Stadtentwicklung versandet heute immer mehr zwischen Schadensbegrenzung und Resignation. Das Modell der ,europäischen Stadt' und die Vorstellungswelt des ,Flaneurs' haben inzwischen nur noch wenig gemein mit dem, was die großstädtische Wirklichkeit bestimmt. Dennoch, es gibt durchaus Ansätze, die eine Wiederbelebung oder Erneuerung der Beziehung von gelebtem Alltag und gebauter Umwelt zum Ziel haben.
Es gibt Anstöße, die ganz entschieden um eine geistig-gedankliche Vorstellung dessen ringen, was Stadt in Zeiten des technologischen und gesellschaftlichen Umbruchs sein könnte. So auch die vorliegende Dokumentation eines Symposiums, welches das Ernst-Bloch-Zenrum der Stadt Ludwigshafen mit dem zeitgeistigen Begriff "future: lab" lancierte. Weil es augenscheinlich notwendiger denn je ist, die "Stadt als Ausgangspunkt für die politische Erneuerung der Gesellschaft" - so der Herausgeber - zu begreifen, sollten hier "Zukunftsentwürfe für eine Kultur- und Bürgerregion" am Beispiel des Rhein-Neckar-Dreiecks theorie- und praxisübergreifend formuliert werden.
Identität, Strahlkraft, Partizipation und Symbol dienen dabei als Markierungen, und selbst vor dem großen Wort Utopie schreckt man nicht zurück. Auf dem Weg dorthin stellen sich Herausgeber und Autoren aber auch greifbareren Aspekten: Beispielsweise wollen sie die übliche Polarisierung von harten Faktoren - Wirtschaft, Arbeitsplätze und Verkehr - einerseits und weichen - Freizeit, Kultur, Sport und Lebensqualität - andererseits ad acta legen. Sattdessen betonen sie deren Zusammenhang, welcher überhaupt erst urbane Dynamik und Vitalität ermögliche.
Unbequeme Einsichten
Viele unbequeme Einsichten, und darin liegt der Wert des Buches, werden hier formuliert. Wer in der Liga der attraktiven Regionen mitspielen wolle, so der Ethnologe Wolfgang Kaschuba, der bedarf zunehmend der Migranten - ihrer Arbeitskraft und ihres Wissens, auch ihrer Sprachen und Mentalitäten, ihrer Musik- und Esskulturen: "Diese vorher eher ,exotischen' Elemente werden zu selbstverständlichen Bestandteilen der ,symbolischen Ökonomie' großer Städte und Regionen: zu einer kulturellen Angebotspalette, die mit dem Badischen, dem Pfälzischen oder dem Hessischen allein eben nicht weltläufig genug daherkommt."
Der Soziologe Albrecht Göschel weist beredt darauf hin, dass eine rein territoriale Bestimmung von Region zwar der Funktionsweise des Staates entspreche, aber als Bedingung bürgerschaftlichen Engagements kaum tauge. Ein regionales "Wir" lässt sich tatsächlich nur fassen und bewusst machen, wenn auch die Transformation vom fest umschlossenen Ort zu einer Überlagerung von Netzen mit unterschiedlichen Reichweiten lebensweltlich verarbeitet wird.
Herausgekommen sind konzise und erhellende Essays, die jedoch untereinander kaum einmal vertiefende Bezüge herstellen. Trotzdem stehen sie für eine neue Vernunft, die eine Skepsis gegenüber bloß räumlich definierten Leitbildern mit der Forderung nach Selbstreflexion und permanentem Gespräch "aller mit allen" verknüpft. Dass Ernst Bloch dem als Referenzfigur dient, ist naheliegend: "Die immer künstlicher werdende Stadt ist in ihrer Abgehobenheit und Landschaftsferne dermaßen kompliziert und verwundbar zugleich, dass sie von Unfällen im selben Verhältnis wachsend bedroht ist, wie sie sich auf immer mehr synthetisch hergestellten Wurzeln aufbaut." Diese im Jahr 1929 notierte Beobachtung des Philosophen steckt noch immer ein Problem- und Handlungsfeld gleichermaßen ab.
Klaus Kufeld (Hrsg.)
Wir bauen die Städte zusammen.
Die Bürgerregion als Utopie?
Verlag Karl Alber, Freiburg 2004; 180 S., 15,- Euro