Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 20 / 10.05.2004
Zur Druckversion .
Josef-Thomas Göller

Präsident Bush hofft auf Hilfe von NATO und EU bei der Demokratisierung im Irak

Vor dem G-8-Gipfeltreffen in den USA
Sea Island heißt die kleine Insel vor der Küste des amerikanischen Südstaates Georgia, wo sich die Staatschefs der acht größten Industrienationen (G-8) vom 8. bis 10. Juni 2004 zum 30. Mal versammeln werden, um über das Schicksal der Welt zu beraten. Sea Island - das ist tiefste Provinz im Nirgendwo der USA, deshalb leicht von der Außenwelt abzuriegeln. Die seit 1998 aus aller Welt zu diesen Gipfeltreffen anreisenden Globalisierungsgegener werden diesmal buchstäblich auf Distanz gehalten. Denn ihre zunehmend gewaltsamen Großdemonstrationen forderten am Rande des Gipfels in Genua im Jahr 2001 ein Todesopfer.

Sea Island - das ist vor allem atemberaubende Naturschönheit vor der Küste Georgias, da, wo von den weitausladenden, schattenspendenden Eichenalleen malerisch "Spanisches Moos" herabhängt. Als trügen die uralten Bäume graue Bärte. Die einst dort ansässigen Indianer überlieferten den ersten Siedlern folgende Erklärung für die "Baumhaare": Ein spanischer Conquistador, den es vor 500 Jahren an die Küste verschlagen hatte, habe sich in eine Häuptlingstochter verliebt. Der Vater untersagte die Liebesbeziehung, und weil der Spanier ungehorsam blieb, band er ihn in die Wipfel einer Eiche. Dort sollte er so lange ausharren, bis er der Liebe abschwor. Der Spanier starb lieber, als seine Treue zu brechen. Sein Bart begann zu wachsen und überwucherte alle Bäume. Solange "Spanisches Moos" in den Bäumen wachse, werde seine Liebe ungebrochen sein, endet die Sage.

Die jährlichen Gipfeltreffen der "Gruppe der Acht" - USA, Deutschland, Japan, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und Russland - begannen 1975 in Frankreich mit damals sechs Teilnehmern. Kanada trat ein Jahr später bei. Newcomer ist Russland, das seit 1998 an den Beratungen teilnimmt. Der Vorsitz wechselt innerhalb der G-8 jedes Jahr. Deutschland war zuletzt 1999 Gastgeber in Köln.

Außerdem sitzt die Europäische Union gleich zwei Mal mit am Tisch: in der Person des Präsidenten der EU-Komission sowie des Vorsitzenden des Europäischen Rates, den derzeit Irland einnimmt. Außerdem finden regelmäßig auf Arbeitsebene so genannte "Scherpa-Treffen" statt; die Länderrepräsentanten werden nach tibetischen Lastenträgern Scherpas genannt.

Ziel der G-8-Gesprächsrunden ist es, sich über wesentliche länderübergreifende makro-ökonomische, außenwirtschaftliche, politische und zunehmend auch sicherheitspolitische Entwicklungen zu beraten und gemeinsame Vorgehensweisen, insbesondere auch gegenüber den Entwicklungsländern auszuhandeln. In den vergangenen Jahren schälte sich die Tendenz heraus, alle grenzübergreifenden Probleme und neue internationale Herausforderungen zu beraten: Umweltschutz und Energie, internationale Kriminalität, Terrorismus, Waffenhandel und Menschenrechte.

Im Ergebnis halten sich die Teilnehmerstaaten - durch keine formale Charta oder Abschlussverträge gebunden - nicht immer, aber doch weitgehend an die getroffenen Vereinbarungen. Diese wirken sich auch auf die Fortschreibung des Internationalen Rechts aus sowie auf internationale Institutionen.

Präsident George W. Bush, kein Freund von internationalen Organisationen, hat für dieses Gipfeltreffen im eigenen Land hochfliegende Pläne und verspricht sich sogar einen Stimmungsschub für seinen Wahlkampf, der durch die amerikanische Invasion des Irak, die eine andere Wende genommen hat, als von ihm ursprünglich erwartet, angeschlagen ist.

Diese trügerische Hoffnung hatte schon einmal ein amerikanischer Präsident. Gerald Ford, ebenfalls Republikaner wie Bush, war im Wahljahr 1976 Gastgeber des G-8-Gipfels - und verlor die Präsidentenwahl.

George W. Bush sieht dieses "Menetekel" durchaus in den tiefen Umfragewerten für seine Politik niedergeschrieben. Deshalb will er den großen Wurf. Schon bei der Planung zu diesem Gipfel hat der amerikanische Präsident seine Agenda festgeschrieben: eine großangelegte Nahost-Initiative, die von Marokko bis Pakistan reichen soll. Seit dem Terror-Anschlag am 11. September 2001 hat sich Bush nicht nur vorgenommen, den nahöstlichen Terrorismus militärisch zu bekämpfen, sondern auch die arabischen Gesellschaften, die ohne Ausnahme von autokratischen Regimen beherrscht werden, nachhaltig zu verändern. Das Endziel heißt: Demokratie und wirtschaftlicher Wohlstand in möglichst allen moslemischen Staaten in absehbarer Zeit. Der Grundgedanke für diese Initiative lautet, dass von funktionierenden Demokratien und gut ernährten Menschen keine Angriffskriege ausgehen. Es bleibt die Frage, wie diese Transformation erreicht werden kann. Die "Irak-Initiative" des Präsidenten jedenfalls ist kein Vorbild für seine hochgesteckten Pläne. Außerdem irritiert, dass er auch das Militärbündnis NATO in diese Initiative einbinden will. Was anderes kann dies heißen, als NATO-Truppen in den Irak zu entsenden? Oder, wie Thomas Friedman von der "New York Times" vor geraumer Zeit vorschlug, den Irak in die Nato aufzunehmen, dann werde aus der amerikanischen Invasion keine Besatzung, sondern Beistand für einen Bündnispartner. Solche "Ideen" bedürfen der Klärung. Dafür sind solche Gipfeltreffen da.

Bushs Vorstellung von einer Nahost-Initiative mit dem Ziel, dort politische und wirtschaftliche Reformen zu erreichen, ist nicht neu. Die Europäische Union hat im Grundsatz mit dem gleichen Ziel 1995 ihren Barcelona-Prozess in die Wege geleitet. Da der Nahe Osten und seine Randstaaten seit Jahrzehnten in politischer und wirtschaftlicher Instabilität verharren und keines der arabischen Regime die Verarmung seiner Bevölkerung bei den Wurzeln packt, sondern demagogisch ablenkend auf den Westen als Sündenbock verweist, setzten die Europäer nach Einleitung des Oslo-Abkommens zwischen Israelis und Palästinensern auf wirtschaftliche Entwicklungshilfe, um gleichzeitig politische Reformen in der gesamten Region in Gang zu bringen. Obwohl dieses Reform-Programm offiziell noch gültig ist, war und bleibt die EU in der Umsetzung zerstritten und hat im Endeffekt nichts erreicht.

Dennoch bleibt positiv festzuhalten: Die Bush-Initiative für die Transformation des Nahen Ostens fällt damit natürlich auf vorbereiteten Boden bei den Teilnehmern. Typisch Europa indes, hat der englische Ministerpräsident Tony Blair bereits eine eigene Afrika-Initiative angekündigt und schert damit noch vor dem G-8-Gipfel aus. Umso mehr sollten Frankreich und Deutschland , wo es um fundamentale, gleichgelagerte Interessen mit den USA geht, Präsident Bush Konsens signalisieren und eine möglichst konkrete Zusammenarbeit anbieten.

Nach Bekanntwerden der Bush-Initiative haben sich insbesondere die Regionalmächte Ägypten und Saudi Arabien heftig gegen westliche Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten verwahrt. Während vom ultra-konservativen saudischen Königshaus jedwede Reform grundsätzlich abgelehnt wird, behauptet der ägyptische Präsident auf Lebenszeit, Hosni Mubarak, zumindest, er führe selbst politische Reformen durch. Immerhin gab es innerhalb der Arabischen Liga seither Bestrebungen, unter den Mitgliedern eigene politische und wirtschaftliche Reformen einzuleiten. Diese sind aber nicht zu erwarten, da die 22 arabischen Liga-Staaten völlig zerstritten sind. Bleibt also der G-8-Gipfel auf Sea Island. Ob er Erfolg verspricht, wird davon abhängen, welchen Konsens die Teilnehmer herstellen können. Entscheidend wäre, dass sich die Hauptmächte Europas, Frankreich und Deutschland, mit den USA auf eine Vorgehensweise gegenüber den Nahost-Staaten einigen, die diskret ist und einen langfristigen Regime- und Gesellschaftswandel bei Anhebung des wirtschaftlichen Wohlstandes erreicht. Dafür bedarf es westlicher Investitionen. Ohne Lösung des Streits zwischen Palästinensern und Israelis sind Reformversuche in arabischen Staaten zum Scheitern verurteilt.

Deshalb muss auf dem G-8-Gipfel auch eine Strategie besprochen werden, die den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern wieder in Gang setzt. Die Europäer müssen sich dabei ganz einbringen, denn es ist offenkundig, dass die Bush-Regierung die Notwendigkeit einer Nahost-Friedensregelung nicht prioritär behandelt. Außerdem gelten die USA unter den Hauptmächten der arabischen Welt seit der Irak-Invasion zumindest als angeschlagen. Allerdings reden arabische Regierungen in der Öffentlichkeit anders, als sie im diplomatischen Hintergrund handeln.

Zudem sind auch die arabischen Staaten, allen voran Ägypten und Saudi Arabien, zur Lösung des Problems aufzufordern. Es kann nicht angehen, dass das Palästina-Problem ausschließlich vom Westen gelöst werden soll, während arabische Mächte aus der Distanz kritisieren. Hier ist vor allem diskrete Diplomatie gefordert. Grundsätzlich unterhalten alle G-8-Staaten zu beiden Seiten gute Beziehungen. Die Frage ist, wer die Führung in solchen Gesprächen übernimmt, am besten nicht die USA!

Schließlich sind auch die Russen, die mit am Tisch sitzen, in die Pflicht zu nehmen. Abgelenkt durch die amerikanischen Militäraktionen in Afghanistan und im Irak, nimmt die westliche Öffentlichkeit kaum mehr Notiz vom Tschetschenien-Krieg. Wohl aber die arabische Welt. In Tschetschenien kämpfen auf Seiten der Aufständischen Moslems aus aller Welt. Solange Putin dort auf brutale Härte setzt, solange der Westen dies scheinbar kritiklos duldet, werden moslemische Fanatiker Gründe finden, alle Reformanstrengungen zu torpedieren. Auch wenn die Europäer keine Neigung dazu haben, Präsident Bush zur Wiederwahl zu verhelfen, im Interesse des Weltfriedens und der gemeinsamen Sicherheitsbedürfnisse ist diesem G-8-Gipfel ein durchschlagender Erfolg zu wünschen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.