Jahrzehnten des Bundestages bediente sich das Parlament des so genannten d?Hondtschen Höchstzahlverfahrens. Allerdings begünstigte diese Berechnungsmethode größere Parteien bei der Umrechnung des Wahlergebnisses auf Abgeordnetensitze und größere Fraktionen bei der Berechnung ihres Anspruches auf Ausschusssitze. Inzwischen ist das ?Verfahren der mathematischen Proportion? verbindlich und von dem Verfahren nach Sainte Laguë/Schepers (9) weiter verfeinert worden.

(9) Sainte Laguë/Schepers
Um die Benachteiligung kleinerer Parteien bei der Berechnung ihres Anteiles zum Beispiel an Ausschusssitzen zu vermeiden, schlug der deutsche Physiker und damalige Leiter der Gruppe Datenverarbeitung in der Bundestagsverwaltung, Hans Schepers (*1928), eine Modifizierung des zunächst geltenden d?Hondtschen Auszählverfahrens vor. Seine so genannte Divisionsmethode ähnelt der 1912 von dem französischen Mathematiker Jean-André Sainte Laguë (1882?1959) vorgeschlagenen Höchstzahlendarstellung.

Das Prinzip ist schnell erklärt: Es werden so genannte Rangmaßzahlen ermittelt, indem die Mitgliederzahl der Bundestages durch die Mitgliederzahl jeder Fraktion oder Gruppe geteilt und fortlaufend mit 0,5, 1,5, 2,5, 3,5, 4,5 usw. multipliziert wird.

Daraus ergibt sich bei 603 Bundestagsabgeordneten folgende Berechnung, beispielsweise für die Ansprüche von 251 SPD-Abgeordneten: 603 : 251 = 2,402; 2,402 x 0,5 = 1,201. Das ist die erste Rangmaßzahl. Die weiteren Rangmaßzahlen durch das Multiplizieren mit 1,5, 2,5, 3,5 und so weiter sind: 3,603, dann 6,005, dann 8,408. Die vollständigen Rangmaßzahlen haben natürlich sämtliche Stellen hinter dem Komma, damit Unterschiede auch bei sehr knappen Größenverhältnissen noch sichtbar werden. Vergleicht man die Rangmaßzahlen der SPD nun mit der anderer Fraktionen, ergibt sich folgende Tabelle:

Tabelle

Aus dieser Tabelle lässt sich nun mit Leichtigkeit eine Rangfolge ableiten, indem immer die nächstniedrige Rangmaßzahl als Erstes ?zieht?. Wäre also ein Gremium mit nur einem Mitglied zu beschicken, käme nur die SPD zum Zuge. Sind es zwei Mitglieder, kann je eines von der SPD und eines von der CDU gestellt werden, sind es drei Mitglieder, kommen zwei von der SPD und eines von der Union in Frage. So geht es weiter, solange es die Größe der Gremien erfordert.

Diese Liste ist die wichtigste Arbeitsgrundlage für den Ältestenrat, der Woche für Woche die parlamentarische Alltagsarbeit verbindlich organisiert. Im Ältestenrat (10) verständigen sich die Fraktionen zudem darauf, welche Fraktion in welchem Ausschuss den Vorsitz (und in einem folgenden Durchlauf auch den Vizevorsitz) stellt.

(10) Ältestenrat
Der Ältestenrat ist das zentrale Lenkungs- und Koordinationsgremium des Bundestages und unterstützt in dieser Eigenschaft den Bundestagspräsidenten bei der Führung der Geschäfte. Der Bundestagspräsident ist zugleich Vorsitzender des Ältestenrates und leitet dessen Sitzungen. Auch seine Stellvertreter gehören dem Ältestenrat an. Weitere Mitglieder entsenden die Fraktionen im Verhältnis ihrer Stärke. Sie achten darauf, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer, die in ihren Treffen die Plenarsitzungen bereits im Detail besprechen, ebenfalls im Ältestenrat sitzen und weitere Empfehlungen zur Festlegung der Tagesordnung und der Redezeiten geben können. Weil die jeweils anstehende Thematik im Bundestag auch von der Arbeit der Bundesregierung beeinflusst wird, nimmt ein Vertreter der Bundesregierung an den Sitzungen des Ältestenrates teil. Neben der einvernehmlichen Besetzung der Vorsitze und stellvertretenden Vorsitze in den einzelnen Ausschüssen zu Beginn einer Wahlperiode kommt dem Ältestenrat immer wieder eine Rolle als Schlichtungsinstrument zu.

Nicht zuletzt entscheidet der Ältestenrat über die inneren Angelegenheiten des Bundestages, soweit sie nicht dem Präsidenten vorbehalten sind. Zum Beispiel stellt der Ältestenrat den Haushaltsplan für den Bundestag auf, von dem der Haushaltsausschuss nur im Benehmen mit dem Ältestenrat abweichen kann.

Den Ausschussvorsitz bestimmt nämlich nicht das jeweilige Fachgremium selbst, sondern er wird nach einem so genannten ?Zugriffsverfahren? an die Fraktionen vergeben. Maßgeblich ist auch hier die Reihenfolge der einmal ermittelten Rangmaßzahlen.

Das bedeutet, dass zunächst die SPD einen Ausschuss angeben kann, in dem sie den Vorsitz übernehmen will. Danach ist die Union an der Reihe. Den dritten Ausschussvorsitz (11) bestimmt wiederum die SPD, erneut gefolgt von der Union, woraufhin Bündnis 90/Die Grünen an siebter Stelle zum ersten Mal Anspruch auf einen der übrig gebliebenen Ausschussvorsitze erheben kann, woraufhin wieder je einmal die SPD und die Union an der Reihe sind, bevor erstmals auch die FDP zum Zuge kommt.

(11) Ausschussvorsitz
Die Sitzungen der Ausschüsse als ?vorbereitende Beschlussorgane des Bundestages? werden von ihren Vorsitzenden vorbereitet, einberufen und geleitet. Gewöhnlich können die Vorsitzenden die Sitzungen nur innerhalb der Zeiten einberaumen, die der Ältestenrat dafür vorgesehen hat. Zur Einberufung sind die Vorsitzenden verpflichtet, wenn die Vertreter einer Fraktion im Ausschuss oder ein Drittel der Ausschussmitglieder dies verlangen. Eine Sitzung außerhalb der typischen Ausschusssitzungszeiten und außerhalb Berlins kann nur stattfinden, wenn der Bundestagspräsident diese auf Grund besonderer Umstände genehmigt. Der Ausschussvorsitzende beachtet bei der Aufstellung der Tagesordnung die Vorstellungen der Fraktionen. Insbesondere muss er im Auge behalten, dass sein Fachgremium alle Vorlagen, die das Plenum zur Beratung dorthin überwiesen hat, zeitnah oder innerhalb der gesetzten Frist behandelt, anderen Fachausschüssen rechtzeitig zuarbeitet oder, wenn er selbst die Federführung hat, von den mitberatenden Ausschüssen rechtzeitig Stellungnahmen erhält.

Dies geht natürlich in ständigen Verhandlungen und Absprachen vor sich, damit auch parlamentarische Gepflogenheiten zum Tragen kommen ? etwa, das die Opposition mit dem Vorsitz des Haushaltsausschusses betraut wird. Fraktionslose Abgeordnete haben das Recht, in Absprache mit dem Bundestagspräsidenten in einem Fachausschuss mitzuarbeiten. Sie können dort Reden und Anträge stellen, jedoch nicht mit abstimmen. Das geht erst wieder bei der Behandlung des jeweiligen Themas im Plenum.

Welcher Abgeordnete nun den Vorsitz in dem ?gewonnenen? Ausschuss übernimmt, bestimmt die jeweilige Fraktion in eigener Verantwortung. Auch die Bestimmung der Mitglieder (und gleich vieler Stellvertreter, die an den Sitzungen ebenfalls teilnehmen können) liegt in der Hand der Fraktion. Dafür haben die Abgeordneten unmittelbar nach ihrer Wahl bereits ihre Wünsche angemeldet. Nicht immer gelingt auf Anhieb jede angestrebte Mitgliedschaft. Aber es gibt noch eine Reihe weiterer Möglichkeiten für Mitglieder des Bundestages, in dem von ihnen angestrebten Politikfeld mitzuwirken. So bilden die Ausschüsse nach ihrer Konstituierung auch immer wieder Unterausschüsse, in denen Spezialthemen noch intensiver beratens werden können. Hier können auch Abgeordnete Mitglied werden, die diesem Gremium nicht angehören.

Tabelle

Die Bundestagsverwaltung berechnet nach jeder Wahl nicht nur eine lange Liste mit den Rangmaßzahlen, sondern auch schon eine Aufstellung, wie sich nach diesen Rangmaßzahlen die Zusammenstellung der verschiedenen Gremien ergibt. Hier ein kleiner Auszug auf der Grundlage der Abgeordneten im 15. Deutschen Bundestag.

Schließlich organisiert sich wiederum jede Fraktion spiegelbildlich zu der Arbeit in den Fachausschüssen. Sie ist dabei völlig frei. Manchmal werden fraktionsinterne Arbeitsgruppen gebildet, die ganze Ausschüsse betreuen und ihre Arbeit in übergreifenden Arbeitskreisen wieder koordinieren (also etwa Arbeitsgruppen für Entwicklungshilfe, für Außenpolitik, für Verteidigung, die ihre Beratungen in einem Arbeitskreis für Außen- und Sicherheitspolitik bündeln), häufig kümmern sich Arbeitsgemeinschaften um einzelne politische Projekte. Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie die Meinungsbildung der Fraktion zu bestimmten Vorhaben vorbereiten, zu einem Gutteil auch vorbestimmen, da ihre Empfehlungen in der Regel von der Gesamtfraktion ?durchgewunken? werden.

Lediglich in politisch besonders brisanten oder umstrittenen Themenfeldern kommt es zu Diskussionen in der Gesamtfraktion. Wichtigen Einfluss haben dabei die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, die sich die Vielzahl der Politikbereiche untereinander aufteilen und die Meinungsbildung in ihren Zuständigkeiten besonders im Auge haben, und die Obleute (12), die von den Fraktionen eingesetzt sind, sich besonders intensiv um die Einstellung der Fraktion in den einzelnen Ausschüssen zu kümmern.

(12) Obleute
Der Begriff der Obleute, also Obmänner und Obfrauen, stammt von den ?Obermännern? ab, die früher mit zusätzlichen Aufsichts- oder Leitungsfunktionen beauftragt waren oder besondere Verwaltungsaufgaben etwa bei säkularisierten Klostergütern hatten. Im Bundestag sind die Obleute diejenigen Abgeordneten, die in den einzelnen Ausschüssen die Hauptansprechpartner der Fraktionsführungen sind und umgekehrt den Kurs der Fraktion bei den im Ausschuss behandelten Themen entscheidend mitbestimmen. Mitunter kommen festgefahrene Vorhaben dann wieder voran, wenn sich die Obleute aller Fraktionen in einem Ausschuss zusammensetzen und gemeinsam nach Auswegen suchen. Einen guten Überblick über den Stand aller parlamentarischen Arbeiten gewinnen die Fraktionen regelmäßig, wenn sie ihre Obleute über deren Ausschüsse referieren lassen.

Eine Vielzahl wichtiger Gremien ist auch außerhalb der ständigen Ausschüsse und der Fraktionen neu zu bilden oder mit neuem Personal auszustatten. Dazu gehört zum Beispiel der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat, der aus einer gleichen Anzahl von Vertretern beider Kammern zusammengesetzt ist, dazu gehört auch das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste, dazu gehören im Laufe der Wahlperiode auch Enquete-Kommissionen, die über die Tagespolitik hinausblicken und weitblickende Analysen liefern und deswegen je zur Hälfte aus Abgeordneten und Sachverständigen bestehen.

Repräsentanz und Kontrolle sind also die Schlüsselwörter für den Aufbau aller Gremien im und um den Bundestag. Das Wahlergebnis spiegelt sich im Kräfteverhältnis im Plenum wider, und dieses sich wiederum in den Fachgremien. Aber auch die Arbeit der Regierung findet in der Organisation der Fachausschüsse des Bundestages und der Vorbereitungen in den Fraktionen seinen Gegenpart.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2002/bp0209/0211006b
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