Auf den Nürnberger Kriegsverbrecherprozess folgte der Ärzteprozess, in dem sich Ärzte und Beamte, die am Euthanasieprogramm des NS-Regimes mitgewirkt hatten, verantworten mussten. Einer Beobachterkommission unter Alexander Mitscherlich gehörte die junge Ärztin Alice Platen-Hallermund an. Schockiert von dem Gehörten und bald darauf von eigenen Recherchen über die Ermordungen behinderter Menschen in hessischen Kliniken schrieb sie 1948 einen aufrüttelnden Bericht über die Ermordung Geisteskranker in Deutschland. Dieser wurde wie auch der Bericht von Mitscherlich ("Wissenschaft ohne Menschlichkeit") im Nachkriegsdeutschland ignoriert.
Jetzt ist er wieder aufgelegt worden. Liest man ihn heute, spürt man unmittelbar das Entsetzen der Autorin über die Verbrechen. Ihre Schlussfolgerungen sind eindeutig und unabhängig von der Zeit aktuell: "Das Ausmaß der Tötungen in den deutschen Irrenanstalten beweist, dass es keine Grenzen gibt, wenn einmal die Vernichtung des so genannten lebensunwerten Lebens anfängt." Und: Ein Volk insgesamt drohe sich selbst zu vernichten, "wenn die Destruktionstendenzen die Oberhand gewinnen". Die couragierte Frau lebt heute, inzwischen 95 Jahre alt, in der Toscana.
Alice Platen-Hallermund
Die Tötung Geisteskranker in Deutschland.
Reprint des Originals von 1948.
Mabuse Verlag, Frankfurt/M. 2005; 141 S., 17,90 Euro