Die zwölf vorwiegend von Geschichtsprofessoren verfassten Biografien deutscher Familien reichen von den Hohenzollern und Wittelsbachern bis zu den Krupps, Manns und Weizsäckers unserer Tage. Volker Reinhardt, der Herausgeber und Ordinarius für Geschichte der Neuzeit, führt in einem klugen Vorwort in die Thematik ein, überlässt es aber dem Leser, die höchst unterschiedlichen Familiengeschichten kritisch einzuordnen und zu hinterfragen.
Am Beispiel der Hohenzollern und Wittelsbacher wird deutlich: Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ersetzen Prüfungszeugnisse mehr und mehr das Adelsprädikat. Nur über individuelle Leistungen ist jetzt das "Entréebillet" zu den gesellschaftlichen Eliten möglich. Aber auch arrivierte bürgerliche Familien sind, ähnlich wie zuvor Fürsten und Grafen, primär an der Absicherung ihres Nachwuchses sowie an der Ausdehnung ihres Einflusses interessiert. Man baut sich Villen und Paläste, die denen des Adels in nichts nachstehen, verheiratet Töchter und Söhne mit seinesgleichen. So gelingt es den Krupps, Thurn und Taxis, Warburgs und Thyssens im Handumdrehen, sich gesellschaftlich zu etablieren und in Führungspositionen aufzurücken.
Zwielichte Karrieren
In schweren Zeiten allerdings versagten auch die bürgerlichen Eliten. So wie die Hohenzollern und Wittelsbacher unfähig waren, sich den Herausforderungen des Industrialisierungsprozesses zu stellen und die Katastrophe des Ersten Weltkriegs zu verhindern, blieb das Bürgertum ebenso überwiegend den Nachweis schuldig, Verantwortung für die Allgemeinheit zu übernehmen. Wilhelm Mommsen, Enkel von Theodor Mommsen, sah in Hitler zunächst den vaterländischen Heilsbringer, seine Vettern Ernst Wolf und Wolfgang Arthur machten nach 1933 eine steile zwielichtige Karriere. Ernst von Weizsäcker wurde Staatssekretär unter Außenminister von Ribbentrop, und Familie Krupp hatte keinerlei Skrupel, die Nazis in jeder Weise zu unterstützen und durch eine hemmungslose Waffenproduktion am Krieg zu verdienen. Widerstand wie durch James Moltke, der von Freisler in den Tod geschickt wurde, war die absolute Ausnahme.
So mancher familiäre Aufstieg im bürgerlichen Lager war einzig und allein einer einzelnen herausragenden Person zu verdanken. Die Bismarcks wären ohne den Eisernen Kanzler, die Wagners ohne Richard und die Manns ohne Thomas kaum nennenswert in Erscheinung getreten. Zum familiären Selbstverständnis zählte, dass die Nachkommen meistens den Beruf des Gründervaters wählten: Die Wagners wurden Musiker, Dirigenten oder Intendanten; die Manns führten die Schriftstellerei fort; der jüngere Helmuth von Moltke wurde oberster Heerführer im Kaiserreich und der schon erwähnte Wilhelm Mommsen anerkannter Geschichtswissenschaftler. Ausbrüche in andere Bereiche gab es dennoch. Aby Warburg zum Beispiel verzichtete auf eine glänzende Karriere als Bankdirektor und entwickelte sich zum bedeutenden Kulturwissenschaftler, ein Sohn Theodor Mommsens ergriff den Bankiersberuf, wobei Erfolge vielfach erst über das familiäre Beziehungsnetz ermöglicht wurden.
Einige Familien haben es auch in der Bundesrepublik zu großem Ansehen gebracht. Philipp von Bismarck war langjähriger CDU-Abgeordneter und Präsident des Goethe-Instituts, Klaus von Bismarck Intendant des WDR. Das Bayreuther Festspielhaus ist nach wie vor fest in Händen der Wagners. Ernst und Richard von Weizsäcker zählen gegenwärtig zu den prominentesten Bundesbürgern überhaupt.
Wirkliche Vorbilder sind die zwölf vorgestellten Familien nur bedingt. Thomas und Heinrich Mann, der eine Schöngeist, der andere Sozialist, waren sich lange spinnefeind. Zwischen August Thyssen, dem eigentlichen Firmenbegründer, und seinen Söhnen Fritz und Heinrich kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen. Nicht minder verbissen die persönlichen Anfeindungen und Ausgrenzungen unter den Enkeln und Urenkeln Richard Wagners bis heute. Aber vielleicht sind Familiengeschichten gerade deshalb so faszinierend, weil man sich in den Schwächen der Großen dankbar wieder erkennt.
Volker Reinhardt (Hrsg.)
Deutsche Familien. Historische Porträts von Bismarck bis Weizsäcker.
Verlag C. H. Beck, München 2005; 384 S., 24,90 Euro.
Thilo Castner ist freier Journalist; er lebt und arbeitet im fränkischen Kalchreuth.