Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 14 / 29.03.2004
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Hartmut Hausmann

Nur schwacher Belebungsversuch der bisherigen Wachstumsstrategie

Wirtschaftspolitik auf dem EU-Gipfel

Den Mitgliedstaaten scheint nicht klar zu sein, dass 2010 vor der Tür steht! Vier Jahre nach der in Lissabon beschlossenen Strategie für mehr Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit sei jetzt schon klar, dass die EU ihre mittelfristigen Ziele klar verfehlen werde. Diese harsche Kritik, die von Kommissionspräsident Romano Prodi in den vergangenen Monaten immer wieder erhoben wurde, hat auf dem EU-Gipfel in Brüssel zumindest zu neuen Absichtserklärungen geführt. Zum Abschluss ihres zweitägigen Treffens haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs dafür ausgesprochen, die erhoffte Phase der konjunkturellen Erholung zu nutzen, um den Reformprozess wieder zu beleben und zu beschleunigen. Für die bevorstehende Halbzeitbilanz des Lissabon-Prozesses im ersten Halbjahr soll 2005 eine hochrangige externe Expertengruppe eine Analyse erarbeitet. Die weiteren Passagen der Gipfelerklärung bringen wenig Neues und nichts Konkretes.

Daran nahm auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Pat Cox, Anstoß. Er kritisierte, dass die Aussagen des Schlusskommuniqués noch hinter denen vergangener Frühjahrsgipfel zurückblieben. Die Europäer hätten zwar anderthalb mal so viele Verbraucher wie die USA aufzuweisen, ein größeres Handelsvolumen sowie ein höheres Sozialprodukt, blickten aber weiterhin zu den Vereinigten Staaten auf, von wo die ersehnten Impulse kommen sollten. Die Regierungen hatten sich im März 2000 in Lissabon das Ziel gesetzt, die EU innerhalb von zehn Jahren zur dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaft der Welt zu entwickeln. Damals war sogar vom Ziel der Vollbeschäftigung und eines durchschnittlichen dreiprozentigen jährlichen Wachstums die Rede. Zu den offiziellen quantitativen Zielen gehört eine Steigerung der Erwerbsquote von damals zwischen 61 und 64 Prozent in der EU auf mindestens 70 Prozent. Mit dieser Quote werden alle Bürger zwischen 15 und 64 Jahren erfasst. Die Vereinigten Staaten weisen eine Beschäftigungsquote von 71 Prozent auf.

Nach dem heutigen Stand der Dinge sind die Lissabon-Ziele kaum zu erreichen. Die Beschäftigungsquote ist zwischen 1999 und 2002 zwar von 62,5 auf 64,3 Prozent gestiegen, bleibt aber voraussichtlich hinter dem Halbzeitziel von Lissabon von 67 Prozent für 2005 deutlich zurück. Die deutsche Quote lag 2002 bei 65,3 Prozent. Spitzenreiter ist Dänemark (75,9 Prozent), Schlusslicht Italien (55,5 Prozent). Die Vereinigten Staaten konnten ihre Beschäftigungsquote sogar auf 71,9 Prozent steigern. Bei der Produktivität je Arbeitnehmer hat sich der Rückstand der gesamten EU gegenüber den USA auf 20 vergrößert, und Deutschland liegt mit 95,5 Prozent noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt.

An sich können die Ursachen des wirtschaftlichen Rückstands nur von den Einzelstaaten behoben werden, weil dort weiterhin die Zuständigkeiten für die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Finanzpolitik liegen. Die EU kann flankierend über die Durchsetzung der Wettbewerbs- und Binnenmarktregeln wirken. Der gemeinsame Binnenmarkt weist jedoch vor allem hinsichtlich des elektronischen Handels und des Transports noch Wettbewerbsdefizite auf. EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein beklagte kürzlich, dass bei über 40 Prozent der geltenden Richtlinien im Zusammenhang mit dem Lissabon-Prozess die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten noch nicht abgeschlossen sei.

Nicht im Schlusskommuniqué vertreten ist die Forderung der britischen und deutschen Regierungschefs Tony Blair und Gerhard Schröder sowie von Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac, einen Super-Kommissar einzuführen, der für die Wirtschaftsreformen zuständig sein soll. Die drei Regierungen wollen auch die Eigenheiten des internationalen Wettbewerbs und der erforderlichen industriellen Entwicklung Europas stärker berücksichtigt wissen: Ein deutlicher Ruf nach einer Lockerung der Politik der Wettbewerbshüter aus Brüssel. H. H.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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