Allein unter Männern: Lena Strothmann ist keine Alibifrau. Und doch steht es an der Spitze des deutschen Handwerks 53:1 - gegen Lena Strothmann. Denn sie ist Deutschlands einzige Handwerkskammerpräsidentin: Die First Lady des deutschen Handwerks gewissermaßen - im doppelten Sinne. Das klingt nicht nach Quote. Das klingt nach Qualifikation, Drive und Durchsetzungskraft. Und dies hat die 51-Jährige längst unter Beweis gestellt. Denn die Damenschneiderin hat nicht nur den Meistertitel, sondern auch noch ein Mandat in der Politik: Lena Strothmann ist CDU-Bundestagsabgeordnete. Ihr Wahlkreis: Bielefeld.
Präsidentin unter lauter Präsidenten - auf dem männerdominierten Parkett des Deutschen Handwerkskammertages bewegt sich Lena Strothmann "völlig normal". Wer sie erlebt, weiß: Lena Strothmann ist unkompliziert, nett - hat Charme und kann lachen. Zudem bringt die Spitzenrepräsentantin des Handwerks in Ostwestfalen-Lippe eines aus ihrer Heimat mit nach Berlin: Bodenständigkeit. Und genau die kann sie in der Hauptstadt gut gebrauchen - sowohl beim Handwerkskammertag als auch im Bundestag. Taktisch mit der Weiblichkeit zu kokettieren, ist nicht ihr Ding. Ebenso wenig wie das andere Extrem: "Ich habe keine Ellenbogen eingesetzt und auch nicht gegen Bataillone von Männern gekämpft", sagt Strothmann. In der "Männer-Welt" des Handwerks hat sie keine Schwierigkeiten. Als Frau sei es manchmal vielleicht sogar etwas leichter gewesen, meint sie.
Mut machen
Stichwort: Frauen-Chance. Lena Strothmann macht Frauen Mut zum Handwerk: "In vielen Bereichen wird immer weniger körperlicher Einsatz gefordert. Metallbauer und Werkzeugmacher sind heute Berufe, in die junge Frauen bedenkenlos einsteigen können. Computertechnik macht's möglich. Denn hier kommt es eher aufs Programmieren und weniger auf das Schleppen schwerer Teile an. Leider ist dies bei vielen aber noch nicht angekommen."
Köpfchen kontra Muskelkraft - eine zusätzliche Chance für Frauen im Handwerk. Und doch gibt's Hemmnisse: "Viele Mädchen trauen sich einfach nicht. Und viele haben auch eine total konservative Einstellung. In Sachen Handwerk kommen sie aus dem Rollendenken nicht heraus", sagt Lena Strothmann. Etliche Handwerksberufe würden gleich als "Männer-Job" abgestempelt. Und oft fehle jungen Frauen auch das Interesse am Handwerk. So kritisiert die Kammerpräsidentin eine "breite handwerkliche Wissenslücke" in der Bevölkerung: "Der Normalbürger kann aus dem Stegreif gerade einmal zehn Handwerksberufe aufzählen. Es gibt aber mehr als 120." Dies schränke auch Frauen in ihrer Berufswahl ein.
Und doch ist für Lena Strothmann "Land in Sicht": Frauen seien in einigen Bereichen des Handwerks dabei, "goldenen Handwerksboden zu gewinnen". So sind nach Angaben der Kammerpräsidentin in den vergangenen Jahren Tischlerinnen und Malerinnen im Kommen. Und bei den Gesellprüfungen gebe es bereits jetzt deutlich mehr Augenoptikerinnen, Konditorinnen, Raumausstatterinnen und Zahntechnikerinnen. Hier hätten die Frauen die Männer längst überholt. Den Schwerpunkt würden weibliche Auszubildende eben nach wie vor auf die kreativen Berufe im Dienstleistungssektor legen. Um alles, was in den Köpfen männlich belegt sei, machten junge Frauen bei der Berufswahl einen Bogen. "Der Bildhauer ist das typische Beispiel: ein kreativer Beruf. In den Köpfen der meisten Frauen steckt aber ein Männerbild dahinter", so Lena Strothmann.
Je höher man in der Handwerkshierarchie komme, desto dünner sei der Frauenanteil. "Einer von fünf Gesellen ist heute weiblich. Aber nur jeder zehnte Meisterbrief geht an eine Frau", rechnet die Kammerpräsidentin vor. "Wenn Frauen es jedoch packen, dann sind sie häufig top." Das hat Lena Strothmann wiederholt bei den "Bestenehrungen" in Ostwestfalen-Lippe erlebt. Dort sei der Frauenanteil immer überdurchschnittlich hoch. Egal, ob für männliche oder weibliche Interessenten - die Spitzenfrau im Handwerk rührt die Werbetrommel: "Das Handwerk bietet Chancen. Dort kann man nach oben durchstarten. Man kann Karriere machen, sich selbständig machen." Jungen Menschen würde Lena Strothmann immer raten: "Geht ins Handwerk." - Die "Perspektive Handwerk" verkauft sie offensiv und glaubwürdig.
Damit gerade Frauen diesem Lockruf folgen, hat sich die Handwerkskammer in Bielefeld etwas Besonderes einfallen lassen. Gemeinsam mit der Innungskrankenkasse (IKK) Westfalen stellt sie einen "Girls-Day" auf die Beine. Eigentlich könnte dieser auch "Guck-Papa-mal-über-die-Schulter-Tag" heißen. Denn er richtet sich gezielt an den weiblichen Nachwuchs - an die "Töchter des Handwerks". Lena Strothmann und der Politik-Dezernent der IKK Westfalen, Dieter Heidenreich, haben damit Neuland betreten. Und das mit bundesweitem Vorzeigeeffekt: "Wir bringen erstmals Mädchen an die Arbeitsstellen ihrer Väter und geben damit einen wichtigen Impuls", sagt Lena Strothmann.
Handwerk rekrutiert Handwerker-Nachwuchs beim Handwerk. Und doch hat dieses Verfahren nichts vom Schmoren im eigenen Saft: Die Mädchen entdecken die Arbeitswelt des Vaters. Und sie entdecken, ob der Job des Vaters auch eine Perspektive für sie wäre. Gezielter und näher kann man weiblichen Nachwuchs wohl nicht an Männerberufe heranlocken. Für Dieter Heidenreich von der Spitze der IKK Westfalen ist dies eine "innovative Idee, bei der Handwerk und Innungskrankenkasse erfolgreich an einem Strang gezogen haben". - Zwei Partner, die sich verstehen: "Die Achse zwischen dem Handwerk und der IKK steht", sagt Heidenreich. Der IKK-Dezernent spricht von einer "mustergültigen Kooperation", die beiden Partnern helfe: "Unser Ziel ist es, junge Menschen fürs Handwerk zu begeistern und so Nachwuchs zu gewinnen." Und Lena Strothmann hat noch einen weiteren Partner im Visier: "Wir stecken viel Mühe hinein, um zu überzeugen. Um in den Köpfen von Mädchen und jungen Frauen aber etwas zu bewegen, brauchen wir auch die Unterstützung der Schulen."
Das Ziel ist klar: Mehr Wissen übers Handwerk für die Jugend. - So poliert sich das Image. Und die Attraktivität des Handwerks soll auch noch steigen: Lena Strothmann spricht sich dafür aus, über den Meistertitel das Studium zu versüßen. Der Meisterbrief soll bundesweit Türöffner für die Hochschulen werden - als "Abi-Ersatz". Vorreiter hierbei sei Niedersachsen - "und das mit Erfolg", wie Lena Strothmann betont.
Mehr noch: "Die Qualifikation, die ein Handwerksmeister mitbringt, sollte ihm im Studium anerkannt werden", sagt die Präsidentin der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe. Wer seinen Meister mache, verfüge beispielsweise über betriebswirtschaftliche Kenntnisse. Diese sollten im Studium angerechnet und nicht nochmals abverlangt werden.
Eine vierte Sprosse
Das Handwerk will so junge Menschen mit der Option auf das vereinfachte Studium für sich gewinnen. Die klassische Karriereleiter im Handwerk mit ihren drei Sprossen "Lehrling - Geselle - Meister" bekäme eine vierte hinzu: das Studium. - Das Handwerk mit integrierter Akademikerpforte. Das schafft Anreiz und ermöglicht etwas, wofür man bislang einen ganz neuen Weg gehen muss: den zweiten Bildungsweg.
Dieser Plan kostet Lobbyarbeit. Aber auch dafür gibt es ja Lena Strothmann - im Parlament. Als Bundestagsabgeordnete tritt sie für eine gute Ausbildung junger Menschen im Handwerk ein: "Wir sind ein rohstoffarmes Land und können nur mit Qualifikation dagegenhalten." Der Wegfall der Meisterpflicht für viele Handwerksberufe ist für die Kammerpräsidentin "ein herber Schlag". Zudem brennt ihr die Senkung der Lohnnebenkosten für Betriebe mit hohem Beschäftigungsanteil auf den Nägeln - und die Bürokratie, die Selbständige erledigen müssen: "Der ganze Kleinkram hält enorm auf."
Lena Strothmann weiß, wovon sie redet: Sie leitet als Geschäftsführerin gemeinsam mit ihrem Ehemann Heinrich Kleegräfe eine Maßschneiderei und ein Herrenmodehaus im ostwestfälischen Gütersloh. Der Ehemann schultert im Moment überwiegend den unternehmerischen Part - während Lena Strothmann das Ehrenamt der Handwerkskammerpräsidentin und den schon mehr als Full-Time-Job der Bundestagsabgeordneten meistert. Thomas Röhr Der Autor ist TV-Redakteur in Berlin.