Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004
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Christine Kammerer

Von Puderperücken zu Schönheitsoperationen

Eine kleine Kulturgeschichte der Männermoden
Es ist einfach ungerecht: Männer mit Haarkranz werden rund fünf Jahre älter geschätzt, sie wirken spießiger und unattraktiver, so das Ergebnis einer repräsentativen Emnid-Umfrage. Das Haupthaar gilt seit alters her als Zeichen von Lebenskraft und das in allen Kulturen. Wer seinen Skalp lassen muss, ist eben nicht nur unter Indianern der Verlierer. Da lässt Mann sich einiges einfallen.

In "Luther" trägt Uwe Ochsenknecht als Papst Leo XII. eine Perücke, im wirklichen Leben hat er glücklicherweise eine Tinktur gefunden, für die er sogar Werbung macht. Silvio Berlusconi gab Order, seine lichten Stellen auf Wahlplakaten zu retuschieren, Udo Lindenberg wurde seit Jahrzehnten nicht mehr ohne Hut gesehen, und Sean Connery trug als James Bond einen Fiffi. Nur Gerhard Schröder färbt seine Haare nicht. Ein hochwirksames Haarwuchsmittel ist übrigens aus dem alten Ägypten überliefert: "Man nehme Fett von Löwen, Nilpferden, Krokodilen, Katzen, Schlangen und Steinböcken, vermische es und bestreiche damit den Kopf des Kahlköpfigen." Über das Mischungsverhältnis ist allerdings nichts bekannt, deswegen wird von Selbstversuchen abgeraten.

Wie losgelöst saß der Kopf, getrennt durch die "gran gola", die Halskrause, deren Radius mit den Jahren so zunahm, dass sie schließlich mithilfe eines Drahtge-stells gestützt werden musste, auf dem sündhaften Körper - über ihn erhaben. Einige höchst eigenwillige Kreationen spanischer Modeschöpfer zeigen, in welch enger Beziehung die jeweilige Männermode zu den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen ihrer Zeit stand. Symbol der Würde des sittlichen Spaniers und bizarrer Kontrast zum "Bragetto", der Schamkapsel, die das männliche Geschlecht bis weit ins 17. Jahrhundert hinein geradezu grotesk überbetonte. Der weltliche Erfolg spanischer Männer dagegen schlug sich in deren Hosen nieder: Diese wurden im 16. Jahrhundert mit Kleie oder Rosshaar ausgestopft, so dass die Form von zwei Kugeln entstand - die "alte" und die "neue" Welt, die beiden Erdteile, in denen die Spanier erfolgreich Fuß gefasst hatten. Und da Erfolg oft Nachahmer findet, schmückten sich bald auch englische Männer mit spanischen Beinkleidern, so dass infolge dieser Modeerscheinung die Stühle im englischen Parlament verbreitert werden mussten.

Es liegt in der Natur der Moden, dass sie ihr Ver-fallsdatum bereits in sich tragen, und schon bald wurde die spanische Vorherrschaft in Europa von der französischen abgelöst. Ludwig XIII. büßte jung an Jahren ein Gutteil seiner Haarpracht ein, doch der König wollte nicht mit bloßem Haupt regieren. Also avancierte die Perücke für den Herren zum Kleidungsstück, ohne das Mann sich am französischen Hofe hinfort nicht mehr blicken lassen konnte. Die eitle Anwandlung eines einzelnen Mannes traf den Nerv der Zeit: 48 Perückenmacher beschäftigte allein Sonnenkönig Ludwig der XIV. Weiß, himmelblau und rosa türmten sich die reichlich mit Reismehl gepuderten Ungetüme aus Büffelhaar im Rokoko auf bis zu 90 Zentimetern oder waren kunstvoll in Zöpfen und Rollen um die Häupter der Aristokraten gewunden, bis sie schließlich 1789 von der Guillotine rollten, womit auch dieser Trend vorläufig ein Ende fand. Mega-In war von Stund an die Kleidung der Revolutionäre. Sie gingen als Sansculotten in die Geschichte ein - Männer ohne Kniehose, in langen Hosen, in den Farben der Revolution gehalten, wurden zum Symbol einer ganzen Epoche.

Auf die Grande Nation folgte tonangebend das Bri-tish Empire, und für die englische Avantgarde in Sachen Mode steht vor allem ein Name: George Bryan Brummel, besser bekannt als "Beau Brummel", der erste Dandy, geboren 1778. Er war zwar nicht von aristokratischer Herkunft, fühlte sich jedoch stets oder gerade deswegen vom Lifestyle der Upper Class besonders angezogen. Seine Freundschaft mit dem damaligen Prinzen von Wales ist legendär. George IV., von Freunden liebevoll "Prinny" genannt, war das, was man einen "flashy dresser" nennt: Zu seiner ersten Rede vor dem House of Lords im Jahre 1783 erschien der damals 21-jährige Prinz mit pinkfarbenen Plateau-Schuhen, Ton in Ton abgestimmt auf das pinkfarbene Satin-Futter seines schwarzsamtenen, goldbestickten und mit Pink-Flitter übersäten Anzugs. Pro Jahr soll er allein in Kleidung 10.000 Pfund investiert haben, was ihm alsbald so hohe Schulden bescherte, dass er sich ihrer nur noch durch Heirat zu entledigen wusste.

Legenden ranken sich auch um den Stil von Brummels Kleidung, denn ganz entgegen überlieferten Gerüchten kleidete er sich so gar nicht extravagant, sondern eher nüchtern, schlicht und in gedeckten Farben. In den Kreisen um den Prinzen galt er in Fragen des Dresscodes und der Etikette als der Prophet schlechthin. Ihm ist es zu verdanken, dass sich auch am Hofe die langen Hosen anstelle der Kniehosen durchsetzten. Ein jähes Ende fand Brummels Leidenschaft aufgrund anderer, weniger zuträglicher Facetten seiner Persönlichkeit: Spielsucht und beißende Ironie. Verfolgt von Schuldnern und einem aufs Schwerste gekränkten Prinzen floh er nach Frankreich, wo er einen neuen Schuldenberg anhäufte und schließlich im Gefängnis landete. Seine Obsession im Hinblick auf Mo-den und peinliche Reinlichkeit schien er dort gänzlich abgelegt zu haben. Schlampig bekleidet und vor Schmutz starrend, wurde er kurz vor seinem Tod in ein Armenhospital für Geisteskranke eingewiesen. Seinem Ruhm als Avantgardist der Männermode hat dies keinen Abbruch getan - sein Name ist Aushängeschild eines exklusiven Mode-Labels im Herzen Sohos, New York, sein schillerndes Leben flimmerte schon 1924 als Stummfilm über die Leinwand und hat auch danach noch manchen Filmemacher inspiriert.

Beau Brummel, seiner Zeit weit voraus, steht für einen Paradigmenwechsel in der Männermode. Mit dem Siegeszug der englischen Demokratie schwand der Einfluss französischer Modevorbilder, und das gepflegte Wohlstandsbäuchlein, das man soeben noch gewichtig und bedächtig vor sich her getragen hatte, wich dem Waschbrettbauch. Das neue Schönheitsideal: Breite Schultern, muskulöse Brust, flacher Bauch, schmal in Taille und Hüften, lange Beine. Auch dafür fand der Volksmund um das Jahr 1800 eine ebenso liebevolle wie treffende Bezeichnung - das "Cornetto". Militärisch streng, vernünftig, tugendhaft, gebildet und sportlich hatte Mann zu sein. Das Schwelgen in opulenten Gewändern, Perücken und Rüschen galt mit einem Male als weibisch, verpönt und passé. Understatement war angesagt, elegante Schlichtheit, gediegene Sachlichkeit. Und so ist es bis heute bis auf einige eher kleinere Strömungen jugendlicher Subkultur geblieben: Tagsüber tugendhaft und uniform in Anzug und Krawatte, abends im Indoor-Sportdress, wahlweise gepflegtes Outdoor-Outfit, drei bis fünf Mal die Woche Drill im Fitness-Studio, Joggen, Walken, Inline-Skaten, der Preis ist Schweiß.

Heute werden 40 Prozent der Diätprodukte von Männern gekauft - doch was, wenn der Rettungsring trotz Sit-Ups und Lagerfeld-Diät nicht schwinden will? Auch da gibt es Abhilfe - ein "modellierender" Eingriff der ästhetischen Chirurgie ist schon ab 2.500 Euro zu haben, und jeder dritte Patient ist ein Mann: 40 bis 50 Jahre alt, überdurchschnittlich gebildet, in gehobener Position. Die Top Five: Bauch straffen, Fett absaugen, Tränensäcke oder Doppelkinn entfernen und natürlich Haartransplantationen. Nachfrage steigend - beim gesamten Repertoire der Schönheitschirurgie, was Albert K. Hofmann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie belegt: "Ihnen ist vor allem wichtig, in Beruf und Privatleben sportlich, offen und gepflegt aufzutreten. Sie tun das ganz allein für ihr eigenes Wohlbefinden - und schweigen."

Gebrauchsanweisungen zur Wartung des Männerkörpers füllen neuerdings die Regale der Buchhand-lungen, doch der neue Körperkult geht inzwischen weit über ein gesundes Maß hinaus: Die Medien propagieren ein nahezu perfektes Schönheitsideal, das ohne Spritzen, Pillen und Skalpell nicht mehr zu erreichen ist - nicht nur die Schönheitschirurgie boomt, auch Essstörungen nehmen bei Männern und männlichen Jugendlichen deutlich zu.

Christine Kammerer ist Autorin in Bonn


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