Das Parlament mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005
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"Die Regelungswut muss sofort beendet werden"

Interview mit Gerd Landsberg, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes

Das Parlament:

Wie schätzen Sie die Situation der Städte und Gemeinden ein?

Gerd Landsberg: Die Kommunen befinden sich in der schwersten Finanzkrise seit dem Bestehen der Bundesrepublik. Der im letzten Jahr erfolgte und von der Bundesregierung in den Medien immer wieder thematisierte Anstieg bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer hat den Kommunen nur partielle Mehreinnahmen gebracht. Dies betraf lediglich eine Einnahmeart und reichte bei weitem nicht aus.

Wir gehen davon aus, dass dies auch in diesem Jahr so sein wird, da wir weiterhin mit einer rückläufigen Entwicklung bei anderen Einnahmearten wie dem gemeindlichen Anteil an der Einkommensteuer rechnen. Hinzu kommt ein Anstieg bei den Ausgaben für Pflichtaufgaben wie den sozialen Leistungen. Dies zeigt: Die Absenkung der Gewerbesteuerumlage ist zwar ein richtiger Schritt, aber sie allein löst weder in diesem Jahr, noch in den künftigen Jahren die strukturellen Probleme in der finanziellen Ausstattung der kommunalen Haushalte.

Das Parlament:

Wie haben sich die kommunalen Finanzen konkret entwickelt?

Gerd Landsberg: Im Jahr 2004 wird nach den bisher vorliegenden Ergebnissen mit einem Defizit in den kommunalen Haushalten zwischen acht und neun Milliarden Euro zu rechnen sein, realistisch wird in etwa der Wert aus dem Jahr 2003, nämlich 8,5 Milliarden Euro sein. Zur Orientierung: Diese 8,5 Milliarden Euro waren einmal ein beispielloser Rekordwert, auf dessen Niveau wir nun verharren. Dies war nahezu eine Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2002 mit annähernd 4,7 Milliarden Euro. Im Jahr 2000 lag das Finanzierungssaldo der Kommunen noch bei Plus 1,9 Milliarden Euro. Das darf nicht in Vergessenheit geraten, wenn heute von angeblichen Entlastungen der Kommunen die Rede ist.

Zudem beobachten wir seit Jahren einen kontinuierlichen Anstieg der Ausgaben für soziale Leistungen. Eine der Ursachen hierfür möchte ich am Beispiel Grundsicherung erläutern: Diese grundsätzlich zu begrüßende Verbesserung für Menschen mit keinen oder nur geringen Ansprüchen auf Rente wurde zum 1. Januar 2003 durch Bundesgesetz eingeführt. Zur Finanzierung zieht der Bund die Kommunen heran, die aufgrund der bundesgesetzlichen Kompetenzzuweisungen keine finanzielle Erstattung vom Bund für diese Mehrbelastung bekommen. Zwar wurden die Kommunen gleichzeitig bei der Sozialhilfe entlastet, allerdings übersteigen die Belastungen durch die Grundsicherung diese Entlastungen um ein Vielfaches. Für Städte und Gemeinden hat dies ganz konkrete Auswirkungen: Im ersten Halbjahr 2004 lagen wir bei einem Ausgabenzuwachs um sieben Prozent, auf das Jahr berechnet gehen wir von circa sechs Prozent aus. Dies zeigt: Eine Begrenzung der Ausgaben der Kommunen kann nur durch einen Entlastung bei den Aufgaben erreicht werden.

Das Parlament:

Welche Vorschläge hat der Städte- und Gemeindebund für eine Begrenzung der Zuweisung von Aufgaben an die Kommunen?

Gerd Landsberg: Wir fordern im Rahmen der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, dem Bund die Möglichkeit zu nehmen, den Kommunen überhaupt Aufgaben zuzuweisen. Die kommunale Selbstverwaltung, wie sie in Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes garantiert wird, läuft teilweise ins Leere. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen haben Bund und Länder in der Vergangenheit sukzessive die kommunale Selbstverwaltung ausgehöhlt, durch eine Verschiebung der Aufgabenverteilung in der bundesstaatlichen Ordnung, die die Interessen der Kommunen nur zu selten berücksichtigte.

Andererseits ging dies einher mit einer strukturellen Verschiebung bei der Finanzausstattung der Kommunen im Verhältnis von Bund und Ländern. Im Rahmen einer Gemeindefinanzreform müssen wir den ursprünglichen Anteil der Gemeinden am Steueraufkommen deshalb wieder erreichen. Die Absenkung der Gewerbesteuerumlage, die den Kommunen im Jahr 2004 etwa 2,5 Milliarden an Entlastung verspricht, reicht bei weitem nicht aus.

Das Parlament:

Sie fordern nach wie vor eine Gemeindefinanzreform?

Gerd Landsberg: Erforderlich ist endlich ein großer Wurf, der in der Lage ist, die Inkongruenz von Aufgaben und Ausgaben nachhaltig zurückzuführen. Wir sind dabei offen für Vorschläge, die dies zu leisten im Stande sind und den Gemeinden die nötigen finanziellen Spielräume zurückgeben.

Das Parlament:

Was müsste eine Gemeindefinanzreform, die ihrer Ansicht nach ihrem Namen gerecht wird, leisten?

Gerd Landsberg: Die Kommunen können in ihrer krisenhaften Situation nur eine Reform mittragen, die ihnen mehr Einnahmen als bisher beschert, und zwar langfristig gesehen. Denn vielfach geht es erst einmal darum, die gemeindliche Finanzautonomie wieder herzustellen. Wichtig erscheint mir außerdem, dass es keine Verwerfungen zwischen einzelnen Kommunen geben darf, beziehungsweise dass diese angemessen ausgeglichen werden. Es geht hier um die Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Außerdem darf es nicht - wie bei nahezu jeder Reform - zu einer Erhöhung des Verwaltungsaufwands kommen, denn dies würde wiederum Mehrkosten zur Folge haben. Auch möchte ich betonen: Die Gewerbesteuer, deren Abschaffung zuletzt wieder vielfach gefordert wurde, muss solange erhalten bleiben, bis es eine echte Alternative dazu gibt.

Aus meinen Ausführungen zur Aushöhlung der gemeindlichen Selbstverwaltung folgt aber auch: Eine Gemeindefinanzreform kann sich nicht bloß auf die Einnahmenseite beschränken. Gemeinden brauchen größere Spielräume bei der Aufgabenwahrnehmung.

Das Parlament:

Wie könnten den Kommunen größere Handlungsspielräume verschafft werden?

Gerd Landsberg: Ohne Bürokratieabbau wird es in Deutschland keinen Aufschwung geben. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert weniger und bessere Gesetze in Deutschland. Zu viele Normen und Standards schränken die Handlungsspielräume der Städte, Gemeinden, Bürger und Wirtschaft ein und verhindern damit Innovation, Wachstum und Selbstverantwortung. Wir brauchen eine Reform der Gesetzgebung. Notwendig sind verständlichere und praxisorientierte Gesetze. Die Regelungswut muss sofort beendet werden.

In der 8. Wahlperiode des Bundestages (1976 bis 1980) wurden insgesamt 339 Gesetze verkündet, in der vergangenen Wahlperiode (1998 bis 2002) waren es bereits 546. Derzeit gelten in Deutschland rund 2.150 Bundesgesetze und rund 3.130 Rechtsverordnungen. Hinzukommen für jeden Bundesbürger mehrere hundert Landesgesetze und -verordnungen sowie kommunale Satzungen. Das geltende Recht der Europäischen Union umfasst allein 105.000 Seiten. Mit dieser Flut von Regelungen hat der Einsatz neuer Instrumente und Methoden im Gesetzgebungsverfahren nicht Schritt gehalten.

Das Parlament:

Und wie wollen Sie die Gesetzgebung verbessern?

Gerd Landsberg: Wir fordern, dass jedes Gesetzgebungsverfahren eine umfassende Gesetzesfolgenabschätzung durchlaufen muss. Die Prüfung europäischer Rechtssetzungsvorhaben ist durch eine neue Form der Normfolgenabschätzung zu erweitern. Die Bundesregierung muss feststellen, welcher Änderungsbedarf sich durch europäische Regelungen im Bundesrecht ergibt und welche Kosten für wen daraus entstehen. Soweit möglich, sind Gesetze, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften zeitlich zu befristen. Ein "Gesetzes-TÜV", das heißt die regelmäßige Prüfung der Normen auf Notwendigkeit und Praxistauglichkeit, ist einzuführen. Bei jedem Gesetzesvorhaben sollte zunächst auch geprüft werden, ob als Alternative eine freiwillige Selbstvereinbarung oder ein kooperatives Modell in Betracht kommt.

Das Parlament:

Gibt es Vorbilder für diese Forderungen und sind sie nicht unrealistisch?

Gerd Landsberg: Im Gegenteil. In Österreich wurde der so genannte Konsultationsmechanismus sogar in der Verfassung geregelt. Danach darf der Bund die anderen Ebenen (Länder oder Kommunen) nur belasten, wenn über die Kostenfolge eine einvernehmliche Regelung getroffen wurde. Aber auch ohne eine Änderung des Grundgesetzes könnte die Bundesregierung auf der Grundlage einer Selbstverpflichtung solche Verfahren sofort praktizieren. Auch die Europäische Union wird sich in dem EU-Verfassungsentwurf zu einer umfassenden Einbindung und Anhörung der repräsentativen Verbände verpflichten. Da dürfen wir in Deutschland nicht zurück stehen. Wir stehen in unserem Land alle miteinander vor schweren, aber unvermeidbaren Reformschritten. Der Bund und die Länder müssen erkennen, dass sie diesen Reformweg ohne die Kommunen nicht werden zurücklegen können.

Die Fragen stellte Bert Schulz


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.