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März 2/2003
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„Ich will gerade stehen können“

Friedrich Ostendorff
Friedrich Ostendorff.

Der Abgeordnete Friedrich Ostendorff von B’90/Die Grünen liebt eine klare Ansprache und entscheidet sich möglichst für den direkten Weg. So kommt man zu Ergebnissen, wenn es auch nicht einfach ist.

Friedrich Ostendorff mit zwei F, da lege ich Wert drauf“, sagt der Abgeordnete Ostendorff und lächelt breit. „Ich bin ein Westfale. Im Ostflügel des Jakob-Kaiser-Hauses untergebracht. Und ein Bauer. Da lege ich auch Wert drauf.“

Das alles steht etwas unvermittelt im Raum an diesem frühen Dienstagmorgen. Vielleicht macht er ja Spaß, der Abgeordnete, und testet, ob der Besucherin die Vorstellung gefällt, einen Bauern einen Tag lang im Bundestag zu begleiten. Auf seiner Homepage steht Landwirt, aber das gefällt dem großen breitschultrigen Mann nicht so gut. Bauer, das ist ein Begriff mit Tradition, und schließlich ist der Hof, den Friedrich Ostendorff in Bergkamen bewirtschaftet, seit 750 Jahren in Familienbesitz. Ein ganz alteingesessener Bauer ist er also. Und ein neuer Abgeordneter. Da kann man mal gucken, ob das zusammengeht, und schaut dem 50-Jährigen einen Tag lang zu, wie er Politik macht.

Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Sitzung der Arbeitsgruppe
Ich will gerade stehen können
Sitzung der Arbeitsgruppe.

Auf jeden Fall ist er morgens um acht in seinem Büro schon sehr präsent und in bester Redelaune. Da hat er zwar noch kein Frühstück, aber immerhin einen Fußmarsch von seiner Wohnung ins Büro hinter sich. Ein kleines Frühstück wird er kurz vor dem ersten Termin im Jakob-Kaiser-Haus bekommen, von der „netten Frau mit dem Speisewagen“. Zuvor aber ist erst einmal die Möglichkeit da, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein paar Fragen zu klären, schnell auf E-Mails und in die Post zu gucken und der Presse etwas von sich zu erzählen.

Dabei legt der Abgeordnete Ostendorff ein Sprechtempo an den Tag, als befürchte er, ihm könne die Zeit weglaufen. Punkt und Komma gehen auf die Art und Weise hin und wieder verloren, aber der Weg vom Besitzer eines Hofes mit ökologischem Landbau und artgerechter Tierhaltung zum Bundestagsabgeordneten bekommt durch die Geschichten eine Logik.

Friedrich Ostendorff ist ein Ur-Grüner, seit vielen Jahren Mitglied des Kreistages im Landkreis Unna, wo er lange Zeit Fraktionsvorsitzender war. Er versteht was von regionaler Entwicklung und Arbeitsmarktpolitik, von den Problemen ländlicher Regionen und der Landwirtschaft, und er redet über Dinge immer mit dem Blick auf die Menschen, die mit dieser Politik leben und arbeiten müssen. Einer wie Ostendorff stellt theoretische Überlegungen sofort auf den Prüfstand der Praxis.

Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Sitzung des Arbeitskreises in einer Rotunde des Paul-Löbe-Hauses
Ich will gerade stehen können
Sitzung des Arbeitskreises in einer Rotunde des Paul-Löbe-Hauses.

Um 8.25 Uhr ist erst ein Bruchteil all dessen erzählt, was er erklären möchte, doch es bleiben nur noch fünf Minuten bis zum ersten Termin. Im Raum 6501 des Jakob-Kaiser-Hauses tagt die AG VEL der Fraktion, benannt nach dem Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Wie in jeder Sitzungswoche geht es um die Vorbereitung der Ausschusssitzung und der Plenardebatten. Friedrich Ostendorff, der zuvor im Büro noch Geschichte an Geschichte reihte, stellt Fragen, macht Vorschläge, sagt seine Meinung. Kurz und knapp sind die Redebeiträge, immer dicht am Thema. Für Geschichten ist die Zeit zu knapp und sind die Probleme zu drängend.

Es folgt ein rekordverdächtiger Spurt ins Paul-Löbe-Haus zur nächsten Beratung. Im Raum E 600 tagt der Arbeitskreis, dessen vollständiger Name ein überbordendes Themenspektrum assoziiert: Umwelt und Energie, Bauen und Verkehr, Verbraucherschutz und Agrar, Forschung und Technologie, Tourismus und Sport.

13 Abgeordnete gehören dem Arbeitskreis an. Punkt zehn sitzen sie um einen runden Tisch und beginnen. Manchmal werden die sperrigen Begriffe, formelhaften Beschreibungen, trockenen Benennungen aufgelöst, wenn jemand erzählt, wie es sein wird in der Praxis mit all dem, was man hier diskutiert. Da geht es beispielsweise um die Kürzung von Zuschüssen für Unfallversicherungen.

Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Koordinierungsgruppe der Koalitionsfraktionen
Ich will gerade stehen können
Koordinierungsgruppe der Koalitionsfraktionen.

Friedrich Ostendorff erklärt, was dies für Arbeitgeber in der Landwirtschaft bedeuten wird, aber auch für alle anderen kleineren Betriebe, in denen mit jedem Cent gerechnet wird. „Die Bedingungen für diese Betriebe werden sich verschlechtern, das muss man klar sagen und man muss auch erklären, was mit gestalterischem Kürzen gemeint ist.“

Auf dem Weg zum nächsten Termin, der wieder fast im Laufschritt genommen wird, zieht Friedrich Ostendorff dann auch ein kurzes und ehrliches Resümee. „Wir müssen alles, was wir hier in diesen Runden bereden und beschließen, kommunizieren. Ich bin viel unterwegs, gehe zu den Veranstaltungen der Landwirte. Da will ich gerade stehen können für das, was wir hier machen.“ Und so wird denn auch alles von verschiedensten Leuten und allen Seiten beredet, entwickelt, verworfen, neu gedacht.

Um 13.08 Uhr beispielsweise geht das, was am Vormittag beraten, bedacht, beschlossen wurde, in die Koordinierungsgruppe. Sieben Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD sitzen da zusammen und sprechen über gemeinsame Anträge, Initiativen und Vorgehensweisen. Die Dinge fügen sich und manches, was morgens noch als Frage im Raum stand, bekommt Konturen und wird beschlussfähig.

Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Interview auf der Fraktionsebene
Ich will gerade stehen können
Interview auf der Fraktionsebene.

Um 14.10 Uhr ist Zeit für einen kurzen Zwischenstopp im Büro. Post, Terminabsprachen, einen Kaffee, wo sind die Unterlagen für die Fraktionssitzung, weg ist er, der Abgeordnete. Die Fraktionssitzung wird so lange dauern, wie sie dauern muss, aber am Abend, so viel steht fest, will Friedrich Ostendorff in die Tschechische Botschaft.

Und das schafft er auch. Kurz nach 18 Uhr steigt er im Entree der Botschaft die Treppen zum Saal hoch, etwas außer Atem und etwas müde um die Augen, aber neugierig auf diesen Abend, der sich um das Thema Umwelt- und Naturschutz im EU-Erweiterungsgebiet drehen wird. Und er freut sich auf die Begegnung mit einem alten Bekannten, Milan Horacek, einem Mann, der während des Prager Frühlings aus der Tschechoslowakei in die Bundesrepublik emigrierte, ein Ökologe der ersten Stunde, ein Grüner im Herzen und mit viel Verstand. Mit Horacek zusammen hat Friedrich Ostendorff einmal von der Besuchertribüne des Bundestages aus gegen die Milchquotenregelung protestiert. Mit einem Transparent.

Natürlich durfte man damals wie heute nicht so einfach mit einem Transparent in den Bundestag einlaufen. Also gab es eine Verwarnung, verbunden mit einem Hausverbot, wie es die Hausordnung des Bundestages vorschrieb. Und es gab den Satz: „Sie können nur noch als Abgeordneter wiederkommen.“ Daran hat sich Friedrich Ostendorff gehalten. Das erzählt er, bevor er wieder im Vortragssaal verschwindet.

Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Friedrich Ostendorff Podiumsdiskussion in der Tschechischen Botschaft
Ich will gerade stehen können
Podiumsdiskussion in der Tschechischen Botschaft.

Später wird er noch einmal ins Büro gehen. Für Donnerstag muss eine Rede vorbereitet werden. Zum Schweinehaltungserlass in NRW und dem entsprechenden EU-Erlass.

Auch zu diesem sperrigen Begriff noch eine kleine Geschichte: Zum EU-Erlass habe die Umweltministerin der Grünen in NRW, Bärbel Höhn, mal gesagt, dass dieser ihr erlaube, drei Schweine in ihrem Bett zu halten. Von der vorgeschriebenen Fläche her betrachtet. Das sei ihr zu wenig Platz für die Schweine, zwei seien genug, habe die Ministerin gesagt, und jeder hat’s verstanden.

Nun verschwindet er wirklich, der Abgeordnete und westfälische Bauer Ostendorff. Wenn er Glück hat, ist er vor Mitternacht zu Hause. Dann wird sich wieder bewahrheiten, was er morgens im Büro geradezu poetisch gesagt hat: „In Berlin bin ich ein Wanderer in der Nacht.“ Netter kann man lange Arbeitstage gar nicht umschreiben.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2003/bp0302/0302014a
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