Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004
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Jeff Hearn

Homosozialität oder die realen Machtverhältnisse am Arbeitsplatz

Männer und Männlichkeit in Unternehmen und Management

Während die Medien - insbesondere die Wirtschaftsmedien - jeden Tag ausführlich über schwankende Aktienkurse, wirtschaftlichen Aufschwung oder Rezessionen, Übernahmeangebote und Gegenangebote, Fusionen und Übernahmen sowie Börsengänge und Insolvenzen berichten, wird von der am nächsten liegenden Tatsache kaum Notiz genommen: Unternehmen und speziell internationale Konzerne werden von Männern dominiert. Dieses Thema taugt schwerlich für Schlagzeilen; man nimmt es als business as usual oder, etwas seriöser formuliert, als Teil einer als selbstverständlich hingenommenen Sozialstruktur zur Kenntnis.

Seit kurzem hat sich das Interesse in Forschung und Politik auf internationaler Ebene auf die Rolle von Männern und Männlichkeit als eindeutig durch ihr Geschlecht geprägte und nicht nur angeblich neutrale, nicht durch ihr Geschlecht geprägte Menschen verlagert. Diese Betrachtungsweise von Männern und Männlichkeit ist im Zusammenhang mit Unternehmen, Managern und Unternehmensführung von besonderer Bedeutung. Bei den Beziehungen unter den Geschlechtern geht es nicht nur um das Thema "Frauen", sondern auch um die Strukturen von "Männern" und deren geschlechtsspezifisches Verhalten beziehungsweise die Rolle der Männlichkeit in obersten Führungsetagen von Unternehmen.

In vielen Ländern sind der private Arbeitsmarkt und der Arbeitsmarkt im öffentlichen Sektor im Hinblick auf die Geschlechterverteilung sehr unterschiedlich ausgeprägt: Frauen sind im öffentlichen Sektor deutlich häufiger vertreten. Durch strenge Trennung zwischen Männern und Frauen entstehen oftmals zwei Arbeitsmärkte - einer für Frauen und einer für Männer. Bei der Besetzung von Managementposten - dies betrifft insbesondere Stellen in der Führungsspitze - wird zumeist auf den männlichen Sektor des Arbeitsmarkts rekurriert. Die Leitung großer Unternehmen bleibt hauptsächlich Männern vorbehalten. Dies gilt in noch stärkerem Maß für die oberste Führungsebene. Es handelt sich hier um ein durchgängiges Muster.

Bei einer Umfrage unter 62 der 100 größten Unternehmen in Finnland (Gender Divisions and Gender Policies in Top Finnish Corporations, Hanken 2002), die ich zusammen mit Prof. Anne Kovalainen und Teemu Tallberg durchgeführt habe, lag der Anteil der Männer unter den Angestellten bei fast 70 Prozent. Sie waren auf allen organisatorischen Ebenen stark vertreten (das heißt als Sachbearbeiter, im mittleren Management, in der Unternehmensleitung und als Vorstandsmitglieder). Dieser Tatsache steht die weitaus geringere und wesentlich größeren Schwankungen unterworfene Präsenz von Frauen gegenüber. Bei einem Viertel der befragten Unternehmen waren Frauen weder im Vorstand noch in der obersten Führungsebene vertreten; bei der Hälfte der Unternehmen saßen entweder im Vorstand oder in der Führungsspitze ausschließlich Männer, und in etwa 60 Prozent der Firmen bestand der Vorstand ausschließlich aus Männern. Insgesamt liegt das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Frauen und Männern in Vorständen bei 1:9. Nur in einem einzigen Unternehmen saßen gleich viele Frauen wie Männer im Vorstand; bei 95 Prozent der Unternehmen kamen auf jedes weibliche Vorstandsmitglied mindestens zwei männliche Vorstandsmitglieder. In der Führungsspitze der Unternehmen lag das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Frauen und Männern sogar bei 1:9,4. Im mittleren Management betrug der Anteil der Frauen 25 Prozent.

Einem Eurostat-Bericht zufolge waren im Jahr 2000 in den damaligen 15 EU-Staaten die Chancen für Männer, eine Position mit Führungsverantwortung in einem Unternehmen zu bekommen, doppelt so hoch wie für Frauen. Die Chancen, eine Tätigkeit an der Spitze eines Unternehmens wahrzunehmen, waren sogar drei Mal so hoch. Nur in Spanien und Irland lag der Anteil der Männer im Bereich der Unternehmensleitung bei weniger als 50 Prozent, während in Dänemark und Finnland die Zahl der Männer die der Frauen um mehr als das 2,5-fache überstieg. Lediglich in Italien, den Niederlanden und Österreich war der Anteil der Männer, die als Direktoren und Geschäftsführer tätig waren, weniger als drei Mal so hoch wie der Anteil der Frauen - in Großbritannien war er zehn Mal und in Schweden fünfzehn Mal so hoch.

Wenn man sich mit dem Problem näher befasst, tauchen viele wichtige Fragen in Bezug auf die Beziehungen der Männer zu Unternehmen bzw. zur Unternehmensführung auf. In gleicher Weise ergeben sich wichtige Fragen bezüglich der fortgesetzten numerischen Dominanz von Männern insbesondere in obersten Führungspositionen, darunter zum Beispiel die Transformation von Formen der Männlichkeit auf Managementebene von einem eher traditionellen zu einem moderneren Ansatz, die Beziehungen zwischen einer angeblich neutralen, nicht zwischen Geschlechter unterscheidenden Bürokratie und Männern bzw. Männlichkeit; Homosozialität und die Vorliebe der Männer, sich mit gleichgesinnten Geschlechtsgenossen zusammenzutun; Machtverhältnisse am Arbeitsplatz zwischen verschiedenen Hierarchieebenen und innerhalb gleicher Ebenen; das Umdenken in den Beziehungen zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretungen vor dem Hintergrund der Rolle der Männlichkeit (Zusammenarbeit und Konflikte); Handlungen und Reaktionen von Männern zum einen in männlich dominierten und zum anderen in zahlenmäßig weiblich dominierten Organisationen; Identitätsbildungsprozesse auf Managementebene; die Heranziehung männlicher Rollenbilder, Stereotypen und Symbole in der Führungsebene - diese stammen häufig aus den Bereichen Sport, Militär und Evolution, zum Beispiel das "Gesetz des Dschungels".

In meinen eigenen Forschungsprojekten habe ich die historische Entwicklung von Männern und Management, die Bedeutung von Männern und Management bei der Reproduktion patriarchalischer Strukturen und - in Zusammenarbeit mit Professor David Collinson - die Methoden untersucht, mit denen männliche Manager Frauen bei der Stellenauswahl regelmäßig diskriminieren können. Wir haben darüber hinaus analysiert, inwieweit sich männliche Manager in ihrer Rolle als arbeitende Väter häufig von ihren familiären Verpflichtungen "distanzieren" können. Innerhalb der Unternehmen werden solche "Distanzierungsstrategien" oftmals als Beleg für das Firmenengagement angesehen. Allerdings kann diese Art von Druck zu verstärkten Spannungen zwischen Männern und Frauen in Familien führen, die ihre eigenen geschlechtsspezifischen Machtverhältnisse haben. Es gibt darüber hinaus in eingeschränktem Umfang auch eine gegenläufige Entwicklung mit neuen Denkansätzen und Führungsmodellen für Männer, die aus nicht repressiven, profeministischen Management- und Führungsprinzipien bestehen.

Bei der Betrachtung der Rolle von Männern und Unternehmensführung auf internationaler Ebene ergeben sich weitere wichtige Fragen. Die stetig wachsende Bedeutung multinationaler Konzerne beruht auf deren internationalen geschäftlichen Aktivitäten, die sich nicht auf ein einzelnes Land oder einige wenige Länder beschränken. Durch Globalisierungsprozesse vergrößern sich die weltweit tätigen Konzerne und erweitern ihre Geschäftsfelder. Die Untersuchung der Beziehungsdynamik zwischen den Geschlechtern in diesen Konzernen, das heißt deren geschlechtsspezifische Strukturen, das Management und insbesondere die Konzernleitung sowie geschlechtsbedingte globale Auswirkungen, ist daher besonders wichtig.

In einem Kommentar zur globalen Situation bemerkte der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Globalisierungskritiker David Korten: "Die fünfhundert größten Industriekonzerne der Welt, die lediglich ein Fünfhundertstel von einem Prozent der Weltbevölkerung beschäftigen, kontrollieren 25 Prozent der wirtschaftlichen Produktionsleistung der Welt. Die 300 größten multinationalen Unternehmen (ohne die Geldinstitute) besitzen etwa 25 Prozent der Ertrag bringenden Aktiva der Welt. Unter den 100 größten Volkswirtschaften weltweit befinden sich heute 50 Konzerne - Banken und Geldinstitute nicht eingerechnet. Einer Untersuchung des Economist zufolge bildet das Kapital der 50 größten Geschäftsbanken und diversifizierten Finanzunternehmen der Welt zusammengenommen etwa 60 Prozent des weltweit vorhandenen Produktivkapitals." (http://www.geocities.com/RainForest/3621/KORTEN.HTM)

Die Konzentration der Marktbeherrschung schreitet schnell voran. Bei Gebrauchsgütern sowie in den Bereichen Automobilindustrie, Fluggesellschaften, Luft- und Raumfahrt, Stromversorgung, Elektrogeräte und Elektronik und Stahlindustrie kontrollieren die fünf größten Unternehmen mehr als 50 Prozent des Weltmarktes. In der Öl-, Computer- und Medienindustrie wird mehr als 40 Prozent des Absatzes von den fünf größten Unternehmen der Welt kontrolliert.

In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass diese Konzentration von Macht und Ressourcen wiederum hauptsächlich durch Männer gelenkt wird. Professor Leslie Sklair von der London School of Economics hat zusammen mit anderen Wissenschaftlern die weltweite Entwicklung der "Klasse der grenzüberschreitenden Kapitalisten" untersucht, die sich bei näherer Betrachtung praktisch nur aus Männern rekrutiert. R. W. Connell, Soziologieprofessor an der University of California in Santa Cruz, hat sich mit dem Auftreten neuer Formen der "grenzüberschreitenden Männlichkeit der Geschäftswelt" beschäftigt, die über nationale Kulturen hinaus reichen und sogar lose mit bestimmten Unternehmen verbunden sind. Diese Männer sind die eigentlichen "Männer von Welt". Dr. Cristina Reis von der Swedish School of Economics and Business Administration in Helsinki hat die Beziehung von Topmanagern zu ihren Ehegatten und ihrer privaten, häuslichen Welt untersucht und ist der Frage nachgegangen, inwieweit diese eine weitgehend unsichtbare, aber entscheidende Rolle für den Karriereerfolg des Mannes - es handelt sich praktisch ausnahmslos um Männer - spielt (Men Managers in a European Multinational Company, Rainer Hampp Verlag, 2004). Dies gilt insbesondere dann, wenn man sich die Führungsspitze in großen multinationalen Unternehmen betrachtet, deren geschäftliche Aktivitäten über nationale Grenzen hinaus reichen.

Unterschiedliche Unternehmensstrukturen schaffen unterschiedliche Möglichkeiten für Männer und Frauen. Bei eher zentralistisch organisierten multinationalen Konzernen kann sich bis zu einem gewissen Grad eine Politik der Gleichberechtigung entwickeln, zum Teil als Reaktion auf entsprechende Forderungen aus mindestens einer bestimmten Region, auch wenn diese Forderungen nicht unbedingt auf höchster Ebene deutliche Auswirkungen haben. Polyzentrische und dezentralisierte multinationale Konzerne können eher auf regionale Bedingungen reagieren und so wohl eher lockere, autonome und variable Strukturen innerhalb verschiedener geographischer oder operativer Einheiten entwickeln. Geschlechtsspezifische Beziehungen innerhalb der Führungsspitze bestimmter Organisationen könnten häufig individualisiert wahrgenommen beziehungsweise aufgebaut werden, das heißt die Managementkarriere des Mannes wird als Resultat einer Kombination individueller Entscheidungen und weniger als Resultat der Personalpolitik des Unternehmens betrachtet.

Besonderen Anlass zur Sorge bereitet die Tatsache, dass das Muster der männlichen Dominanz auf oberster Führungsebene sich auch dort zeigt, wo eigentlich eine größere relative Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt, in der Familienpolitik und vor dem Gesetz herrscht, zum Beispiel in den skandinavischen Ländern. Dies gilt insbesondere für die private Wirtschaft. In Dänemark beispielsweise haben nur etwa 10 Prozent der Frauen eine Stelle im mittleren Management. In Finnland und Schweden ist angesichts der starken Position von Frauen auf dem Arbeitsmarkt die Zahl der Frauen in Führungspositionen überraschend gering. In einer 2002 im Rahmen des European Business Survey unter kleinen und mittleren Unternehmen in 19 europäischen Ländern durchgeführten Untersuchung bezüglich der Frage, ob mindestens eine Frau in der Unternehmensleitung vertreten ist, rangierten Schweden an 14. (dort waren bei 49 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen keine Frauen im Management vertreten) und Dänemark mit 53 Prozent an 17. Stelle. Deutschland fand sich auf Platz 9 wieder: Hier waren in 47 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen keine Frauen in der Unternehmensleitung vertreten. Auf der anderen Seite gibt es Anzeichen eines allmählichen Wandels. Während in den 19 Ländern im Jahr 1996 noch in 50 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen ausschließlich Männer in der Unternehmensleitung vertreten waren, war dies im Jahr 2002 nur noch bei 44 Prozent der Fall. Der Anteil der kleinen und mittleren Unternehmen mit mindestens einer Frau in der Unternehmensleitung ist deutlich gestiegen, sodass man von einer Verschiebung des männlichen Monopols in diesen Unternehmen sprechen kann.

Letztlich führen moderne Informations- und Kommunikationstechnologien dazu, dass Unternehmen heutzutage nicht länger örtlich und zeitlich gebunden sind. Unternehmensführung ist ein Oberbegriff für verschiedene soziale Strukturen und Prozesse, darunter grenzüberschreitendes Management sowie Beziehungen, Netzwerke und Virtualität zwischen den Unternehmen. Solche Bedingungen schaffen vielfältige Möglichkeiten der Machtausübung für Männer und Manager in Unternehmen und somit viele weitere Möglichkeiten für Männer und Manager, was sich in dieser neuzeitlichen, sich globalisierenden Welt entsprechend niederschlägt. Jeff Hearn

Jeff Hearn ist Academy Fellow und Professor an der Swedish School of Economics and Business Administration in Helsinki und der University of Huddersfield (Großbritannien). Er ist Autor und Herausgeber von über 30 Büchern, darunter des Werkes "Men as Managers, Managers as Men", und zahlreicher Artikel zu Geschlechterforschung, Unternehmen, Management und anderen Themen.


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