Das Parlament mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 07 / 14.02.2005
Zur Druckversion
Ulrike Schuler

Editorial


Bessere Pflege für Kranke, mehr Zuwendung für die Älteren, mehr Hilfe für Behinderte und dazu noch jede Menge Menschen aus der Arbeitslosigkeit geholt - zu schön, um wahr zu sein? Nicht ganz. Wem beim Stichwort "Soziale Dienste" nur Sparzwänge, drohende Versorgungslücken und zunehmende Lieblosigkeit im Umgang mit Menschen einfallen, der denkt zu fantasielos.

Aus diesem Grund will diese Ausgabe nicht nur die aktuelle Situation der sozialen Dienste darstellen, ihre Qualität kritisch hinterfragen und den Vergleich mit anderen Ländern wagen, sondern auch progressive Visionen davon vorstellen, wie Arbeit im sozialen Bereich in der Zukunft gestaltet werden könnte. In den derzeitigen Debatten um grundlegende Reformen ist die Frage nach der Zukunft der sozialen Dienste nicht bloß ein Randaspekt, sondern sie offenbart gravierende gesellschaftliche Mängel genauso, wie sie erhebliche Chancen zur Lösung sozialer Probleme bietet. Die Beschäftigung mit dieser Herausforderung ist nicht nur vor dem Hintergrund einer möglichen Abschaffung der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes dringlich. Die demografische Entwicklung führt dazu, dass immer weniger jüngere immer mehr ältere Bürger über Beiträge an Kranken-, Renten-, und Pflegekassen "finanziell tragen" müssen. Zudem verursachen Stellenabbau und steigende Arbeitslosigkeit immer neue Löcher in den Sozialkassen, während gleichzeitig der Bedarf an Arbeitskräften im sozialen Bereich steigt.

Dazu kommen außenpolitische Veränderungen: Was bedeutet etwa die Freizügigkeit durch die Erweiterung der Europäischen Union für die sozialen Dienste? Ist eine verstärkte Einwanderung gar dringend geboten, um die Zukunft der sozialen Dienste zu retten? Wie sinnvoll ist der sporadische Einsatz von Fachkräften aus den osteuropäischen Ländern?

Ein Blick über die Grenzen kann neue Horizonte öffnen: In Luxemburg hat man aus der Not eine Tugend gemacht. Das OPE (Objectif Plein Emploi - zu Deutsch: Ziel Vollbeschäftigung) ermittelt zielstrebig Bedarf an Arbeitskraft im sozialen Bereich, schafft reguläre Beschäftigung und rechnet regelmäßig vor, dass das billiger ist, als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Auch unter der sozialistischen Jospin-Regierung in Frankreich gab es zumindest den Versuch, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, indem arbeitslosen Jugendlichen Stellen in sozialen Brennpunkten verschafft wurden.

In Deutschland dreht sich die Diskussion gegenwärtig eher um die so genannten Ein-Euro-Jobs und ein Mehr an freiwilligem Engagement. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt erläutert ihre Forderung nach einer neuen "Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit", und verschiedene Beispiele von Bürgerengagement werden vorgestellt. Die Beschäftigung mit ehrenamtlicher Tätigkeit führt zu der Frage, warum manche Menschen eher bereit zu Engagement sind als andere, welche psychologischen und gesellschaftlichen Bedingungen Einfühlungsvermögen in andere und darüber hinaus konkretes soziales Handeln fördern.

Muss sich gar das Verhältnis zwischen Bürger und Staat grundlegend ändern, um mehr Freiwilligenarbeit zu initiieren? Die Kommunitarismusdebatte wird noch einmal unter einem aktuellen Blickwinkel beleuchtet.

Doch scheint das freiwillige Engagement dann ein zweischneidiges Schwert zu sein, wenn der Verdacht entsteht, dass es Ersatz für notwendige Arbeitsplätze ist oder wird. Aber wie können reguläre Jobs im sozialen Bereich geschaffen werden? In mehreren Artikeln wollen wir dieser Frage nachgehen und dabei auch ganz visionär werden, wie beispielsweise im Fall von Werner H., der seinen Traum von einer neuen Arbeitsgesellschaft träumt. Das in dem Wissen, dass schließlich doch auch so mancher Traum einmal Wirklichkeit geworden ist.

Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.