Das Parlament mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 51 - 52 / 19.12.2005
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Astrid Pawassar

Ein ziemliches Knirschen im Gebälk

Meinungsverschiedenheiten in Sachsens Koalition werden deutlicher

Seit einem Jahr funktioniert die Koalitionsregierung aus CDU und SPD in Sachsen. Glanz strahlte sie bislang nicht gerade aus. Aber es gab auch keine Fehden. Die 9,8-Prozent-SPD war nach dem mühsamen Start - Georg Milbradt (CDU) hatte bei der Wahl zum Ministerpräsidenten offenbar nicht alle Stimmen aus dem Regierungslager bekommen - bemüht, Solidarität mit dem großen Regierungspartner zu zeigen. Der musste akzeptieren, dass die Konsolidierung des Landeshaushaltes so schnell, wie Milbradt dies wollte, nun nicht zu schaffen sein würde. Dafür verbogen sich die Sozialdemokraten beim ersten Prüfstein der neuen Regierung, den Entscheidungen für Schulschließungen aufgrund der rückläufigen Schülerzahlen. Der sozialdemokratische Juniorpartner musste zunächst einmal Erfahrung im Regieren sammeln. Und so präsentierte sich Sachsens neuer Wirtschaftsminister Thomas Jurk (SPD) zunächst bescheiden in der Rolle des Lehrlings, während der Ministerpräsident es sich nicht nehmen ließ, sich bei öffentlichkeitswirksamen Terminen mit Großinvestoren selbst in Szene zu setzen. Von Wissenschaftsministerin Barbara Ludwig (SPD) war lange Zeit überhaupt nichts zu hören. Im Landtag übte man sich in gegenseitigen Höflichkeiten und im Bemühen, den Provokationen seitens der NPD vereint die Stirn zu bieten. Bei ihrem gemeinsamen Fazit nach einem Jahr Koalitionsregierung übertrafen sich die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD, Fritz Hähle und Cornelius Weiss, geradezu in der Versicherung gegenseitigen Respekts.

Die Opposition im Sächsischen Landtag geriet darüber schier in Verzweiflung. Vergeblich forderte Peter Porsch für die Linksfraktion eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten über das erste Jahr der gemeinsamen Politik mit der SPD. Von "Politik im Schneckentempo" sprach die FDP im Landtag und hielt der Regierung vor, zugunsten des Koalitionsfriedens auf Politikgestaltung weitgehend zu verzichten. Notwendige Entscheidungen würden vertagt, wenn sie zwischen den Regierungspartnern umstritten seien, wesentliche Bestandteile des Koalitionsvertrages - wie kostenträchtige neue Arbeitszeitmodelle für Lehrer und eine nennenswerte Aufstockung des pädagogischen Personals an Grundschulen - nicht umgesetzt.

Als hätte die Kritik an der - von Regierungsseite nicht öffentlich aufgestellten - Jahresbilanz eine Schleuse geöffnet, fühlten sich offenbar immer mehr Sozialdemokraten ermutigt, ihr unterschwelliges Unbehagen über mangelnde Profilierungsmöglichkeiten innerhalb der Koalition nun in Worte zu kleiden. Dabei ist man peinlich darauf bedacht, die Meinungsdifferenzen nicht zu sehr hoch zu kochen. Als erster meldete sich der SPD-Fraktionsvorsitzende mit herber Kritik an einem vom CDU-Parteitag verabschiedeten Leitantrag "Deutscher Patriotismus in Europa" zu Wort. Der darin vorkommende Begriff der "historischen und kulturellen Schicksalsgemeinschaft der Nation" stieß Cornelius Weiss besonders übel auf, was die CDU als Einmischung in innerparteiliche Angelegenheiten zurückwies. An der Front war schnell Ruhe, als die CDU auf ihr Vorhaben verzichtete, einen Gesetzentwurf in den Landtag einzubringen, der das Singen der Nationalhymne in Sachsens Schulen verbindlich vorschreiben sollte. Die NPD hatte die Idee aufgegriffen und als eigenen Antrag eingebracht, weshalb sich die Christdemokraten darauf besannen, dass die Nationalhymne ohnehin schon Lehrstoff an den Grundschulen ist.

Nach diesem Geplänkel überraschte Ministerpräsident Milbradt bei einer Festrede an der Bergakademie Freiberg mit einem Vorstoß zur Reform des Hochschulgesetzes, die im kommenden Jahr ansteht. Dabei sprach er sich für weitgehende Personal- und Finanzhoheit der Hochschulen aus, die sich zu Dienstleistungsunternehmen wandeln sollten. Er plädierte gleichermaßen für Alternativen zur derzeitigen drittelparitätischen Mitbestimmung wie auch für die Einführung von Studiengebühren. Damit hatte er seine Kabinettskollegin Barbara Ludwig aus der Reserve gelockt. Sie feuerte noch am selben Tag per Presseerklärung ihr "Nein" zu Studiengebühren ab. Unterdessen ließ die hochschulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Simone Raatz, noch verlauten, sie werte die Rede des Ministerpräsidenten als Unterstützung für die Wissenschaftsministerin in dem Bemühen, Sachsens Universitäten zu modernisieren. Bei der Debatte im Landtag traten die Meinungsverschiedenheiten dann ungeschminkt zutage. Während Ludwig ihre Ablehnung von Studiengebühren bekräftigte und Raatz sie als unsozial bezeichnete, weil 40 Prozent der sächsischen Studenten auf BAföG-Gelder angewiesen seien, beklagte Milbradt mangelnde Weitsicht und Provinzialität der Debatte. Er stellte dem Koalitionspartner allerdings in Aussicht, ihm an anderer Stelle entgegenzukommen. Mehr Investitionen in die vorschulische Bildung bezeichnete er als sinnvoll. Der Entwurf für ein neues Hochschulgesetz, der ursprünglich zu Jahresbeginn vorliegen sollte, wird nun erst im Frühjahr auf den Tisch kommen.

Und auch in puncto Verwaltungsreform knirscht es offenbar im Gebälk. Sachsens neuer Innenminister, Albrecht Buttolo (CDU), verkündete gleich nach seiner Vereidigung, dass er - entgegen der einhelligen Auffassung innerhalb der SPD - für die Beibehaltung der drei Regierungspräsidien sei. Die sozialdemokratische Vorsitzende des Landtags-Innenausschusses schlug darauf hin einen Unterausschuss für die Verwaltungs- und Strukturreform vor. Bissiger Kommentar des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU-Fraktion Heinz Lehmann: Damit stelle sie ihre eigene Kompetenz in Frage.

Die ersten Nadelstiche sind gesetzt. Nach dem Weihnachtsfrieden wird sich die Regierungsgemeinschaft wider Willen fragen müssen, ob der Zeitpunkt schon reif ist für grundsätzliche Auseinandersetzungen. Hochschulgesetz und Verwaltungsreform sind die ersten echten Prüfsteine für die Frage, ob Politik in Sachsen in einer CDU/SPD-Koalition machbar ist.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.