Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004
Zur Druckversion .
Annette Rollmann

Du stehst zu denen, und die stehen zu dir

Männer finden in Männergruppen ihren Spiegel

Sie sind ratlos. Der Gedanke, sie könnten altmodisch sein, trifft sie. Aber nur kurz. "Viele sind neidisch, dass es so was wie uns kaum noch gibt", sagt einer der Männer und guckt dabei verschmitzt. Er ist Mitglied einer Männergruppe. Nicht irgendeiner. Die Männer treffen sich seit 24 Jahren, seit einem Vierteljahrhundert. Jeden zweiten Montag, reihum an einem anderen Berliner Esstisch, um dort ihr Leben zu besprechen. Sie sind verheiratet, geschieden, verliebt, verstritten, haben Kinder und Krankheiten, haben Jobs und haben Lust und Angst. Sie sind zwischen 50 und 65 Jahren alt, waren alle mal das, was ihre Generation prägte, nämlich "total links". Sie traten für einen Sozialismus ein, der anders als jener der DDR sein sollte. Von diesen Ideen haben sich die Männer längst verabschiedet und den Erfolg mitgenommen, den die Gesellschaft der Bundesrepublik ihren Talenten ermöglicht hatte: Sie sind Rechtsanwälte, Ärzte, Lehrer, Architekten. Sie gehören nicht zu denen, die es im Leben nicht gepackt haben und einem nicht erlebten Erfolg hinterher trauern. Vielleicht, so der mögliche Umkehrschluss, haben sie ihr Leben ja auch so gut bewältigt, weil sie sich treffen, Spaß haben und sich gegenseitig helfen.

"In Männergruppen", so der Berliner Psychologe Rainer Strotmann, "gehen meist nur Männer, die Erfolg und Mut haben. Die, die im Leben gelernt haben, dass Lernen etwas bewirken kann, nämlich eine Veränderung." Die Männer selbst sagen über ihre Gruppe, dass sie ihnen vor allem Halt gibt. "Die Männer sind ein Spiegel für mich. Ich weiß, ich bin ein guter Typ, aber manchmal verirre ich mich und dann bekomme ich ein Feedback", sagt einer, der früher Manager in einem großen Konzern war. "Wir haben uns in der Gruppe auch schon heftig gefetzt." Die Männer schätzen vor allem, dass sie über ihre Probleme reden können, geschützt, ohne dass irgendetwas nach außen dringt. Da geht es um alles, die Frauen, die Kinder, um Sexualität und Finanzen, den Beruf, die Wehwehchen, die Zukunft. Sie hören einander zu, müssen nicht ständig dem anderen zeigen, dass sie schneller besser und sonst irgendwie überlegen sind. Das unterscheidet sie. "Wir können Schwächen zeigen, ohne schwach zu sein", sagt einer.

Männergruppen im Jahr 2004 sind selten esote-risch angehauchte verschworene Gemeinschaften, sondern, wie diese Gruppe, eine Clique von Freunden. Aber es gibt auch Gruppen, die von Therapeuten geleitet und geführt werden. Strotmann beispielsweise bietet in Berlin zusammen mit seinem Kollegen Johannes Meyser therapeutisch begleitete Männergruppen an. Es gibt Gruppen, die sich unter bestimmten Überschriften treffen, weil ihnen beispielsweise durch eine Scheidung ihre Kinder entzogen wurden, weil sie körperlich behindert sind, weil sie als Kinder missbraucht wurden oder weil sie schwul sind. In solchen therapeutisch ausgerichteten Gruppen sind die Männer zunächst nicht miteinander befreundet, was nicht heißt, dass sich nicht mit der Zeit Bindungen entwickeln. "Viele Männer haben in Wahrheit oft keinen Freund, mit dem sie wirklich reden können. Sie sprechen über Fußball, über Autos, über Politik. Eventuell sagen sie am Ende des Abends beim Gehen, dass sie sich scheiden lassen werden. So, dass der andere praktisch nicht mehr reagieren kann", erzählt Strotmann.

Er versucht den Männern erst mal beizubringen, über Probleme, die sie haben, auch zu sprechen. Bisweilen dauert es ein halbes Jahr, bis die Männer in seinen Gruppen das erste Mal offener erzählen. Bis dahin sind sie nur schweigende Zuhörer. Strotmann, der patriarchatskritische Männerforschung betreibt und tiefenpsychologisch betreut, sagt über das innere Gefüge vieler Beziehungen: "Männer hängen an der emotionalen Tankstelle ihrer Frauen und zapfen die ständig an." Die Frauen seien mit dieser Haltung oft völlig überlastet und allein gelassen und projizierten dann ihre Wünsche auf ihre Kinder, vor allem auf die Söhne. Männer seien in dieser Kultur vor allem zum Geld verdienen erzogen worden und dürften bestimmte emotionale Spannungen besser nicht merken, damit sie "funktionieren". Strotmann: "Ein Krieger darf nicht spüren, wie es ihm geht." Gleichzeitig, so meint der Psychologe, würde genau das dazu führen, dass viele Beziehungen emotional erkalten und Männer auch als Väter keine Vorbilder wären, die Geborgenheit schenken.

Männergruppen sind nicht gerade ein Zeitgeistthema. Die Idee stammt aus einer gesellschaftlichen Epo-che, in der die Geschlechterdiskussion zum modischen Diskurs gehörte. Mit der Wende verschwand die Zeit des feministischen Aufbruchs und der Diskussionen darüber und damit auch die Hochzeit der Männergruppen. Männergruppen hatten sich seit Mitte der 70er-Jahre vor allem als Antwort auf die Frauenbewegung gegründet. Damals plakatierten sie eilfertig: "Ein ganzer Mann ist nur ein halber Mensch" und "Runter mit dem Männlichkeitswahn!"

Heute stöhnt man bei solchen Sätzen. Die Wort-wahl ist Retro, und der Inhalt, so scheint es, erst Recht. Zumal im Laufe der 90er-Jahre immer mehr Vorstellungen der Frauenbewegung und der kritischen Männerforschung von der Gesellschaft tatsächlich aufgegriffen wurden. Eine Zeit lang schienen die einst unter großer Gegenwehr und bisweilen auch barsch eingeforderten Rechte der Frauen selbstverständlicher zu werden. Frauen durften von ihren Männern einfordern, sich um Kinder zu kümmern, Windeln zu wechseln und auch mal weiche Seiten zu zeigen. Der Druck nahm ab, ständig darüber diskutieren zu müssen. Letztlich setzten sich die meisten Frauen mit ihren Wünschen nach Berufstätigkeit und Unabhängigkeit aber immer nur dann durch, wenn es nicht zu einem Interessenkonflikt mit den Männern kam. Denn dann waren und sind es den meisten Fällen die Frauen, die zu Hause bleiben, die Kinder erziehen und ihren Job aufgeben, zumindest zeitweise.

Einige Beobachter befürchten sogar, dass die Zei-ten, in denen es zur modernen Partnerschaft gehörte, dass Frauen Rechte einforderten und Männer darauf wenigstens partiell eingingen, mehr und mehr vorbei sind. In Zeiten der Wirtschafsrezession und der finanziellen Unsicherheiten besinnen sich Männer zunehmend auf ihre alten Rollenbilder. Sie wollen um jeden Preis ihren Job behalten. Spielräume werden für sie geringer, subjektiv, und tatsächlich auch objektiv. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat errechnet, dass in Deutschland die Männer bis zum Jahr 2010 den überwiegenden Teil der Beschäftigungsverluste "in der Produktion erleiden und bis zu 1,5 Millionen männliche Arbeiter ihren Job verlieren werden". Die männliche Dominanz, so die Befürchtung der Männer, wird ins Wanken geraten, wenn unsichere Jobs den lebenslangen Beruf ersetzen müssen. Den dadurch ausgelösten Krisen und dem drohenden Zerfließen der männlichen Identität versuchen viele verunsicherte Männer zu begegnen, indem sie nicht mehr nur über Macht diskutieren, sondern vielmehr über die eigene Identität. Das ist neu.

Die männlichen Rollenbilder sind unklarer denn je. Was ist ein Mann? Muss ein Mann hart sein? Und wann muss er das? Wann kann ein Mann weiche Seiten zeigen, und wie und gegenüber wem? Muss er die Familie ernähren? Trägt er die Verantwortung? "Viele Männer wissen überhaupt nicht mehr, woran sie sich orientieren sollen. Jeder muss sein eigenes männliches Rollenbild finden. Und das ist nicht immer einfach", sagt der Psychotherapeut Günter Hahn, der beim Berliner Verein mannege arbeitet und Männer bei ihren Problemen berät. Hahn: "Die Frauenbewegung hat auch dazu geführt, dass sich Männer angepasst haben. Manche haben dabei zu wenig auf sich selbst geachtet. Und nicht erforscht, was sie selbst eigentlich wollen." Auch er sagt, dass viele Männer Gefühle nicht gut zeigen können. Eine große Ausnahme in der Männerwelt ist der Fußball: "Da gibt der eine dem anderen einen Klaps auf den Po, und wenn ein Tor fällt, jubeln und umarmen sich Männer. Das ist im normalen Leben nicht üblich. Aber es ist pure Lebensfreude."

Männergruppen wurden aus einer gesellschaftli-chen Stimmung heraus gegründet, die es so nicht mehr gibt. In den 70er- und 80er-Jahren waren sie ein Antwort auf die Emanzipationsbewegung, waren in der Auseinandersetzung stark davon geprägt. Heute könnten Männergruppen von Männern in anderen Zusammenhängen neu entdeckt werden, nämlich als Gegenentwurf zum Wettbewerb, dem sich Männer täglich stellen und stellen müssen, unsicheren beruflichen Biografien, wechselnden Beziehungen, also insgesamt einem gesellschaftlichen Gefüge, das für den Einzelnen oft nicht sicherer, sondern unsicherer geworden ist. In der mannege versuchen die Mitarbeiter zunehmend auch solchen Fragen nachzugehen. Oft geht es erst mal darum, die Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. Hahn: "Respekt füreinander zu haben, das ist es, worum es in Wahrheit geht."

Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.