Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004
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Oliver Tolmein

Nicht Mann, nicht Frau - oder beides

Wider die Eindeutigkeit: Hermaphroditen

Ob im Geburtsbuch, dem Personalbogen, auf Toilettentüren, im Wettkampf oder in den Umkleidekabinen: Es gibt immer nur entweder oder. Junge oder Mädchen, Frau oder Mann. Zwar haben Schwule und Lesben nach harten Auseinandersetzungen ein Lebenspartnerschaftsgesetz für gleichgeschlechtliche Ehen politisch durchsetzen können und das Bundesverfassungsgericht hat in den 1970er-Jah-ren den Weg dafür frei gemacht, dass Menschen in Deutschland das Recht haben, ihr Geschlecht zu wechseln. Am starren Dualismus der Geschlechter hat das alles nichts geändert.

Zwischen und jenseits der Kategorien Frau und Mann soll es nichts geben. Es gibt sie aber: Menschen, die bei der Geburt nicht eindeutig einem dieser beiden Geschlechter zugeordnet werden können. Eines von 2000 Neugeborenen weist nach Schätzung von Medizinern uneindeutige Geschlechtsmerkmale auf und gehört damit zu einer Gruppe von Menschen, die die meisten nur aus der griechischen Sagenwelt zu kennen glauben: Hermaphroditen. Hermaphroditen werden nicht als das anerkannt, was sie sind, als Menschen, die eigene Geschlechter haben, manche mit XY-Chromosomensatz, mit Brüsten und Hoden, andere mit Penis und ohne Vagina, aber mit einem XX-Chromosomensatz, wieder andere mit einem XXY-Chromosomensatz und ohne Hoden. Zwar schreibt das deutsche Recht nirgends vor, dass es nur zwei Geschlechter geben darf. Geschlecht wird im BGB überhaupt nicht definiert. Das war früher anders: Im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten des 18. Jahrhunderts wurde der Status von Zwittern ausdrücklich geregelt.

In juristischen Alltag der Berliner Republik aber mühen sich Gerichte, die Norm aufrechtzuerhalten, die es nach Auffassungen etlicher Biologen und Sexualmediziner nicht gibt. Plausibler nämlich als davon auszugehen, dass es nur zwei verschiedene Geschlechter gibt, erscheint ihnen von einer größeren Geschlechtervarianz auszugehen, die allerdings deutliche Häufungen an den jeweils extremen Polen aufweist. Der Streit ist keineswegs akademisch. Denn wenn nicht anerkannt wird, dass Hermaphroditen eigene Geschlechter haben, dass sie nicht krank sind, sondern anders, droht die Gefahr, dass sie weiter, wie bisher, kurz nach der Geburt einem Geschlecht, meist dem weiblichen, zugewiesen werden. Diese Zuweisung, meist auf Anraten der Ärzte von den Eltern vorgenommen und vom Standesamt durch eine "Berichtigung" des Geburtsbuches rechtswirksam gemacht, zieht oftmals schwerwiegende Operationen nach sich. Je nach biologischer Konstitution des Kindes, dessen Geschlecht nicht als eindeutig männlich oder weiblich erkennbar war, wird dann der Penis zur Klitoris verkleinert, Hoden oder Eierstöcke werden entfernt, bisweilen muss sogar eine künstliche Vagina geschaffen werden. Zudem werden häufig Hormone und andere Medikamente verabreicht. Erwachsene Hermaphroditen, von denen sich in den letzten Jahren immer mehr in Selbsthilfegruppen und politischen Gruppen zu-sammengeschlossen haben, kritisieren dieses Vorgehen vehement, weil es ihnen jede Möglichkeit nimmt, selbst zu entscheiden, in welchem Geschlecht sie leben wollen. Mit dem Geschlecht, das ihnen zugewiesen wird, kommen viele offenbar zudem nur schlecht klar. Da zu Hause oft verschwiegen wird, dass die Kinder Hermaphroditen sind, führt sie das oft zu einer jahrelangen Odyssee durch's fremdbestimmte Leben: "Ich wusste immer nur eines: Irgendwas an mir muss furchtbar falsch sein", bringt ein als Michel Reiter geborener und dann zu Birgit Reiter gemachter Hermaphrodit, der heute mit seiner eigenen Identität lebt, die Situation auf den Punkt. Manche Hermaphroditen erfahren erst im Erwachsenenalter, wenn sie den Einblick in die eigene Krankenakte erzwingen können, warum sie jahrelang behandelt wurden.

Die eigene Identität wird Reiter und anderen Zwittern offiziell allerdings auch dann nicht zugestanden: Das Amtsgericht München hat Reiters Antrag auf Berichtigung seines "berichtigten" Eintrags im Geburtsbuch abgelehnt, das Landgericht München hat eine dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Damit ist der Rechtsweg allerdings noch nicht erschöpft. Immerhin hat das Amtsgericht in seiner Entscheidung betont, dass die frühe Zuweisung eines Geschlechts durch Ärzte und Eltern, insbesondere wenn sie mit irreversiblen Operationen einhergeht, rechtlich problematisch ist. Immerhin verbietet Paragraf 631c BGB Eltern, in die Sterilisation ihres Kindes einzuwilligen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass sich die Auswirkungen von Sterilisationen bei Kindern schwer voraussagen lassen. Das trifft aber für geschlechtszuweisende operative Eingriffe, die oftmals weitaus gravierender wirken als eine Sterilisation und die auch den Genitalbereich betreffen, ebenfalls zu. In anderen Ländern, insbesondere in den USA, sind deswegen von medizinischen Fachgesellschaften Behandlungsempfehlungen für Hermaphroditen, die frühe geschlechtszuweisende Operationen vorsahen zum Teil zurückgezogen worden. Manche Sexualmediziner sprechen sich hier mittlerweile grundsätzlich gegen operative Eingriffe aus, die nicht von den Patienten selbst gewünscht werden, weil sie aufgrund bisheriger Erfahrungen mit diesen Operationen im frühen Kindesalter von deren Misserfolg ausgehen. Hermaphroditen müssen sich, so ihre Auffassung, selbst für ein Geschlecht entscheiden können. Der Verfassungsgerichtshof von Kolumbien hat in zwei Aufsehen erregenden Entscheidungen, in die us-amerikanische Anwälte und NGOs involviert waren, die Zustimmung von Eltern zu geschlechtszuweisenden Operationen bei ihren Kindern für rechtswidrig erklärt. Eine solche Zustimmung stünde allenfalls später den Kindern selber zu.

So weit ist es in Deutschland noch nicht. Aber auch hier hat die Diskussion über die Behandlung von Hermaphroditen begonnen und im Zuge der anstehenden Reform des Transsexuellengesetzes wird auch erwogen, den rechtlichen Status von Zwittern zu regeln. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Situation von Zwittern eine grundsätzliche andere ist, als die von Transsexuellen: Transsexuelle haben den Wunsch in einem eindeutigen Geschlecht zu leben, das aber ihrem biologisch vorgegebenen Geschlecht nicht entspricht. Hermaphroditen wollen in dem biologischen Geschlecht, in dem sie geboren wurden, eine eigene Identität behalten und sich gerade nicht einem anderen Geschlecht zuweisen lassen, nur weil das eindeutig ist.

Dr. Oliver Tolmein arbeitet als Journalist und Jurist in Hamburg.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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