Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 45 / 01.11.2004
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Helena Sabbagh

Kein richtiges Leben ohne die Hadsch

Ein Europäer in der heiligen Stadt Mekka / Von Helena Sabbagh
"Du hast nicht richtig gelebt, ehe du nicht auf Hadsch warst." Mit diesem alten Spruch endet ein Reisebericht der besonderen Art: Ilija Trojanow, bekannt durch zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema Afrika und Indien, bestieg im Januar 2003 in Bombay eine Maschine nach Dschidda. Wenige Stunden später betrat er den Boden von Mekka, wo er zusammen mit hunderttausenden Muslimen die traditionelle Pilgerfahrt - die Hadsch - aufnahm.

Was er in den folgenden drei Wochen erlebte, schildert er in diesem Buch. Der Autor sieht sich selbst als Reisenden zwischen den Welten; er gewährt dem Außenstehenden einen Einblick in die Welt des muslimischen Pilgertums, lässt ihn die traditionellen Stationen einer Hadsch miterleben und Begleiter bei der Ausführung seiner spirituellen Aufgaben werden.

Sicher wissen auch die meisten Europäer von der Tradition der Muslime, einmal im Leben nach Mekka zu pilgern, und wer hat kein Bild von der gewaltigen schwarzen Kaaba im Kopf und vom Ritus, diese mehrere Male zu umrunden? Wer sich aber darüber hinaus für die Hadsch interessiert, ist auf Berichte wie die von Trojanow angewiesen - ist doch der Besuch der heiligen Stätten des Islams nur den Muslimen gestattet.

Wer allerdings spirituelle Anleitung erwartet, liegt bei Trojanow falsch. Explizit distanziert er sich von jenem Typ Reiseerzähler, "der die Welt um seine Physis und Psyche kreisen lässt" - ein seiner Ansicht nach neueres, westliches Phänomen, das wesentlich dazu beigetragen habe, die Reiseerzählung als literarische Form zu diskreditieren.

Der Leser findet nur wenige Passagen, in denen Trojanow seine innere religiöse Welt zum Thema macht. Dennoch lässt er keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Hadsch eine ebenso faszinierende wie tief bewegende Erfahrung für den Gläubigen ist. Anschaulich wird vor allem das intensive Erleben der Umma, der Gemeinschaft der Muslime, geschildert: Wenn etwa der Millionär und der Durchschnittsverdiener die einheitliche Pilgertracht tragen und nebeneinander in Zelten übernachten. Auch der logistische Kraftakt, den das Gastgeberland Saudi-Arabien alljährlich zu bewältigen hat, erweckt bei den Pilgern, bei aller Kritik am verschwenderisch-überheblichen Lebensstil mancher Saudis, große Anerkennung und Dankbarkeit. Noch im 19. Jahrhundert waren die heiligen Orte Brutstätten für Seuchen und Krankheiten. So erfährt man, dass 1865 allein in Ägypten 60.000 Menschen starben, weil sich die geschwächten Pilger in Mekka angesteckt und die Krankheit in ihre Heimat getragen hatten. So etwas gibt es heute nicht mehr.

Neben solchen historischen Rückblicken bietet Trojanow lesenswerte Beschreibungen ritueller Abläufe und ausführliche Informationen über religiöse Hintergründe. Dabei scheut er sich nicht, auch die dunklen Seiten einer Pilgerfahrt zu schildern. Da ist einmal, trotz der vielen modernen Annehmlichkeiten, immer noch die Gefahr von Unfällen und Massenpaniken. Über die so genannte Steinigung des Teufels, ein Ritual, bei dem eine Säule mit kleinen Steinen beworfen wird, schreibt der Autor etwa: "Ich wusste nicht mehr, wo mein Körper endete und die Masse begann . . . wir waren nur noch darauf bedacht, lebendig aus dem Ritual herauszukommen."

Eingegangen wird auch auf die kleineren leisen Enttäuschungen, die zu beobachtende Überforderung der Pilger, spirituellen Idealen zu entsprechen. Das Positiv-Erhebende einer Hadsch, die - so Trojanow - eine Ahnung von einem perfekt geordneten und reinen Leben vermitteln kann, wird durch das Profane des Alltags konterkariert. So sind die heiligen Städte des Islam nicht nur Orte des Gebets und der religiösen Stärkung, sondern es wird dort auch gedrängelt, geflucht und gestohlen.

Ilija Trojanow

Zu den heiligen Quellen des Islam.

Als Pilger nach Mekka und Medina.

Piper Verlag (Malik), München 2004: 172 S., 16,90 Euro


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