Es steht in der Lobby in einem kleinen Fass aus Glas und glänzt tiefschwarz und geheimnisvoll. Nein, nicht einfach nur Öl sei das, sondern "beautiful oil" von einem "Super Giant Field" aus dem Kaspischen Meer, versichert der Mann von Chevron Texaco. Fast 13 Millionen Tonnen von der kostbaren Flüssigkeit hat sein Unternehmen 2003 aus dem Meer gepumpt. In zwei Jahren möchte der amerikanische Konzern schon die 22-Millionen-Tonnen-Grenze knacken, das wären weit über 50 Prozent der gesamten kasachischen Produktion.
Über der Lobby mit dem Fass wunderschönen Öls türmen sich zwölf Stockwerke aus Granit und verspiegeltem Glas. Oben sitzt der Operation Manager Dave Madison in seinem Büro, ein Veteran, der seit 30 Jahren auf der ganzen Welt vom Golf von Mexiko bis Indonesien nach Öl gebohrt hat. Nun schaut Dave Madison eben auf Atyrau: auf heruntergekommene Plattenbauten aus der Sowjetzeit, auf neue Hotels und protzige Verwaltungsgebäude. Um den Rand der 200.000 Einwohner großen Stadt haben sich Pipelines und Raffinerien gelegt. Atyrau boomt. Jedes Jahr ziehen mehr Menschen hierher, angelockt vom Öl und den Dollars. Die Steppe am Kaspischen Meer ist das Texas Kasachstans. Kasachische Männer tragen hier beim Geschäftemachen am liebsten Cowboystiefel.
Oben wirft Madison jetzt bunte Grafiken und steile Kurven an die Wand. Er sagt, dass sich die gigantischen Investitionen langsam auszahlen. Das Öl im Kaspischen Meer liegt tief, es ist schwer zu fördern, die Transportwege sind lang. Eine neue Pipeline führt durch Südrussland - in sicherer Entfernung zum Krisenherd Kaukasus - zum Hafen Noworossijsk am Schwarzen Meer, wo es auf Tanker verladen wird. Dafür hat das kasachische Öl eine sehr gute Qualität. Außerdem gilt Kasachstan in den Prognosen der Energieunternehmen als ruhig und sicher: Krisen wie im Nahen Osten befürchten die Manager nicht. Schließlich macht der hohe Ölpreis das Geschäft noch lohnender. Schon jetzt denkt Chevron Texaco daran, die Förderlizenzen, die erst 2033 auslaufen, zu verlängern. Viele Lagerstätten sind noch gar nicht erschlossen. Experten schätzen, dass allein das kasachische Öl den gesamten weltweiten Verbrauch für fast ein halbes Jahr decken könnte.
Segen und Fluch
Das Öl aus Atyrau ist für Kasachstan Segen und Fluch. Es hat der ehemaligen Sowjetrepublik in der jüngsten Vergangenheit eine stürmische wirtschaftliche Entwicklung geschenkt. Der Lebensstandard der knapp 15 Millionen Menschen in Kasachstan wächst. Knapp acht Millionen türkisch-muslimische Kasachen, fünf Millionen slavisch-orthodoxe Russen sowie jeweils Hunderttausende von Stalin in die Steppe verschleppte Ukrainer, Weißrussen, Deutsche und Tartaren leben friedlich in dem riesigen Land zusammen. Das gemeinsame Ziel: So schnell so viel Geld wie möglich verdienen. Das verbindende Vorbild: Der Geschäftsmann im dunklen Anzug, der von Plakaten lächelt und für Autos und Fernsehgeräte wirbt. Das kasachische Bruttoinlandsprodukt ist im vergangenen Jahr mit 9,2 Prozent schneller gewachsen als das von China. Bei solchen Zahlen bekommen Investoren feuchte Augen.
Andererseits ist das Öl Schmierstoff für die allgegenwärtige Korruption im Land. Präsident Nursultan Nasarbajew, 64, zementiert mit den sprudelnden Petrodollars seine Stellung. Seit 14 Jahren ist der ehemalige kommunistische Parteifunktionär nun schon an der Macht. Der Personenkult um den obersten Kasachen erinnert an sowjetische Heldenverehrung: Das ganze Land liebt Väterchen Nursultan.
Das Lieblingsprojekt des Alleinherrschers heißt Astana. Mitten in der Steppe entsteht seit sieben Jahren das neue Zentrum Kasachstans. Das einst verschlafene Provinznest Zelinograd wird auf Befehl des Präsidenten bis 2010 zur Millionenstadt ausgebaut: Astana bedeutet auf kasachisch schlicht Hauptstadt. Das Parlament ist schon fertig, genauso wie das riesige Ölministerium, das aussieht als sei es aus Stalins Bauklotzkasten gefallen. Am Rand der Baugruben sind auf einer kleinen Anhöhe mit Blumen die Worte "Kasachstan 2030" angepflanzt worden: Nasarbajews Agenda für ein modernes Kasachstan.
Schon jetzt sei das Land auf diesem Weg ein gutes Stück vorangekommen. Für Europa sei Kasachstan ein verlässlicher Partner in der Region, sagt Kassymschumart Tokajew. Der Außenminister bittet an den Konferenztisch in seinem alten Amtssitz im Zentrum Astanas und erklärt, warum sein Land ein professionell arbeitender Staat ist. "Der Motor unserer Entwicklung ist das Öl." Deshalb habe der Präsident auch einen nationalen Ölfonds eingerichtet, um Schwankungen beim Preis auszugleichen. Aber auch in anderen Wirtschaftszweigen gebe es Fortschritte. Präsident Nasarbajew, da will Tokajew keinen Zweifel lassen, mache Kasachstan zu einem modernen Land. Eine Einschätzung, die von der Weltbank und dem IWF geteilt wird.
Ein westlicher Diplomat in Kasachstan sieht das anders. "Der Öl-Boom deckt vieles zu, vor allem die Korruption und Armut. Tatsächlich hat Nasarbajew noch unter Breschnew gelernt, straff zu führen und hart durchzugreifen", sagt er. "Er bestimmt, wer ins Parlament und in die Regierung kommt. Die Opposition bekommt nur so lange keine Probleme, bis sie nicht gefährlich wird. Und das Fernsehen sendet nichts, was als Kritik am Präsidenten verstanden werden kann."
Entsprechend vorsichtig agieren auch die Oppositionsparteien. Sie fordern eine gerechtere Verteilung der Gelder durch das Anzapfen des nationalen Ölfonds. Offene Kritik am Präsidenten aber ist tabu. Seine Unterschrift unter das passende Dekret - und es würde in Kasachstan eine Partei weniger geben.
Dave Madison von Chevron Texaco sind solche Ergebnisse eigentlich egal. Hauptsache Kasachstan bleibt ein stabiles Land, das ist wichtig fürs Geschäft. Gerade jetzt, wo die Quellen so schön sprudeln.